Die Firma Daimler hat im Werk Sindelfingen einen neuen Windkanal eingeweiht. Die Karossen sollen künftig noch stromlinienförmiger werden.
Sindelfingen - Thomas Weber, der Verantwortliche für die Konzernforschung und Mercedes-Benz-Cars-Entwicklung, zählt von fünf zurück bis auf eins. Gespannt blicken rund 300 geladene Gäste nach vorne zu den drei Herren, die sich um einen roten Knopf postiert haben. Auf Kommando geben Weber, der Daimler-Chef Dieter Zetsche und der EU-Kommissar Günther Oettinger den Startschuss für die Inbetriebnahme des neuen Windkanals im Daimler-Technologiezentrum in Sindelfingen. „Mit der Einrichtung wollen wir unsere Spitzenposition in puncto Aerodynamik weiter ausbauen“, betont Zetsche.
Zusammen mit den bereits im Betrieb befindlichen Klima-Windkanälen sowie dem Fahrsimulator hat das Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren insgesamt 230 Millionen Euro dafür investiert. In dem „modernsten und leisesten Aeroakustik-Windkanal der Welt“, so das Unternehmen, können Windgeschwindigkeiten von bis zu 265 Kilometer in der Stunde erzeugt und die Luftströme an den Fahrzeugen gemessen werden.
Während der feierlichen Zeremonie lobte Oettinger die Anstrengungen der Firma, noch mehr für die Energieeffizienz der Autos zu tun. Durch die Optimierung der Karosserien beim Luftwiderstand sei auf der Autobahn bei Tempo 160 eine Senkung des Spritverbrauchs von einem Liter pro hundert Kilometer möglich, erklärte Weber. Bei geringeren Geschwindigkeiten könne man auf hundert Kilometer leicht bis zu einen halben Liter Kraftstoff sparen, fügte er hinzu. „Es gibt Ecken, etwa am Unterboden oder an den Radkästen von Fahrzeugen, die der Kunde kaum kennt und an denen wir durchaus noch etwas verbessern können“, betonte Weber.
40 Mitarbeiter haben gestern offiziell die Arbeit im Windkanal aufgenommen, in dem sämtliche Daimler-Modell getestet werden. Der Konzern lässt sich das eine Menge Geld kosten, wenn die Prototypen „einige hundert Stunden analysiert werden“, sagte Weber, ohne dies näher präzisieren zu wollen. Doch steht für Daimler bei der Verbesserung des Fahrkomforts viel auf dem Spiel. „Aktuell sind unsere Modelle in nahezu allen Fahrzeugsegmenten aerodynamisch und aeroakustisch Weltmeister“, so Weber. Aber die Konkurrenz schlafe nicht. „Wir brauchen deshalb das weltbeste Trainingszentrum. Unsere Kunden profitieren auch von den geringen Windgeräuschen und der optimalen Straßenlage“, unterstrich er.
Dafür werden die Versuchsfahrzeuge zum Beispiel auch seitlichen Luftströmen ausgesetzt. Es wird simuliert, wie sich der Wagen beim Überholen eines Lastwagens verhält oder bei Seitenwind. Daneben lässt sich der Windkanal für Verschmutzungsmessungen nutzen oder zur Überprüfung der Scheibenwischer bei schnellen Fahrten. An den Kühlern und Bremsen finden Temperaturmessungen statt, und selbst die Luft im Inneren der Fahrzeuge wird genauer unter die Lupe genommen. Und damit die Daimler-Modelle für die Fahrer so leise wie möglich sind, messen die Ingenieure bei starken Luftströmen sowohl die Akustik außen als auch im Auto. Um danach unter Umständen Veränderungen an der Karosserie vornehmen zu lassen.
Bereits vor 70 Jahren dokumentierte Mercedes-Benz in Stuttgart-Untertürkheim „als erster Automobilhersteller“, so der Konzern, in einem Windkanal die Reaktionen auf Luftströme. Dieser wird heute noch betrieben, beispielsweise, um Nutzfahrzeuge zu testen. Vor zwei Jahren eröffnete Daimler im Werk Sindelfingen Klima-Windkanäle, in denen die Wagen bei arktischen Temperaturen untersucht werden. Zu dem ebenfalls im Technologiezentrum befindlichen Fahrsimulator soll in zwei bis drei Jahren noch ein Crash-Zentrum dazukommen. Bis dahin will Daimler für die Fahrsicherheit etwa eine halbe Milliarde Euro ausgeben. „In Sindelfingen“, sagte Zetsche, „schlägt das Herz der Automobilindustrie.“ Im Technologiezentrum sind heute bereits 8000 Mitarbeiter beschäftigt, im gesamten Werk sind es 37 000.