In der Nutzfahrzeugsparte blickt der Konzern stark auf die Schwellenländer, weil hier Wachstum winkt. In Russland denkt Daimler an die Erhöhung des Anteils bei Kamaz.

Stuttgart - Trotz glänzender Perspektiven sieht Daimler-Vorstandsmitglied Andreas Renschler seine Nutzfahrzeugsparte vor großen Herausforderungen. Einerseits rechnet er damit, dass der Markt für Lastwagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen innerhalb von zehn Jahren um etwa 1,7 Millionen Fahrzeuge auf dann 6,7 Millionen verkaufte Lastwagen pro Jahr zulegen wird. Andererseits wird sich dieses Wachstum nach den Prognosen zu fast 95 Prozent außerhalb der traditionellen Märkte von Daimler vollziehen. Dabei haben die Stuttgarter vor allem die sogenannten BRIC-Staaten im Visier. Auf diesen Märkten geht Daimler mit Fahrzeugen, die auf die lokalen  Ansprüche zugeschnitten sind, an den Start. Die Erwartungen sind hoch; Renschler spricht von 2012 als „einem Jahr der Wahrheit“. Die Lastwagenmärkte in den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) werden nach Prognosen in den nächsten zehn Jahren um 50 Prozent wachsen.

 

Anfang März hat der Konzern in Indien die ersten Lastwagen der Marke Bharat-Benz vorgestellt. Geplant ist, bis 2014 die Palette auf insgesamt 17 Modelle vom Leicht- bis zum Schwerlastwagen auszubauen. Am 18. April soll die Fabrik in Chennai eröffnet werden; die Produktion startet dann im dritten Quartal. Die Stückzahlen – möglicherweise 5000 Fahrzeuge – werden nach Renschlers Einschätzung in diesem Jahr noch nicht ins Gewicht fallen. Daimler zielt mit der Marke Bharat-Benz auf das mittlere Marktsegment zwischen Billiglastwagen und der Oberklasse, die zum Beispiel der Mercedes-Laster Actros repräsentiert. Renschler erwartet, dass dieses mittlere Segment in Indien zwischen 2010 und 2020 um 65 Prozent zulegen wird. Der Konzern hat in Indien bereits 450 einheimische Zulieferer für eine Zusammenarbeit gewonnen, so dass ein Bharat-Benz-Lastwagen zu 85 Prozent ein indisches Fahrzeug sein wird.

Es fehlt ein Netzwerk

Von solchen Verhältnissen kann Renschler beim Blick auf den größten europäischen Lastwagenmarkt, Russland, nur träumen. Das fehlende Netzwerk von Herstellern und Zulieferern erweist sich als Hemmschuh. Die Daimler-Manager haben vor Ort beobachtet, dass sich Gepflogenheiten aus den Zeiten des Sozialismus noch immer hartnäckig halten. So neigen die Unternehmen noch immer dazu, alles selbst zu machen, um von niemandem abhängig zu werden. Allerdings, so heißt es, seien in jüngerer Zeit Änderungen erkennbar. Daimler ist in Russland bislang mit 15 Prozent an dem Lastwagenhersteller Kamaz beteiligt.

Nach Renschlers Worten wird die Beteiligung in den nächsten Jahren wahrscheinlich ausgebaut. Der Nutzfahrzeugchef stellt aber auch klar: „Wir haben in nächster Zeit kein Interesse an der Übernahme der Mehrheit.“ Daimler hat die vertraglich abgesicherte Option, den Anteil auf bis zu 25 Prozent plus eine Aktie zu erhöhen. Die russischen Kartellbehörden haben jetzt grünes Licht für diese Sperrminorität gegeben. Eingestiegen ist Daimler bei Kamaz im Jahr 2008. Zurzeit bestehen zwei Gemeinschaftsunternehmen, die im vorigen Jahr 4000 Lastwagen abgesetzt haben. Auch das erste gemeinsame Projekt wurde bereits vorgestellt: ein Lastwagen von Kamaz mit Daimler-Komponenten. Verhandelt wird zusätzlich über eine Kooperation bei Fahrzeugkabinen und Achsen.

Nach einer langen „Flirtphase“ (Renschler) hat Daimler in China die Lizenz für die Produktion zusammen mit dem Partner Foton erhalten. Ab Jahresmitte sollen bei Foton Lastwagen der Eigenmarke Auman vom Band laufen. Die Produktionskapazität soll bei 160 000 Fahrzeugen pro Jahr liegen. Mit 40 Prozent Marktanteil bei mittleren und schweren Lastwagen ist China der mit Abstand größte Lastwagenmarkt der Welt. Zu den BRIC-Staaten gehört auch Brasilien – ein Markt, auf dem so viele Lastwagen verkauft werden, wie in Deutschland, Frankreich und Italien zusammen. Die Stuttgarter sehen hier aber keinen Nachholbedarf; sie sind seit 56 Jahren in dem Land vertreten.