Düstere Zukunftsvision zwischen Bahnhof, Planetarium und Stuttgart-21-Baustelle: Das Citizen Kane Kollektiv wandert in „W3nn – D4nn“ mit seinen Zuschauer an realen und fiktiven Abgründen vorbei.

Stuttgart - Wahnsinnig verliebt sei er, sagt der schlaksige Universitäts-Absolvent und streicht sich mit abwesendem Blick durch sein strähniges Haar. Blöd nur, dass seine Angebetete ein Computerprogramm ist – und man das im echten Leben schwer den Eltern vorstellen kann. Oder? Mit seinem bei einem Theaterspaziergang zwischen Hauptbahnhof, Planetarium und Stuttgart-21-Baustelle uraufgeführten Stück „W3nn – D4nn“ spürt das Stuttgarter Citizen Kane Kollektiv solchen Gedankenspielen rund um das Thema Digitalisierung nach.

 

Dabei arbeitet die Aufführung mit zwei gegensätzlichen Konzepten: Der erste Teil der losen, episodenhaften Handlung ist bildgewaltig und beizeiten hübsch grotesk – zum Beispiel dann, wenn der eingangs erwähnte Endzwanziger mit bedrückend ehrlicher Begeisterung seiner digitalen Freundin verfällt. Oder wenn einem drahtigen Mann, den man eben noch im Werbespot für körperoptimierende Implantate gesehen hat, in einem religiösen Ritual mit bloßen Händen der eingebaute Mikrochip herausoperiert wird. Willkommen in der schönen, neuen Welt!

Mit solch düsteren Bildern beschwört das Citizen Kane Kollektiv um den Regisseur Christian Müller effektvoll die Dystopie eines Übermorgens, in dem Mensch und Technik zu einem Hybriden verschmolzen sind, der nichts von beidem wirklich mehr ist – um Selbstdigitalisierung bis zur Unmenschlichkeit geht es hier.

Zusammen ist man immer analog

Der Kontrast zum zweiten Teil des experimentellen Stadtspaziergangs könnte kaum größer sein. Während man gerade noch mit mulmigem Gefühl durch die Horrorvision einer von Algorithmen zerfressenen Welt stolperte, findet man sich im nächsten Moment nämlich barfuß zwischen fluffigen Schaumstoffbergen wieder. Und auch inhaltlich wird es gemütlicher: Wie man es von den Projekten des Kollektivs gewohnt ist, kreisen die Fragen, die nun erkundet werden, um die Darsteller selbst – sie schaffen dabei einen sanften Übergang zwischen digitaler und analoger Wirklichkeit. Fast unbemerkt schleichen sich in die Erzählungen, wer man mal war und wer man eigentlich gerne sein würde, digitale Bruchstücke ein: die Handynummer, die man nicht abgespeichert hat, der Computer, der in einer depressiven Phase zum Ersatzliebhaber wird. Trotz Community wabert so die Einsamkeit durch die Geschichten. Die Botschaft des Abends wird klar: Zusammen ist man letztlich eben doch nur analog.

Weitere Vorstellungen am 5., 6., 7. und 8. März, Treffpunkt Turmforum im Hauptbahnhof, Beginn ist jeweils um 19.30 Uhr.