Das Beethovenjahr beginnt Komponist der Gegensätze

Die Büste des Komponisten im Beethoven-Museum in Wien Foto: dpa/Herbert Neubauer

Die Feiern zum 250. Geburtstag Ludwig van Beethovens haben mit Konzerten, Ausstellungen und vielen rühmenden Worten begonnen. Sie werden ein Jahr dauern. Aber wer war der schon mit 31 ertaubte Mann, der „Für Elise“ ebenso komponierte wie „Freude, schöner Götterfunken“? Eine Annäherung an einen Unnahbaren.

Bonn/Wien - Mit leeren Augen blickt der Mann weit über den Münsterplatz. Die Jahre haben sein Gesicht, seine wilde Mähne, seinen Mantel grün werden lassen. Die Statue ist 175 Jahre alt, und der, den sie verkörpert, bringt es im kommenden Jahr auf 250. Die Jubiläumsfestivitäten zu seinen Ehren haben vor wenigen Tagen, am 249. Jahrestag seiner Taufe, bereits begonnen; sie werden ein ganzes Jahr dauern. Beethoven: Das ist der Komponist, den man hier, in seiner Geburtsstadt Bonn, auf den Sockel gestellt hat: groß, mächtig, grimmig, ein überlebensgroße, in starres Material gebannte unbändige Energie. Ein Weltbürger aus einer Kleinstadt, ein Schöpfer erhabener Freiheits-Klänge, dessen Vater ein Säufer war und der im Gasthaus gerne mit hart gekochten Eiern nach den Kellnern warf.

 

Nahbar ist das Denkmal nicht. Das passt zu einem Komponisten, den jeder kennt, aber kaum einer richtig. Beethoven, das ist ein Mensch gewordener Widerspruch. Ein Schmelztiegel der Gegensätze. Das hat auch damit zu tun, dass er der erste Komponist war, der – zwar immer wieder großzügig unterstützt durch den Adel – als freier Künstler lebte und deshalb keinen Erwartungen und Vorgaben mehr entsprechen musste. Seine dritte Sinfonie, die „Eroica“, die er ursprünglich Napoleon widmen wollte (die Widmung hat er vom Titelblatt entfernt, als sich der Franzose zum Kaiser krönen ließ), ist eine einzige Grenzsprengung: Sie dauert eine Dreiviertelstunde, fordert ein Orchester von zuvor nicht gekannter Größe (und damit auch einen entsprechenden Raum), überforderte spieltechnisch die damaligen Musiker, wollte sorgfältig geprobt sein (was im 18. Jahrhundert durchaus nicht üblich war) und brauchte zudem einen koordinierenden Dirigenten, keinen der seinerzeit agierenden bloßen Taktschläger. Das Stück ist eine einzige Zumutung – für das Publikum („Des Grellen und Bizarren ist zu viel, wodurch die Übersicht erschwert wird“, schreibt ein Kritiker) wie für die Instrumentalisten.

Meisterwerke eines tauben Komponisten

Beethovens Werke, ganz besonders seine Streichquartette ab dem op. 59, das Violinkonzert, die Gesangspartien der „Missa solemnis“ und der „Ode an die Freude“, die späten Klaviersonaten, zumal die Hammerklaviersonate, haben in ihrer Reibung zwischen Gewolltem und Möglichen etwas ähnlich Utopisches wie die weltumarmende humanistische Botschaft im Finale der neunten Sinfonie, und so ist es gekommen, dass ausgerechnet der Freigeist Beethoven so viele Interpretationsangaben in seine Noten schrieb wie vor ihm noch keiner.

Die „Eroica“ komponierte Beethoven 1802, da war er 32, und seine Ertaubung war schon weit fortgeschritten. Beethoven, der sich ein langes Hörrohr an den Kopf hält: Das ist auch eines der Bilder, die auf uns gekommen sind. Es ist kaum zu glauben, dass der Mann, der sich bald nur noch über berühmt gewordene „Konversationshefte“ mitteilte, dennoch so differenziert weiter komponierte. Schon wieder ein Widerspruch. So wie zum Beispiel auch die Tatsache, dass in Beethovens erhabenem Werk eine so banale Petitesse wie „Für Elise“ überhaupt vorkommen kann. Oder wie die Vorstellung, dass der wilde, taube Mann ein echter Frauenheld gewesen ist. Dass Beethoven einerseits besessen alte musikalische Formen studierte, diese dann aber im eigenen Komponieren immer sprengte. Und dass er, der wie kein anderer eine präzise Tempomessung einforderte und deshalb das frisch erfundene Metronom beim Komponieren eifrig benutzte, mit dem ersten Satz der „Pastorale“ eine Musik schrieb, in der die Zeit stillsteht.

Zum eigentlich Unvereinbaren gehört auch, dass das Revolutionäre in Beethovens Musik heute als allgemeines Kulturgut in eine permanente Aufführungs-Wiederholungsschleife getrieben wird – so frisst die bürgerliche Kunstausübung einen ihrer ersten Vorkämpfer. Es braucht gute Interpretationen, die Brüche, Schroffes und Kantiges zulassen, damit der kritische Stachel noch spürbar ist, der etwa einen zeitgenössischen Rezensenten die mit viel Rezeptions-Ballast beschwerte Kreutzer-(Violin-)Sonate als „ästhetischen oder artistischen Terrorismus“ abkanzeln ließ. Und es braucht wache Ohren, um heute noch wahrzunehmen, auf welch zeitlos unerhörte Weise Beethoven oft Form, Melodik, Rhythmik und Harmonik auflöst – wie etwa in der nur zweisätzigen letzten Klaviersonate (op. 111) in c-Moll, bei der am Ende nur noch eine zarte Kadenz übrig bleibt wie eine stille Sehnsucht. Ein einziges Jubiläumsjahr wird nicht ausreichen, um den Widerspruch Beethoven auch nur annähernd zu begreifen.

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