In der Abgasffäre ist auch Daimler in die Defensive geraten. Besonders die Deutsche Umwelthilfe und ihr Geschäftsführer Jürgen Resch setzen dem Konzern mächtig zu. Diese Woche trifft man sich mal wieder vor Gericht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - J

 

ürgen Resch wird sich den Auftritt nicht entgehen lassen. Der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH) erscheint natürlich persönlich, wenn das Landgericht Stuttgart am nächsten Dienstag über deren Unterlassungsklage gegen die Daimler AG verhandelt. Gewohnt wortgewaltig dürfte er erläutern, warum der Verein dem Autobauer „Verbrauchertäuschung“ vorwirft. Es geht um die aus seiner Sicht falschen Versprechen, mit denen Mercedes-Benz für ein bestimmtes Diesel-Modell wirbt, die C-Klasse BlueTec 220 CDI. Dank hochmoderner Abgasreinigung, heißt es in den Prospekten, werde das Fahren damit „im besten Sinne zur reinsten Freude“, die Emissionen würden „auf ein Minimum reduziert“.

Minimum – das bedeute „das Kleinste, das Geringste, den niedrigsten Wert überhaupt“, heißt es in der Klage. Doch davon könne bei dem Wagen keine Rede sein: Die Schadstoffreduzierung funktioniere zwar im Prüflabor, nicht aber im normalen Betrieb, wie Messungen im Auftrag der Umwelthilfe ergeben hätten. Bei bestimmten Temperaturen werde die Abgasreinigung so weit heruntergeregelt, dass der Stickoxid-Ausstoß nicht, wie verheißen, um 90 Prozent sinke, sondern die Grenzwerte sogar um ein Vielfaches überschreite. Das geschehe angeblich zum Schutz des Motors, doch BMW zeige den Stuttgartern, dass es auch sehr viel besser gehe – von wegen „das Beste oder nichts“, wie der Mercedes-Slogan lautet.

Daimler erwartet den Prozess gelassen

Die geforderte Unterlassungserklärung wollte Daimler nicht abgeben, deswegen landet der Fall nun vor Gericht. „Auf das Schärfste“ weise man den Vorwurf falscher Qualitätsversprechen zurück, konterte der Konzern, die Klage entbehre jeder Grundlage, man sehe ihr gelassen entgegen. Wieder einmal versuche die Umwelthilfe, das Unternehmen mit „nicht belegten Vorwürfen“ und einer „irreführenden Darstellung“ zu diskreditieren. Daimler vertraue weiter auf die wirklich zuständigen Behörden und deren Prüfungen, die man voll unterstütze. In den Prozess schickt der Autobauer seine Juristen, Vorstandschef Dieter Zetsche kommt sowieso nicht, sein Chefkommunikator Jörg Howe wohl auch nicht. Resch soll offenbar keine Bühne geboten werden, sich wieder einmal publikumswirksam als Gegenspieler der Daimler-Gewaltigen zu inszenieren.

David gegen Goliath, die kleine Umwelthilfe (80 Mitarbeiter) gegen den großen Konzern (285 000 Mitarbeiter) – diese Nummer funktioniert aus Daimler-Sicht ohnehin viel zu gut. Seit vor einem Jahr der Abgasskandal um Betrugssoftware bei Volkswagen hochkochte, scheinen sich Resch und seine Mitstreiter auf den Mercedes-Mutterkonzern eingeschossen zu haben. Anders als VW halte man sich „an alle Gesetze und rechtlichen Vorgaben“, beteuerte dieser zwar umgehend; Abschalteinrichtungen kämen nicht zum Einsatz. Zudem dringe man seit Langem auf realistischere Messverfahren, damit die Werte zwischen Labor und Straße nicht mehr so weit auseinanderklaffen.

Mehr Beifall für Resch als für Zetsche

Doch auch Daimler ist im Zuge von „Dieselgate“ mehr und mehr in die Defensive geraten – in Deutschland und, gefährlicher noch, in den USA. Auf Geheiß des US-Justizministeriums läuft seit April eine interne Untersuchung zu den Abgaswerten, zudem muss sich der Konzern mehrerer Sammelklagen von US-Anwälten erwehren; kürzlich errang er dabei immerhin einen Punktsieg.

Keiner aber geht das Unternehmen und seine Repräsentanten derzeit so hart an wie Jürgen Resch. Vor Zetsches Auftritt beim Grünen-Parteitag in Münster ging Resch vor den Delegierten scharf mit der Autoindustrie ins Gericht: Deren Bosse pflegten eine unselige Kumpanei mit den Behörden und hätten kein echtes Interesse an sauberen Fahrzeugen. Skrupellos fluteten sie die Städte mit giftigen Dieselabgasen, am schlimmsten am Daimler-Sitz Stuttgart. Volkswagen sei keineswegs der einzige Sünder, alle anderen Hersteller hätten ebenfalls ein Dieselproblem, eine „besonders unrühmliche Rolle“ spiele Daimler. Die Delegierten klatschten begeistert. Hätte Grünen-Parteichef Cem Özdemir im Anschluss nicht vermittelnde Worte gefunden, für Zetsche wäre es wohl noch ungemütlicher geworden. Wiederholt hatte Resch ihm zudem vorgeworfen, er sei persönlich verantwortlich für „vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge in vielen tausend Fällen“.

Die Tonlage irritiert die Autobauer

Konzernchefs als Kriminelle – solche Sätze sind es, die die Autohersteller zur Weißglut treiben. Die Umwelthilfe pflege „einen extrem unsachlichen und aggressiven Ton“, beklagt der Geschäftsführer Kay Lindemann vom Verband der Automobilindustrie (VDA). Man respektiere sie als umweltpolitische Lobbyorganisation und diskutiere regelmäßig mit ihren Vertretern. Doch angesichts der verbalen Ausfälle trete „der Dialog zwangsläufig in den Hintergrund“. Zudem schärfe die DUH ihr Profil durch „einseitige PR“: nur die negativen Ergebnisse würden in den Fokus gerückt.

Daimler selbst keilte schon mal öffentlich zurück. „Die DUH bleibt sich selbst treu und geht gewohnt unseriös vor“, konterte Konzernsprecher Howe einmal deren Testergebnisse. Auch via Twitter legte er sich mit dem Geschäftsführer an: „Die Umwelthilfe hat Resch, aber Mercedes-Benz hat Recht.“ Inzwischen meidet man die offene Konfrontation. Gegen die Medienprofis der DUH, die regelmäßig mit Zeitungen, Magazinen oder TV-Sendern kooperieren, ist schwer anzukommen. Das Rezept für den „Erfolg durch zugespitzte Kampagnen“, das Resch schon vor Jahren verriet, taugt nach wie vor. „Bewusste Skandalisierung“ gehört dazu ebenso wie einfache Botschaften und das Benennen von Verantwortlichen („name and blame“) – alles natürlich im Dienste einer guten Sache.

Sieg gegen den gefürchteten Medienanwalt

Aber auch juristische Schüsse können nach hinten losgehen. Als die Umwelthilfe Ende 2015 gemeinsam mit dem ZDF („Frontal 21“) Abgastests vornahm, schickte der Medienanwalt des Konzerns vorsorglich einen Drohbrief: Sollte der Eindruck erweckt werden, dass Daimler Abgaswerte manipuliert habe, werde man „mit aller gebotenen Nachhaltigkeit gegen Sie vorgehen“, schrieb er an Resch. „Für jeden wirtschaftlichen Schaden“ werde man die DUH dann haftbar machen. Da könnte es schnell um Beträge gehen, die das Aus für eine Organisation mit einem Etat von etwa acht Millionen Euro bedeuteten. Hier werde „eindeutig mit der Vernichtung unseres Verbands gedroht“, erwiderte Resch und stellte das Schreiben ins Internet.

Per einstweiliger Verfügung erwirkte der Medienrechtler zunächst, dass die Schrift wieder von der Website entfernt wurde. Andernfalls drohte dem DUH-Geschäftsführer eine Viertelmillion Euro Strafgeld oder ersatzweise Haft. Inzwischen wurde die Verfügung wieder aufgehoben, auch vor dem Landgericht Hamburg obsiegte die Umwelthilfe vorige Woche klar gegen den gefürchteten Medienanwalt. Daimler kann im Nachhinein fast froh sein, dass Resch nicht demonstrativ ins Gefängnis ging – umringt von Reportern und Kamerateams.

Autoindustrie rügt „undurchsichtige Finanzierung“

Rechtlich ist der studierte Verwaltungswissenschaftler aus Radolfzell, der die Umwelthilfe seit 30 Jahren führt, nicht nur bestens beraten, sondern längst auch selbst versiert. Er weiß ganz genau, was er sagen darf und was nicht. Die Gegenseite hört schließlich mit und wartet nur auf Angriffspunkte – wie Ende 2015 bei einer Pressekonferenz in Berlin. Da ergab eine Frage in die Runde, dass ein erheblicher Teil der Besucher keine Journalisten waren, sondern offenbar Späher der Autoindustrie. Gerne erzählen DUH-Leute auch, wie Daimler einen kritischen „Frontal-21“-Beitrag fast verhindert hätte. Nach einem warnenden Brief ans ZDF wurde die Ausstrahlung zunächst verschoben, beim zweiten Anlauf kam das Thema dann vorsorglich ohne Ankündigung in die Sendung – niemand sollte in letzter Minute juristisch dazwischengrätschen.

Im Gegenzug nehmen die Konzerne verstärkt die Umwelthilfe selbst ins Visier. Sie zeichne sich „durch eine „undurchsichtige Finanzierungspraxis aus“, sagt der VDA-Manager Lindemann; Unternehmen, die die DUH finanziell unterstützten, seien „vor Kritik weitgehend sicher“. Das war auch der Tenor einer Welle von kritischen Medienberichten, die vor einigen Monaten durchs Land rollte. Böse Worte tauchten darin auf: Die Umwelthilfe sei ein „Scheinriese“ mit nicht mal 300 Mitgliedern, ein fieser „Abmahnverein“, der kleine Autohändler schröpfe, sogar von „Schutzgeld“ war die Rede. Tatsächlich ist die DUH staatlich anerkannt als „klageberechtigter Verbraucherschutzverband“, der Wettbewerbsverstöße verfolgen darf – zum Beispiel, wenn bei einem ausgestellten Neuwagen die Angaben zum Spritdurst fehlen. Die Einnahmen aus solchen Abmahnungen beliefen sich zuletzt auf 30 Prozent des Etats. Kam es zu Prozessen, gewann meist die Umwelthilfe. Beliebt macht sie sich so natürlich nicht. Man wolle damit nicht verdienen, versichert Resch, sondern die Einhaltung von Regeln überwachen, die die Behörden oft nicht durchsetzten.

Schonung für den Geldgeber Toyota?

Besonders gerne verweisen seine Kritiker auf die Kooperation mit Toyota: Seit Jahren finanzieren die Japaner eine Umfrage zu den Dienstwagen von Politikern oder Managern, bei der es zuletzt auch für Winfried Kretschmanns S-Klasse nur mäßige Noten gab. Werden sie deshalb von der Umwelthilfe geschont, wie immer wieder geraunt wird? Keineswegs, entgegnet Resch. Beleg: Im aktuellen Dieseltest wird auch ein Toyota Auris angeprangert, dessen Abgaswerte fünfmal höher als erlaubt seien. Der Umweltaktivist musste sich sogar ankreiden lassen, dass er schon mal von Zürich zum DUH-Sitz nach Berlin fliege. Prompt wurde hinter den Vorwürfen eine mithilfe von PR-Experten orchestrierte Kampagne gegen die Umwelthilfe vermutet, die freilich wenig verfange. „Das Imperium schlägt zurück – und wirft mit Wattebäuschen“, spottete der Branchendienst „Werben & Verkaufen“. Offiziell will in der Autoindustrie niemand etwas von einem gesteuerten Vorgehen wissen.

Zu den schärfsten Kritikern der Umwelthilfe gehört inzwischen auch der prominente Journalist Roland Tichy. Auf seinem Blog ließ er im Juni kein gutes Haar an Resch als dem „Schrecken der deutschen Autohersteller“. Man habe schon früh darauf hingewiesen, welch „übel beleumdeter Abmahnverein“ die DUH sei; auch ein anderer Autor durfte auf Tichys Portal gegen den „Öko-Kommerz“ wettern. Seltsam nur: Drei Monate zuvor hatte der Ex-Chefredakteur ganz anders über Resch und dessen Mitstreiter, den international renommierten Abgasexperten Axel Friedrich, gesprochen. Als die beiden im April in Ludwigsburg einen Preis für „Corporate Social Responsibility“ (CSR) erhielten, lobte der Jury-Vorsitzende Tichy sie in einer Pressemitteilung als „unermüdliche Vorkämpfer für vorbildliches gesellschaftliches Handeln“. Inzwischen hat er den Jury-Vorsitz abgegeben, den Sinneswandel erklärt er mit Differenzen mit dem Organisator des CSR-Preises, einem einstigen Daimler-Pressesprecher.

Vor Jahren eine gute Zusammenarbeit

Zu dessen aktiven Zeiten pflegten der Konzern und die Umwelthilfe übrigens ein gedeihliches Miteinander. Bis 2005 bekam die DUH alljährlich eine unzensierte Seite im Umweltbericht von Daimler und veranstaltete Umweltcamps für Mitarbeiter. Auf Vermittlung des Ex-Sprechers reiste der Chef-Kommunikator Howe vor einer Weile sogar zu einem Gespräch mit Resch an den Bodensee. Doch die versöhnliche Geste blieb folgenlos, warum auch immer. Inzwischen bekriegt man sich weiter – zum Beispiel nächste Woche vor Gericht.