Martin Schulz soll an diesem Sonntag offiziell zum SPD-Parteivorsitzenden gekürt werden. Aber kann er die CDU-Chefin Angela Merkel wirklich schlagen? Die Stärken und Schwächen der beiden im Vergleich.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - In den Niederlanden ist zu besichtigen, wie es Sozialdemokraten ergehen kann, die keinen Martin Schulz aufzubieten haben. Die Partij van de Arbeid, SPD-Pendant im Parlament von Den Haag, ist bei der Wahl diese Woche auf Zwergenmaß geschrumpft. Genosse Trend marschiert in vielen Ländern weg von links. In Frankreich ist das so, in Großbritannien ebenfalls. Ähnlich miserabel war auch die Lage der SPD, bevor sie Schulz zum Kanzlerkandidaten kürte. Was kann Schulz besser als Merkel? Schulz startet mit dem Bonus eines Newcomers, obwohl er ein alter Hase ist, lange Zeit führender Kopf der politischen Kaste in Brüssel, auf die viele Wähler ihren Verdruss projizieren. In Deutschland hatte er nie ein Regierungsamt inne, deshalb kann ihm nicht angelastet werden, was sich in den zwölf Jahren unter Merkel an Unmut aufgestaut hat. Schulz ist leutselig, spricht Klartext, muss keine diplomatischen Rücksichten nehmen. Er kann sein Publikum schwindlig reden. Die Kanzlerin tummelt sich auf roten Teppichen und dem glänzenden Parkett der Hauptstädte – er hat massenhaft Zeit, um die Nähe seiner Wähler zu suchen. Während Merkel immer ein bisschen spröde erscheint, beherrscht er die kumpelige Tour. Schulz geht mit den dunklen Flecken in seiner Vita regelrecht hausieren. Das verschafft ihm Glaubwürdigkeit – und Sympathie bei allen, denen es auch nicht an Schwächen mangelt. Wofür steht er? Ein komplettes Wahlprogramm gibt es bisher nicht. Schulz hat sich im Vorwahlkampf mit nur wenigen konkreten Ansagen als Gerechtigkeitsapostel in Szene gesetzt. Er verspricht Korrekturen an der bei SPD-Nostalgikern verhassten Agenda 2010, die manche Genossen immer noch für eine Erbsünde halten. Die Überschüsse im Staatshaushalt will er in Bildung und Pflege investieren, statt Steuern zu senken oder Schulden zu tilgen. In vielen anderen Grundsatzfragen unterscheidet er sich kaum von Merkel. Wie sind seine Chancen? Schulz hat der SPD das großartigste Comeback beschert, das in der jüngeren Geschichte auf der politischen Bühne zu erleben war. In Umfragen stiegen ihre Werte binnen weniger Wochen gleich um zweistellige Prozentpunkte. Einige Demoskopen sehen die SPD inzwischen gleichauf mit der Union bei 31 bis 33 Prozent. Die politische Stimmung hat sich mit der Schulz-Kür komplett gedreht. Allerdings haben sich Merkels Werte im direkten Vergleich mit Schulz inzwischen wieder verbessert. Aus diesen Momentaufnahmen lässt sich noch kein Trend für die Wahl ablesen, allenfalls die Erkenntnis, dass es deutlich knapper zugehen wird als vor vier Jahren. Da lag die Union fast 16 Punkte vor der SPD. Diesmal ist noch offen, wer stärkste Partei wird. Wechselfieber zeichnet sich noch nicht ab. Mit wem könnte er regieren? Eine durchaus wahrscheinliche Variante ist die Neuauflage der großen Koalition – mit einem gestärkten SPD-Vizekanzler, der dann Schulz hieße. Inzwischen lassen einige Umfragen den Schluss zu, dass es auch für eine sozialdemokratisch geführte Regierung mit Grünen und Linken reichen könnte. Wenn in Nordrhein-Westfalen nach der Wahl im Mai eine sozialliberale Koalition zustande käme, wäre im Bund auch ein Bündnis von SPD, Grünen und FDP denkbar. Solche Dreierkonstellationen sind aber heikel. Was muss er fürchten? Jegliche Krise – mit Ausnahme erneut steigender Flüchtlingszahlen. Das würde Merkel angekreidet. Die Kanzlerin könnte aber davon profitieren, wenn die Lage auf anderen Feldern schwierig wird: das Verhältnis zu den USA, die Reibereien mit Russland, auf den Finanzmärkten oder im Nahen Osten. In brisanten Situationen setzen die Wähler nicht auf einen Wechsel, sondern auf Kontinuität. Riskant für Schulz ist sein Mangel an innenpolitischer Erfahrung. Da hat er bisweilen nicht die richtigen Zahlen zur Hand, um seine Wahlkampfargumente zu unterfüttern. Das könnte ihm als postfaktische Propaganda à la Trump ausgelegt werden. Schulz’ Gerechtigkeitskampagne stößt auf vehemente Kritik der Wirtschaftsverbände.