Der Vorstand bei Daimler will eine neue Unternehmenskultur etablieren. Aber was bedeutet das? Daimler-Vorstandsmitglied Wilfried Porth, zuständig für das Personal, erklärt im Interview, was sich konkret in den nächsten Monaten bei den Stuttgartern ändern wird.

Stuttgart - Daimler ist ein Traditionsunternehmen und arbeitet auch so: wohlorganisiert, solide und zuverlässig. Das bietet Vorteile für ein Großunternehmen und soll deshalb auch keineswegs über den Haufen geworfen werden. Aber der Vorstand will mehr Schnelligkeit und Flexibilität, mehr Risikofreude und unkonventionelle Ideen – eine Mentalität wie in einem Start-up. All dies, zusammengefasst unter dem Schlagwort Leadership 2020, soll sich zu einer neuen Unternehmenskultur fügen. Daimler-Vorstandsmitglied Wilfried Porth, zuständig für das Personal, erklärt im Interview, was sich konkret in den nächsten Monaten bei den Stuttgartern ändern wird.

 
Herr Porth, mit Leadership 2020 will Daimler ein neues Führungsprinzip einführen, das die Mitarbeiter stärker in Entscheidungen einbindet, was den Beschäftigten sicher entgegenkommt. Müssen die Chefs einen Kompetenzverlust hinnehmen?
Wenn man die Kompetenz einer Führungskraft ausschließlich daran festmacht, dass sie Entscheidungen treffen darf, dann könnte man zu der Annahme kommen. Führungskräfte haben aber auch die Aufgabe, Teams zu organisieren und Strategien für die Zukunft zu entwickeln. Wir wollen sicherstellen, dass diejenigen, die am nächsten am Thema dran sind, die Entscheidungsbefugnis bekommen. Keine Führungskraft verliert Kompetenzen, im Gegenteil. Es wird Zeit gewonnen für die Führungsaufgabe. Das kommt heute zum Teil zu kurz, wenn die Führungskräfte zu sehr mit Details beschäftigt sind und Entscheidungen zu treffen haben.
Verstehen auch die Daimler-Führungskräfte ihren Job so, dass es nicht in erster Linie darum geht, Entscheidungen zu treffen?
Das ist keine Schwarz-Weiß-Betrachtung: Führungskräfte werden auch zukünftig Entscheidungen zu treffen haben, aber sie sollen verstärkt ihre Führungsaufgaben wahrnehmen. Diese Kultur ist über viele Jahre gewachsen und ist ja auch erfolgreich gewesen. Die Veränderung, die wir jetzt angestoßen haben, wird nicht über Nacht geschehen, und sie lässt sich auch nicht per E-Mail in die Organisation bringen. Das ist eine Kulturveränderung, und das wird einige Zeit dauern, bis sie überall angekommen ist. Und sie muss unterstützt werden mit Entscheidungen, indem bei Genehmigungen zum Beispiel nur noch zwei statt sechs Unterschriften verlangt und höhere Wertgrenzen gesetzt werden. Das wird parallel eingeführt als sichtbare Zeichen der Veränderung.
Werden künftig noch alle 16 000 Führungskräfte gebraucht? Ist insgesamt mit Leadership 2020 ein Personalabbau verbunden?
Das ist auf gar keinen Fall Ziel dieser Initiative. Uns geht es um die Frage, wie wir künftig agieren und auf die neuen Herausforderungen reagieren – von neuen Geschäftsmodellen über neue Wettbewerber bis zur Digitalisierung. Dass sich am Ende des Tages immer auch die Frage nach der Effizienz stellt, ist in unserer Industrie normal; dem haben wir uns nie verweigert.
Trotzdem wird man womöglich am Ende mit weniger Führungskräften auskommen.
Ich glaube nicht, dass man das aus diesem Programm ableiten kann.
Werden Hierarchieebenen wegfallen?
Nein. Es ist nicht vorgesehen, eine Hierarchie- oder Führungsebene zu streichen. Aber wir werden künftig mit weniger Hierarchie zu Entscheidungen kommen können.
Als Beispiel dafür haben Sie mal Änderungen bei der Genehmigung von Dienstreisen genannt. So sollen sich nur noch der Reisende selbst und der direkte Vorgesetzte mit der Genehmigung befassen. Der Betriebsrat sagt, das sei schon 2007 beschlossen, aber nicht umgesetzt worden.
Der Prozess ist simpel: Der Reisende informiert seinen Vorgesetzten. Wenn der nicht widerspricht, ist die Reise genehmigt. Das wäre in der Tat schon früher möglich gewesen. Aber wir sind ja bekanntlich vor einigen Jahren durch eine Krise gegangen. Da wurden auch zusätzliche Genehmigungsschleifen eingeführt, die nachher nur schwer wieder wegzukriegen waren. Deshalb haben wir uns jetzt noch einmal klar positioniert, dass wir das so haben wollen.