Vor 25 Jahren lud Edith Koerber zum ersten Mal internationale Künstler zum Festival Sett in die Tri-Bühne. Diesmal setzt sie vor allem auf die Beiträge schlauer, engagierter Frauen.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Es gibt sie noch, die klaren Worte: „Es kann doch nicht sein, dass wir uns zufriedengeben mit einer alternativlosen Gesellschaft. Wir brauchen doch Utopien!“ Spricht Edith Koerber, eine der großen Theaterpersönlichkeiten der Stadt Stuttgart, an ihrem großen Arbeitstisch hinter der Bühne, zwischen lauter Büchern, Heften, Zetteln, Konzepten – und blickt mit einer solchen Entschlossenheit und Entschiedenheit, dass man wirklich und automatisch denkt: Stimmt, wer könnte das nur je in Zweifel ziehen.

 

Seit 1982 leitet Koerber die Tri-Bühne und liefert dort kontinuierlich ebenso engagierte wie poetische Theaterkunst auf hohem Niveau. Seit 1993 beschert sie Stadt und Region alle zwei Jahre auch ein veritables internationales Festival, das „Stuttgarter Europa Theater Treffen“ (Sett). „Damals war gerade Internationale Gartenbauausstellung in Stuttgart, und die Kulturamtsleiterin fragte, ob wir im Rahmenprogramm irgendwas mit ausländischen Künstlern organisieren können.“ So ward Sett geboren – und ruft seitdem Ende November Bühnenkünstler aus aller Welt ins Theaterzentrum unterm Tagblatt-Turm, aus Tel Aviv und Sarajevo, aus Zürich und Berlin, aus Mailand und Maputo, aus Erbil und Wien. „Jetzt schon zum 14. Mal“, staunt Koerber selbst. „Wer hätte gedacht, dass wir diese schöne Kraftanstrengung so lange durchhalten.“

Die Künstlerliste, die sich die Chefin übers Wochenende noch hat aufstellen lassen, klingt zweifellos illuster: Sett hat in einem Vierteljahrhundert Peter Brook und J. M. Coetzee nach Stuttgart geholt, Dario Fo und Franca Rama, Henning Mankell und Christine Prayon, Arpad Schilling (lange bevor er an der Staatsoper den „Lohengrin“ inszenierte) und Coline Serreau, Istvan Szabo und Jean-Louis Trintignant. „Wir wollten nie an den Grenzen Europas haltmachen“, erläutert Koerber. „Europa muss auch von den Ideen anderer Kontinente lernen.“ Aber natürlich zieht sich deutlich die Frage nach den europäischen Werte, nach Aufklärung und Menschenrechten wie ein roter Faden durch alle Programme.

Theater auf Sinnsuche

Ab und zu gab es bei Sett ein Motto – „die wollen im Kulturamt immer gern, dass wir eine Überschrift liefern“ –, also zum Beispiel: „Gegen den Strom“, „Afrika (be)trifft“ oder „Probebühne Europa“. Aber im Grunde liegt die gemeinsame dramaturgische Idee schlicht im Spürsinn der Chefin: „Istvan Szabo hab ich einfach mal einen Brief geschrieben, Henning Mankell nach einer Lesung angesprochen. Unsere Auftaktinszenierung in diesem Jahr hab ich an der Schauspielhochschule in Thessaloniki entdeckt. Ach, und von der Baumgartner war ich so begeistert bei meinem Besuch in London.“ Victoria Baumgartner, eine junge Schauspielerin und Regisseurin, geboren in der Ukraine, aufgewachsen in der Schweiz, als Künstlerin aktiv in London, kreativ, originell, innovativ – das ist so eine typische Koerber-Entdeckung, die man nun mit zwei munteren Shakespeare-Projekten beim Festival in Stuttgart entdecken kann. Oder das „Arslanköy Frauen Theater Kollektiv“, eine herzerfrischend bunte Bäuerinnen-Kompanie aus tiefster türkischer Provinz, die es mit ihren feministischen und sozialkritischen Stücken schon bis ins „Arte“-Programm und in den ARD-„Weltspiegel“ geschafft hat.

Lauter schlaue und kreative Frauen bilden den Schwerpunkt bei der Sett-Ausgabe 2018: Die italienische Regisseurin Serena Sinigaglia beispielsweise hat auf Koerbers besonderen Wunsch hin „Isabel Green“ inszeniert, ein Stück über eine Hollywood-Schauspielerin, die gerade einen Oscar gewonnen hat und auf diesem Gipfel des Glücks in ihrer Dankesrede auf der Bühne plötzlich ins Grundsätzliche abdriftet, über Fragen der Überforderung und der ständigen Beschleunigung nachdenkt. „Das ist für mich eine ganz aktuelle Frage nach dem Immermehr überall in der Gesellschaft.“ Aber ist das auch politisch? „Aber natürlich!“ Geradezu fassungslose kurze Pause der Intendantin. Und dann: „Wir sind doch nicht da für’s l’art pour l’art. Wir machen doch Theater, weil wir auf Sinnsuche sind.“