Achtung, Kult! Rückkehr ins Schneekugel-Idyll von Stars Hollow, Connecticut: Die oft unterschätzte TV-Serie „Gilmore Girls“ setzt jetzt bei Netflix als vierteiliges TV-Event noch einmal die Screwball-Tradition der 1930er und 1940er Jahre fort.

Freizeit & Unterhaltung : Gunther Reinhardt (gun)

Stuttgart - Es soll Menschen geben, die nicht bei den News auf CNN oder im Politikteil dieser Zeitung das erste Mal über den Namen Barack Obama stolperten, sondern in einer Folge der TV-Serie „Gilmore Girls“. In der Rolle der Nachwuchsjournalistin Rory Gilmore verkündete Alexis Bledel im Finale der siebten Staffel im Mai 2007 nämlich, dass sie ihren Traumjob gefunden habe: Sie dürfe den demokratischen Präsidentschaftsbewerber Barack Obama auf seiner Wahlkampftour begleiten. Obama hatte drei Monate zuvor in Springfield seine Kandidatur bekannt gegeben. Und damals fragten sich einige noch, ob jemand, der nur einen Buchstaben von Osama entfernt ist, tatsächlich politisch Karriere machen kann in den USA. „Ich weiß nicht, wie lange ich weg sein werde“, warnte Rory damals ihre Mutter Lorelai und die Seriengucker, „es könnten ein paar Monate, aber auch Jahre dauern – je nachdem, wie erfolgreich Barack ist.“ Es sollten neun Jahre bis zum Wiedersehen mit den „Gilmore Girls“ vergehen.

 

Die Rückkehr der verlorenen Tochter Rory

Jetzt kehrt die verlorene Tochter also zurück nach Stars Hollow: für ein paar Stunden nur, dann fliegt sie weiter nach London. Mama Lorelai ist naturgemäß empört. Auch weil Rory, wie aus dem Ei gepellt aussieht, obwohl sie gerade aus irgendeinem Flieger gestiegen ist. Es wird eifrig wortreich gestritten und nebenher viel Kaffee getrunken. Dabei kommen dann auch schlechte Haarschnitte, „Zoolander 2“, „Les Miserables“ und Kashmir-Jogginghosen vor – bis Rory irgendwann die Puste ausgeht: „Puh, jetzt bin ich ganz außer Atem“, sagt sie. „Ja, es ist verdammt lang her, dass wir das gemacht haben“, sagt Lorelai.

Auch wenn einen hier nicht Katherine Hepburn und Spencer Tracy schwindelig quatschen, sondern die toughe Mutter (Lauren Graham) und ihr ehrgeizige Tochter (Alexis Bledel), so macht doch der Eröffnungsdialog des „Gilmore Girls“-Comebacks deutlich, wie sehr die Serie in der Tradition der klassischen Screwballkomödien steht und wie herrlich skurril die Welt ist, in der die Serie spielt.

One-Night-Stand mit einem Wookie

„Diese Stadt existiert nur in einer riesigen Schneekugel“, sagt Lorelai dann auch in der ersten der vier neuen anderthalbstündigen Episoden. Stars Hollow ist ein exzentrisch-überdrehte Hommage an das Kleinstadtamerika, ist als Ort inszeniert, in der die Welt noch in Ordnung ist und Donald Trump weit, weit weg ist. Selbst als Oma Emily Gilmore (Kelly Bishop) ihre Enkelin einst mal dazu genötigt hat, dem erzkonservativen Club Daughters of the American Revolution beizutreten, hatte die reaktionäre Seite Amerikas irgendwie Charme. Vor allem aber dachte sich die Serienerfinderin Amy Sherman-Palladino kuriose Gastauftritte aus. Norman Mailer schaute mal in Lorelais „Dragonfly Inn“ vorbei, Carole King spielte eine rabiate Musikalienhändlerin, Paul Anka, der Hund, verwandelte sich in Paul Anka, den Sänger. Die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright erschien Rory im Schlaf, die CNN-Reporterin Christiane Amanpour gab ihr Karrieretipps, und Sonic Youth versuchten sich hier als Straßenmusiker.

Jetzt bei der Rückkehr der „Gilmore Girls“ scheint in Stars Hollow die Zeit still gestanden zu haben. Aber nur auf den ersten Blick. Rory, einst die brave Streberin, ist inzwischen 32 und damit genauso alt wie ihre Mutter Lorelai, als die Serie im Jahr 2000 erstmals ausgestrahlt wurde. Bald schon wird sie einen One-Night-Stand mit einem Wookie haben – beziehungsweise einem Unbekannten, den sie nie ohne seine Chewbacca-Maske sehen wird. Und obwohl sie gerade einen Artikel im „New Yorker“ untergebracht hat und jeder in Stars Hollow ein Exemplar gekauft hat, ist Rorys Journalistenkarriere ins Stocken geraten.

Viel Kaffee und noch mehr Text

Das Serien-Comeback, das die Gilmore Girls durch die Jahreszeiten begleitet, zeigt ein großartiges amerikanisches Sittengemälde, erzählt aus einer Stadt voller liebenswerter Exzentriker, in der der Schirmmützen- und Karohemdenfettischist Luke Danes (Scott Patterson) als einziger wirklich Bodenhaftung zu haben scheint.

Es wird wieder viel zu viel Kaffee getrunken, viel zu viel und viel zu schnell geredet: diesmal etwa über Neil Patrick Harris‘ Leihmutter, Marie Kondos Aufräumbücher oder Def-Leppard-T-Shirts. Grant-Lee Phillips ist immer noch der Town Troubadour, Hep Alien covern jetzt Joe Jackson, und keines der WLAN-Passwörter in Luke‘s Diner funktioniert. Ach, wie schön ist es, wieder Zuhause zu sein.

Ab 25. November bei Netflix abrufbar