Lastwagenfahrer, die sich in voller Fahrt auf der Autobahn einen Film anschauen oder die Spesenabrechnung machen: Das ist freilich noch Zukunftsmusik. Doch Daimler will bis 2025 das autonome Fahren mit dem Truck in die Serienproduktion bringen.

Magdeburg - Im vergangenen Jahr schickte Daimler eine S-Klasse auf eine Testfahrt von Mannheim nach Pforzheim, bei der ein elektronischer Chauffeur dem Fahrer die Arbeit abnahm. Der Fahrer konnte bei dieser Tour auf der Route, die einst Bertha Benz mit dem Motorwagen zurückgelegt hatte, die Hände in den Schoss legen. In diesem Jahr wollte Daimler demonstrieren, dass das autonome Fahren auch mit Lastwagen möglich ist. Schauplatz dieser Weltpremiere war am Donnerstag ein Autobahnabschnitt der A 14 bei Magdeburg, der sich noch im Bau befindet und im Acker endet. Mehr als 300 Journalisten aus mehr als 30 Ländern konnten auf einer Tribüne verfolgen, wie ein noch mit schwarz-weißer Tarnfolie beklebter schwerer Lastwagen schnurgerade die Spur hält, in der Kolonnenfahrt bremst und beschleunigt, sanft etwas nach rechts zieht und eine Rettungsgasse frei macht, wenn sich von hinten ein Polizeiauto mit Blaulicht nähert – und all dies, ohne dass der Fahrer lenken oder Gas geben muss.

 

Noch ist dieser elektronische „Highway Pilot“ freilich Zukunftsmusik, denn es handelt sich nur um eine Fahrzeugstudie. Erst Mitte des nächsten Jahrzehnts könnte das autonome Fahren beim Truck Wirklichkeit werden, wie Daimler-Lkw-Vorstand Wolfgang Bernhard ankündigte. Bis dahin müssen noch Millionen von Testkilometern heruntergespult und zahlreiche technische und rechtliche Fragen geklärt werden. Bernhard ließ indes keine Zweifel, dass solch ein Fahrzeug von Mercedes-Benz in Serie gehen werde und verkündete nicht ohne ein gewisses Pathos: „Wir stoßen die Tür auf und geben den Blick frei für den Verkehr im Jahr 2025.“ Daimler läute damit ein neues Zeitalter im Lkw-Verkehr ein. „In diesem Zukunftsmarkt wollen wir die Nummer eins sein“, so Bernhard.

Der reichhaltig mit Sensoren, Kameras und Rechnerleistung ausgestattete Lkw hilft den Transportunternehmen laut Bernhard, den Kraftstoffverbrauch zu senken, weil der elektronische Pilot immer optimal schalten könne und beispielsweise früher als ein Fahrer erkennen könne, wenn sich hinter einer Kuppe oder einer Kurve ein Stau bilde. Der Zukunfts-Lkw soll auch weniger Unfälle verursachen, wodurch die Versicherungskosten sinken und weniger Geld für Reparaturen ausgegeben werden müsse. Diese Vorausschau setzt allerdings voraus, dass auch andere Fahrzeuge mit dieser Technik unterwegs sind und die Trucks untereinander vernetzt sind. Bernhard stellte indes klar, dass Daimler den „Highway Piloten“ nicht an Konkurrenten verkaufen wolle. Die Stuttgarter setzen darauf, dass ihnen die Exklusivität bei dieser Zukunftstechnik Wettbewerbsvorteile bringt. Welchen Aufpreis die traditionell sehr knapp kalkulierenden Transportunternehmen für diesen Hightech-Lkw zahlen müssen, ließ Bernhard offen.

Lastwagen soll zum mitdenkenden Partner werden

Vorteile sieht der Daimler-Vorstand auch für die Fahrer. Sie könnten sich nun auf vielen Streckenabschnitten entspannen, einen Film anschauen oder die Spesenabrechnung machen. Dadurch könne das Berufsbild der Fahrer aufgewertet werden, meinte Bernhard und regte an, angesichts der geringeren Belastung darüber zu diskutieren, ob die gesetzlich begrenzten Lenkzeiten verlängert werden können. Katharina Reiche, Staatssekretärin im Berliner Verkehrsministerium, erteilte solchen Gedankenspielen bei der Premiere indes umgehend eine Absage.

Der Lastwagen entwickle sich durch die neue Technik von einer Maschine zum mitdenkenden Partner, meinte Daimler-Lkw-Entwicklungschef Sven Ennerst. Allerdings gibt es Einschränkungen. Zwar funktioniert der Autopilot bis zur Höchstgeschwindigkeit von 80 Kilometer pro Stunde, allerdings nur auf Autobahnen. Und wenn ein anderer Lkw überholt werden soll, muss der Trucker übernehmen. Gleiches gilt beispielsweise, wenn Fahrbahnmarkierungen nicht perfekt sind. Auch die Genauigkeit der Straßenkarten ist noch nicht ausreichend.

Bis zur Serieneinführung des Autopiloten müssen zudem noch Fragen des Datenschutzes und der Haftung bei Unfällen geklärt werden. Ferner verlangt das Gesetz heute, dass der Fahrer sein Fahrzeug jederzeit und unter allen Umständen beherrschen muss. Erlaubt sind nur korrigierende Lenkeingriffe, aber kein automatisches Lenken bei Geschwindigkeiten über zehn Stundenkilometern. Basis dieser Regelung ist die Wiener Straßenverkehrskonvention von 1968, die nahezu alle europäischen Staaten unterzeichnet haben. Ein Expertenausschuss der Vereinten Nationen hat die Wiener Straßenverkehrskonvention ergänzt. Nach dieser Neuordnung reicht es aus, wenn der Fahrer jederzeit das Kommando übernehmen kann, indem er selbst eingreift. Diese Reform muss nun jedoch erst in nationales Recht umgesetzt werden. Trotz der offenen Fragen zeigte sich Lkw-Entwicklungschef Ennerst sicher, dass bald eine neue Zeitrechnung anbrechen wird. „Mit dem autonomen Fahren wird der Speditionsbetrieb revolutioniert.“