Das Wachstum von Windkraft und Fotovoltaik sorgt für immer stärkere und kurzfristigere Schwankungen am Strommarkt – für Händler ein lohnendes Geschäft.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Karlsruhe - Jetzt ist auch RDK 4 am Netz“, sagt Christian Möller. Er deutet auf den langsam wachsenden Balken auf der großen Projektionsleinwand. Dort kann man die Stromproduktion der einzelnen Kraftwerke der EnBW sehen. Als sogenannter Dispatcher ist Möller für deren optimalen Einsatz verantwortlich. RDK 4 ist ein hocheffizientes Gas- und Dampfkraftwerk, das die meiste Zeit stillsteht. Im vergangenen Jahr lieferte das Karlsruher Kraftwerk gerade mal 200 Stunden lang Strom, weil sich der Betrieb beim derzeitigen Preisniveau an der Strombörse an den meisten Tagen nicht rechnet – im Gegensatz zu Kohlemeilern, die von den niedrigen Preisen für Kohle und Emissionsrechte profitieren.

 

Doch heute ist kein normaler Tag. „Heute ist ein Block in einem großen Braunkohlekraftwerk ausgefallen“, sagt Franz Tyma. Er ist bei der EnBW Trading für den Intraday-Handel zuständig, also für den kurzfristigen Kauf und Verkauf von Strom. Zusätzliche Bewegung am Markt bringen die ausgedehnten Hochnebelfelder, die auch noch die Produktion von Solarstrom geringer ausfallen lassen als ursprünglich erwartet. Deshalb ist der Intraday-Preis für eine frühe Nachmittagsstunde auf rund 80 Euro je Megawattstunde (1000 Kilowattstunden) gestiegen – und damit deutlich über das derzeit übliche Niveau. Wegen der unerwartet geringen Stromproduktion wird auch die Kapazität von RDK 4 gebraucht.

Termingeschäfte dominieren zu mehr als 90 Prozent den Markt

Im Handelsraum der EnBW Trading in der Karlsruher Konzernzentrale herrscht geschäftige Großraumbüro-Atmosphäre. Rund 60 Mitarbeiter blicken konzentriert auf ihre in mehreren Etagen übereinander gestapelten Monitore. Das Marktgeschehen schlägt sich in Tabellen und bunten Grafiken nieder, die über die Bildschirme flimmern. „Heute wollen alle nur kaufen, kaufen, kaufen, sagt ein Händler, der im Auftrag von Großkunden wie Stadtwerken oder energieintensiven Industriebetrieben Strom einkauft. Gerade hat er ein Termingeschäft zu 37,15 Euro pro Megawattstunde abgeschlossen und den Auftrag an die Europäische Energiebörse EEX in Leipzig weitergeleitet.

„Der Terminmarkt macht mehr als 90 Prozent des Stromhandels aus“, erläutert Martin Schelker. Der Ingenieur ist bei der EnBW Trading zuständig für den Handel mit Strom, Kohle und CO2-Emissionsrechten. Ähnlich wie an den Warenterminbörsen wird bei einem Termingeschäft die Lieferung einer bestimmten Menge Strom zu einem bestimmten Preis für einen späteren Zeitraum vereinbart. So kaufen etwa Stadtwerke heute schon einen großen Teil des Stroms ein, den sie erst in einem, zwei oder drei Jahren benötigen. Die Mehrzahl der Kontrakte bezieht sich dabei auf das jeweils folgende Jahr. Die EnBW tritt am Strommarkt sowohl als Käufer wie auch als Anbieter auf, wobei aktuell unter dem Strich die Verkäufe überwiegen. Stadtwerke, die oft über keine oder nur geringe eigene Kraftwerkskapazitäten verfügen, kaufen dagegen per saldo meist mehr Strom ein, als sie verkaufen.

Die Zeiten, in denen die Preise an der Strombörse so hoch waren, dass das Bundeskartellamt – letztlich ohne konkrete Belege für gesetzeswidrige Aktivitäten – wegen angeblicher Marktmanipulationen der großen Stromkonzerne ermittelte, sind längst vorbei. Seit knapp drei Jahren kennen die Börsenpreise nur eine Richtung: abwärts. Einen erheblichen Teil der Preisrückgänge führen Experten auf die massiv gestiegene Produktion von Ökostrom zurück, der bevorzugt ins Netz eingespeist werden muss – unabhängig vom Bedarf.

Das gesunkene Preisniveau ist allerdings nicht die einzige Auswirkung der Energiewende auf den Stromhandel. Auch die Preisschwankungen am kurzfristigen Spotmarkt seien mit dem Ausbau der unsteten Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen deutlich stärker geworden, sagt Schelker: „Da ist viel mehr Bewegung im Markt“. Im kurzfristigen Intraday-Handel könnten die Preise schon mal um den Faktor zehn hin- und herschwanken, erzählt er. Wer zum richtigen Zeitpunkt kauft oder verkauft, kann davon profitieren. Kein Wunder, dass sich das Intraday-Handelsvolumen in den zurückliegenden fünf Jahren etwa verzehnfacht hat, wie die Fachzeitschrift „Energie & Management“ berichtet.

Auch zwei Meteorologen sind dabei

Einen entscheidenden Einfluss auf die Preisentwicklung hat das Wetter, das sich direkt auf die Stromproduktion von Solaranlagen und Windparks auswirkt. Schelker legt eine Grafik mit der erwarteten Windstromproduktion der nächsten zehn Tage auf den Tisch. Der Kurvenverlauf erinnert an eine rasante Achterbahnfahrt – die Leistung der Windanlagen in Deutschland schwankt zwischen 1000 und 20 000 Megawatt. Das entspricht einem oder eben 20 Atomreaktoren mittlerer Kapazität. Dass sich dieses heftige Auf und Ab am Strommarkt niederschlägt, ist unvermeidlich. Schelker sieht es sportlich: „Wind ist für uns Händler eine hochspannende Angelegenheit.“

Beim täglichen Morgenbriefing der EnBW-Stromhändler sitzen auch zwei Meteorologen am Tisch. Sie erstellen Vorhersagen über die Windverhältnisse oder über die zu erwartende Sonneneinstrahlung. Die Erzeugungsprognosen für den Folgetag hätten bei Strom aus Windkraft je nach Wettersituation eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 70 bis 80 Prozent, sagt Björn Maier, der bei der EnBW Trading für die Direktvermarktung von Strom aus erneuerbaren Energien zuständig ist.

Am Strommarkt werden Milliarden bewegt

Rund 80 Prozent des Windstroms werden mittlerweile von den Produzenten selbst vermarktet – oder von einem Unternehmen, das in ihrem Auftrag am Strommarkt agiert. „Der Großteil unseres Direktvermarktungsportfolios besteht aktuell aus EEG-Anlagen Dritter“, sagt Maier. Die Direktvermarkung soll in den kommenden Jahren weiter zunehmen, um die Betreiber grüner Kraftwerke schneller an den Markt heranzuführen. So steht es im EEG-Reformkonzept von Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel (SPD).

Die Strombörsen haben sich an die immer kurzfristigeren Mengen- und Preisschwankungen angepasst. „Mittlerweile kann man Strommengen im Viertelstundentakt handeln“, sagt Martin Schelker. Das ist auch nötig, um trotz der zunehmend schwankenden Erzeugung einen stabilen Netzbetrieb zu ermöglichen.

Strom lässt sich nur begrenzt speichern

Strom ist kein greifbares Handelsgut wie Kohle, Schweinehälften oder Kühlschränke. Er lässt sich nur in begrenztem Umfang speichern. Damit die Netze nicht zusammenbrechen, muss zu jedem Zeitpunkt genauso viel Strom eingespeist werden, wie entnommen wird. Kurzfristige Schwankungen lassen sich durch die automatische Regelung der Leistung konventioneller Kraftwerke ausgleichen. Zudem können die Netzbetreiber am sogenannten Regelenergiemarkt Strom anbieten und nachfragen.

Parallel zu diesen Mechanismen trägt der Handel an der Börse und zwischen einzelnen Marktteilnehmern dazu bei, dass   Angebot und Nachfrage stets zusammenpassen. Der Handel mit Strom ist für Schelker ein Mittel, „um die vorhandenen Kapazitäten so wirtschaftlich wie möglich zu nutzen“. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es natürlich auch genügend Verbindungspunkte zwischen den Stromnetzen.

Paradox: sinkenden Börsenkurse erhöhen den Preis

Parallel zu den Elektronen in den Leitungen werden am Strommarkt etliche Milliarden Euro bewegt. Das Gesamtvolumen des professionellen Stromhandels in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien, den Niederlanden und Skandinavien liegt nach Branchenangaben bei rund 480 Milliarden Euro. Angesichts solcher Summen zieht das Geschäft auch Hedgefonds und Spekulanten an. Je stärker die Marktschwankungen, desto besser lässt es sich auf steigende oder fallende Preise wetten – auch ohne dass tatsächlich Strom geliefert wird. Ähnlich wie an den Agrarmärkten würden dadurch die Preissauschläge zusätzlich verstärkt, monieren Kritiker. Schelker sieht dagegen im Engagement der Finanzakteure nicht unbedingt einen Nachteil. „Für uns ist es wichtig, dass möglichst viele Handelsteilnehmer aktiv sind, die auch unterschiedliche Erwartungen haben, denn das sorgt für Liquidität im Markt“, sagt er.

So abstrakt das Geschehen an der Strombörse erscheinen mag – es wirkt sich auf die Stromrechnung jedes Einzelnen aus. Allerdings anders, als man auf den ersten Blick erwarten würde, denn die zuletzt deutlich gesunkenen Börsenpreise spiegeln sich nicht in den Preisen wider, die Haushaltskunden für Strom zahlen müssen. Im Gegenteil: sie mussten in den vergangenen Jahren eine Preiserhöhung nach der anderen schlucken. Je weniger Erlös der Ökostrom am Markt einbringt, desto mehr Geld ist nötig, um die garantierten Einspeisevergütungen für die Erzeuger grünen Stroms zu finanzieren. Deshalb ist die sogenannte EEG-Umlage, die abgesehen von industriellen Großverbrauchern fast alle Verbraucher in Deutschland zahlen müssen, zuletzt auf 6,24 Cent pro Kilowattstunde gestiegen.

Die Regierung arbeitet an der Reform der Ökostromförderung

Verbraucherschützer kritisieren, dass die Energieversorger die gesunkenen Börsenpreise kaum an ihre Kunden weitergäben. Der Stadtwerke-Verband VKU verweist darauf, dass sich die Stromanbieter auch aus Gründen der Versorgungssicherheit für mehrere Jahre im Voraus mit Strom eindecken müssten. Deshalb könne sich der Preisverfall an der Börse nur zeitverzögert auf die Endkundenpreise auswirken. Tatsächlich haben etliche Versorger – darunter auch die EnBW – trotz des Anstiegs der EEG-Umlage zum Jahreswechsel ihre Strompreise zunächst nicht oder nur minimal erhöht und dies mit gesunkenen Beschaffungskosten begründet. Allerdings macht die Strombeschaffung nur rund ein Drittel des Endpreises aus – der Rest entfällt auf staatliche oder staatlich induzierte Abgaben wie Stromsteuer oder EEG-Umlage sowie die Kosten des Netzbetriebs.

Den größten Einfluss auf den Strompreis für Otto Normalverbraucher haben also nicht die Händler der EnBW Trading, sondern die Bundesregierung, die derzeit gerade versucht, die Ökostromförderung zu reformieren.