Dürres Zweiglein mit Kulleraugen: Twiggy war das erste Supermodel. Bis heute wird ihr vorgeworfen, den Magerwahn ausgelöst zu haben. Nun wird die immer noch schlanke Britin 70. Sie prangert das Schönheitsideal an.

Stuttgart - Viele Jahrzehnte bevor aus Claudia Schiffer, Cindy Crawford oder Kate Moss Supermodels wurden, lebte Lesley Lawson das, was Heidi Klum heute in ihrer Castingshow „Germany’s next Topmodel“ zum glamourösen Lebenstraum stilisiert. Twiggy, wie die 16-jährige Britin bereits in der Schule wegen ihrer dünnen Gliedmaßen genannt wurde, war eines der ersten Supermodels und in den Sechzigern ein Popstar. 1966 erschien das Magazin „Time“ mit dem Titel „London – The Swinging City“ und Twiggy, das Zweiglein, war das Aushängeschild der flirrenden Metropole. Sie war der Gegenentwurf zu den kurvigen Traumfrauen der Nachkriegsjahre, das Gesicht einer Jugendkultur, die sich gegen Althergebrachtes auflehnte und in der Rock-’n’-Roll nicht bloß Musik, sondern Protest und Lebensgefühl war.

 

Twiggy war hoffnungslos uncool, wie sie selbst sagt

Sie selbst wurde von dem Hype überrollt, verstand nicht, was da eigentlich passierte, schließlich war sie alles, was ein Model damals nicht sein sollte: zu jung (16), zu klein (1,55 Meter), zu dünn (Hüftumfang angeblich 55 Zentimeter). „Das war für mich ein Schreck wie für alle anderen“, sagte sie einmal in einem Interview mit dem Magazin der Süddeutschen Zeitung. Wie das eben so ist, wenn ein neuer Zeitgeist anbricht und sich Mode, Schönheitsideale, Weltanschauungen plötzlich ändern – so richtig einordnen kann man das erst im Nachhinein. Dabei war die im Nordlondoner Vorort Neasdon geborene Tochter eines Zimmermanns und einer Fabrikarbeiterin alles andere als Popstar-affin. „Ich war nie rebellisch, auch nie politisch“, sagte sie in dem Interview. „Ich habe nicht einmal Drogen genommen, bin nicht auf Partys gegangen.“ Hoffnungslos uncool sei sie gewesen. Lediglich stark geraucht habe sie.

Die Designerin Mary Quant zog ihr den Minirock an

Kurz nachdem Twiggy bekannt wurde, lud sie die amerikanische Modezeitschrift „Vogue“ nach New York ein, um Modeaufnahmen zu machen. Dort wurde sie von einer kreischenden Menge empfangen, sie bekam einen Bodyguard zur Seite gestellt. Twiggy wurde der Star der Modebranche und eines der teuersten Models der Welt. 1967 stellte die Designerin Mary Quant ihre Modesensation, den Minirock, in den USA vor. Ihr Lieblingsmodel Twiggy führte ihn vor. Manche werten das als Vorläufer des Feminismus, weil sie mit ihrer knabenhaften Figur so gar nicht den Pin-Up-Girl-Männerfantasien entsprach.

Heute wiegt Twiggy 53 Kilo

Weltweit hungerten, schminkten und frisierten sich die Mädchen, um den Look ihrer Ikone nachzuahmen – dünn, Kulleraugen und Bubikopf. Kritische Geister hielten Schilder hoch: „Gebt Twiggy zu essen“. Sie wog damals angeblich 41 Kilogramm. Bis heute wird ihr vorgeworfen, den Magerwahn ausgelöst zu haben. In einem Interview mit „Spiegel Online“ äußerte sich Lesley Lawson dazu: „Ich habe immer schon gesagt, dass ich damals sehr viel gegessen und nie eine Diät gemacht habe. Ich hatte einfach einen extrem schnellen Stoffwechsel und sehr gute Gene.“ Der Magerwahn werde immer eine Gefahr in der Modebranche bleiben. Sie selbst finde auch, dass einige Models zu dünn seien. Aber sie werde die Branche nicht ändern. Heute wiegt Twiggy laut eigener Aussage 53 Kilo.

Vom Model zur Schauspielerin und Sängerin

1970, vier Jahre nach ihrer Entdeckung, kehrte Lawson der Modelbranche bereits den Rücken. Sie wechselte ins Schauspiel- und Musikerfach. Für ihre Rolle im Film „The Boyfriend“ bekam sie einen Golden Globe. Am Broadway hatte sie eine Rolle im Musical „My One and Only“. 1977 heiratete Twiggy den US-Schauspieler Michael Witney, mit dem sie 1978 ihre Tochter Carly bekam. Witney starb bereits 1983. Seit 1988 ist sie mit dem Schauspieler Leigh Lawson verheiratet. Die beiden führen laut Twiggys Aussage ein beschauliches Leben in London. Was sie nicht davon abgehalten hat, mehrere Bücher heraus zu bringen, Parfum und Kosmetik unter ihrem Namen zu verkaufen, mehrere Alben aufzunehmen, ihr letztes „Romantically Yours“ erschien 2012.

Comeback als Model

Für das britische Modehaus Marks & Spencer feierte sie 2005 ein Comeback als Model. Außerdem saß sie in der Jury der US-Modelcastingsendung „America’s next Topmodel“. Auch wenn sie für die Briten eine Art Nationalheiligtum ist, könne sie noch ganz normal in den Supermarkt gehen. Das sieht dann so aus: „Manchmal kommt jemand und fragt ‚Sind Sie die, von der ich glaube, dass Sie es sind?’ Dann nicke ich und mache ‚Shhh’ und das war’s.“

Twiggys Aufstieg

Ein Freund der Familie arbeitete für ein Magazin und schickte die als Lesley Hornby in einem Arbeiterviertel im Norden Londons geborene zu einem Nobelfrisur in Mayfair. Mit schickem Bubikopf machte Twiggy Probeaufnahmen für das Magazin, die auch im Friseursalon aufgehängt wurden. Eine Modejournalistin des „Daily Express“ sah die Fotos und schrieb daraufhin einen Artikel mit der Überschrift „The Face of 66“. „Danach stand das Telefon nicht mehr still“, sagte Lesley Lawson in einem Interview. Ihre Modelkarriere beendete sie bereits nach vier erfolgreichen Jahren.