Mehr als 700 Gäste feiern das 100-Jahr-Jubiläum des Mercedes-Benz-Werks. Der Vorstandschef Dieter Zetsche bekennt sich zum Standort im Kreis Böblingen – Daimler investiert 1,5 Milliarden Euro in den Ausbau der Fabrikstadt.

Sindelfingen - Zum krönenden Finale fährt der oberste Daimler-Angestellte Dieter Zetsche mit dem Auto der Zukunft in die Festhalle ein: Er hat es sich im Fond bequem gemacht, am Steuer sitzt niemand. Noch ist das selbstfahrende Auto S 500 Intelligent Drive im Entwicklungsstadium. Doch schon bald soll es Realität auf den Straßen sein. Daimler und Benz hätten die „Kutsche ohne Pferde“ geschaffen. Nun arbeite man in Sindelfingen an „der Kutsche ohne Fahrer“, so Zetsche. „Und wenn die beiden – Daimler und Benz – uns von da oben zuschauen, dann sind sie sicher ganz stolz auf dieses Jahrhundertwerk“, sagt der Vorstandsvorsitzende des Daimler-Konzerns beim großen Jubiläumsfestakt des Sindelfinger Mercedes-Benz-Werks.

 

Mit einer multimedialen Show, mit Filmen und Fotos, Theater und dem eigens für das Jubiläum gegründeten Mitarbeiterchor feierten mehr als 700 geladene Gäste, darunter viel Prominenz wie Bundestags- und Landtagsabgeordnete, Oberbürgermeister und Stadträte, den 100. Geburtstag des Sindelfinger Werks. Die Daimlerhupe läutete den Beginn des Festakts ein, Ikonen der Fahrzeuggeschichte wie 500 K Roadster oder SL-Flügeltürer rollten durch die Halle und verbreiteten den Geruch von Motoren – mit allen Sinnen erlebten die Gäste die Geschichte von Mercedes-Benz, erhielten Einblick in die Entwicklung und Produktion der Fahrzeuge und konnten in die Fabrik der Zukunft schauen.

600 Millionen für neues Technologiezentrum

Sie, die Zukunft der Automobiltechnik und des Standorts, standen auch im Fokus der Jubiläumsfeier. „Das Automobil wird in Sindelfingen gerade zum zweiten Mal erfunden“, lobte der Ministerpräsident Winfried Kretschmann den Standort. Er beherbergt das weltweit zentrale Entwicklungs- und Forschungszentrum für Personenwagen des Daimler-Konzerns. Der grüne Regierungschef selbst fährt seit fünf Wochen eines der neuesten Modelle aus dem Sindelfinger Werk als Dienstwagen: einen S-Klasse Plug-in-Hybrid. Dessen Kohlendioxidausstoß „liegt vier Fünftel unter dem Fahrzeug, das ich vor vier Jahren von meinem Vorgänger übernommen habe“. Daimler sei es gelungen, „coole Autos grüner zu machen“, und zwar schneller als gedacht, sagte Kretschmann sichtlich erfreut.

Der Sindelfinger Standort ist in puncto Auto der wichtigste des Konzerns. Er gilt als „Herz und Seele des weltweiten Produktionsnetzwerks“, sagte Markus Schäfer vom Bereichsvorstand. Und der Konzern investiert in den kommenden Jahren 1,5 Milliarden Euro in den Ausbau der Produktion. Zusätzlich 600 Millionen Euro sollen in das Technology Center fließen. Dort wird die Forschung zur Sicherheit der Fahrzeuge sowie zu alternativen Antrieben konzentriert. Der Festakt fand ganz bewusst in einem schon fertigen Teil des neuen Werkzeugsbaus statt – ein Symbol des Bekenntnisses von Daimler zum Standort Sindelfingen.

„Mit diesen Investitionen unterstreichen wir, dass wir hier in Sindelfingen in den kommenden 100 Jahren mindestens genauso erfolgreich sein wollen wie in den letzten“, sagte Dieter Zetsche. Auch der Ministerpräsident freute sich über diese „substanziellen Investitionen“.

Thomas Weber, als Vorstandsmitglied des Daimler-Konzerns verantwortlich für die Konzernforschung, stellte das Auto der Zukunft vor: fahrerlos, emissionsfrei und digital mit seiner Umgebung vernetzt. „Es wird dem Auto möglich sein, mit Fußgängern zu kommunizieren, zum Beispiel mit einem Laserstrahl einen Zebrastreifen auf die Fahrbahn zu werfen.“

Keine vollautomatische Produktion in der Zukunft

Auch die Fabrik der Zukunft wurde präsentiert. Im Jahr 2040 wird es keine vollautomatische Produktion mehr geben, jedes Fahrzeug wird individuell nach den Wünschen des einen Kunden gefertigt. Die Mitarbeiter arbeiten Seite an Seite mit intelligenten Robotern. Jeder kommuniziert mit jedem: Mensch mit Mensch, Mensch mit Roboter, Roboter mit Roboter. Das bedeutet auch für die Mitarbeiter eine komplett neue Arbeitssituation. „Wir als Betriebsrat werden uns nicht gegen den technischen Fortschritt stellen, sondern im Gegenteil, wir wollen ihn mitgestalten“, sagte Ergun Lümali, der Betriebsratsvorsitzende des Sindelfinger Standorts.

Willi Reiss, der Hausherr des Sindelfinger Werks, lobte die „gute Gemeinschaft von Werk und Stadt. Es gibt wohl sonst keine WG, die es 100 Jahre miteinander aushält.“ Die Reden der Ehrengäste und das bunte Programm folgten in rasantem Wechsel. Durch die knapp zweistündige Veranstaltung führte Wilhelm, ein fiktiver Arbeiter der Vergangenheit. Von 1919 bis 1952 habe er im Sindelfinger Werk gearbeitet und anfangs Flugzeuge produziert, erzählte er. Im Laufe des Vormittags traf er auf heutige Kollegen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Sie berichteten, wie heute Autos produziert werden. Und war Wilhelm stolz drauf, dass man in den 1950er Jahren 5000 Autos im Jahr in Sindelfingen gebaut hatte, konnte er es nicht fassen, dass heute jährlich bis zu einer halben Million Autos vom Band laufen.

Begeistert war das Publikum von der Show des Festes. „Das war sehr gut gemacht, vor allem der geschichtliche Teil“, lobte Horst Zecha, der Kulturamtsleiter, der die Daimler-Geschichte erforscht hat.