Daniela Kriens Bestseller „Die Liebe im Ernstfall“ erzählt von fünf Frauen und wie alles miteinander zusammenhängt: die Liebe, Leipzig und das Glück des Lesens.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Man kann gegen dieses Buch manches einwenden. Zu viele Vornamen, zu viele Hauptsätze, zu viele Leute, die in geschmackvollen Altbauten oder schicken Lofts ihre zeitgenössischen Allerweltsschicksale mit klassischer Musik untermalen und zu ihren Abschiedsessen vegane Spaghetti Carbonara verspeisen. Aber vielleicht reibt sich der eine oder die andere ja auch nur am hartnäckigen Erfolg von Daniela Kriens Roman „Die Liebe im Ernstfall“, der seit geraumer Zeit auf den vordersten Rängen der Bestsellerlisten logiert.

 

Es ist das Buch des Sommers. Man mag Buchhändlerinnen, erfolgreiche Ärztinnen, Schriftstellerinnen, Geigenlehrerinnen oder Schauspielerinnen nicht repräsentativ für die Gesellschaft als Ganzes halten, zumal Kriens Damen alle aus Leipzig kommen. Und doch erfährt man Erstaunliches darüber, wie Leute ticken, die beginnen, sich nicht mehr repräsentativ zu fühlen: weil sie beschädigt sind, ein Kind verloren haben, weil ihr Gefühlsleben von Dating-Apps übernommen wurde oder die Liebe im Ernstfall ihnen unheilbare Wunden beigebracht hat.

Matriarchaler Witz

Wie hängen Menschen miteinander zusammen, die mitten im sozialen Getriebe von Einsamkeit umfangen sind? Daniela Krien nutzt ein Verfahren, das mittlerweile als Mittel der Wahl gelten darf, um die verworrenen Lebens- und Liebesverhältnisse in einer Welt ohne Mittelpunkt zur Anschauung zu bringen: perspektivisches Erzählen. Fünf Frauen – und jede von ihnen steht in einem der fünf Kapitel im Mittelpunkt, aus denen sich das Netzwerk bildet, das ihre Geschichten miteinander verknüpft. Sie sind Freundinnen, Leidensgenossinnen, Rivalinnen, Schwestern im Unglück. Eine heilt die Wunden, die eine andere schlug und so fort. Ihr Leben kreist um Männer – und doch spielen diese im Roman nur eine Nebenrolle. Keine der teils lächerlichen, teils sympathischen Typen bringt es zu einem eigenen Kapitel. Darin liegt ein matriarchaler Witz und Hintersinn. Was diesen Frauen widerfährt, ist nichts Ungewöhnliches.

Vielleicht ist das gerade das Wagnis dieses Romans, dass er den Normalfall zum Ernstfall macht. Wenn dieses literarische Verfahren schiefgeht, droht eine Konfrontation mit der Gewöhnlichkeit, vor der man sich gerade durch die Lektüre von Romanen zu erlösen hofft. Wenn es glückt, ist der Beweis erbracht, dass in jeder noch so unscheinbaren Begebenheit das Zeug zu einer großen Geschichte steckt. Und es glückt: Mit klarem Blick und Gestaltungskraft verhindert Daniela Krien, dass die Szenen aus dem Privatleben ihrer Protagonistinnen leichthin ins Fach Frauenliteratur abgeschoben werden können. Ihre Figuren stehen in der Mitte der Zeit. In der Allansichtigkeit gewinnen sie an Tiefe – und durch die Einbettung ins Leben der anderen eine Eigenart, die dazu führt, dass sie wenigstens im Herzen der Leser für den Liebestrouble entschädigt werden, mit dem sie sich im erzählten Leben herumschlagen müssen.