Dem deutschen Eishockey-Team gelingt mit dem 4:3 ein historischer Sieg gegen Weltmeister Schweden. Zum ersten Mal seit 1976 ist wieder eine Olympiamedaille im Eishockey möglich.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Pyeongchang - Franz Reindl stand ergriffen da, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben und ließ die Atmosphäre auf sich wirken. Dann sprach er aus, was alle dachten: „Pyeongchang - Das war mehr als eine Sensation. Was die Mannschaft geleistet hat, unglaublich – die Spieler sind alle über sich hinausgewachsen“, sagte der Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) und schüttelte den Kopf, um seine Worte damit zu unterstreichen. Franz Reindl war sich des historischen Ausmaßes dieses Augenblicks voll bewusst und deshalb wollte er ihn auskosten.

 

Dramatisch, glücklich und verdient

Wenige Minuten zuvor hatten die Deutschen im Viertelfinale des Olympischen Eishockey-Turniers die scheinbar übermächtigen Schweden mit einem dramatischen, glücklichen und am Ende doch verdienten 4:3(2:0, 0:0, 1:3, 1:0)-Erfolg nach Hause geschickt. Nur zur Hilfestellung für diejenigen, die nicht die Eishockey-Champions von 1920 bis 2017 auswendig aufsagen können: Das Tre-Kronas-Team ist amtierender Weltmeister.

Marco Sturm sah ebenfalls nicht so aus, als sei er vor Freude wie ein Irrwisch übers koreanische Eis getanzt. Lässig und eloquent wie gewohnt, man sieht ihm eigentlich so gut wie nie an, ob seine Mannschaft gewonnen oder verloren hat, stand der Bundestrainer in den Katakomben der Ice Arena Kwandong. „Der Glaube war’s“, sagte Sturm ruhig, aber mit Nachdruck. Er meinte, den Glauben an die eigene Stärke, den Glauben, dem Weltmeister nicht nur Paroli bieten zu können, sondern ihm richtige Schmerzen zuzufügen. „Wenn wir an uns glauben“, sagte der 44-Jährige, „dann können wir einiges erreichen. Die Schweden hatten mehr vom Spiel, aber wir haben in den richtigen Momenten zugeschlagen.“

Erst der dritte Sieg über Schweden

Dieses 4:3 durch die Tore von Christian Ehrhoff (14.), Marcel Nöbels (15.), Dominik Kahun (49.) und Patrick Reimer nach 90 Sekunden in der Verlängerung war erst der dritte Sieg in der DEB-Geschichte über die Schweden in einem großen Turnier, der letzte Erfolg datiert vom 1. Mai 1992 bei der WM in Prag (5:2), der erste vom 31. März 1971 bei der WM in Genf (2:1). „Halbfinale“, sagte Sturm und man vernahm den mitschwingenden Stolz in der Stimme des Bundestrainers: „Allein das Wort.“

Halbfinale.

Dass die Schweden stocktechnisch den Deutschen überlegen sind, ist nicht neu, auch spielerisch hatten die Skandinavier Kombinationen präsentiert, die als Kabinettstückchen auf Youtube gut stünden. Nach elf Minuten hatte der Weltmeister 13-mal aufs Tor geschossen, die Deutschen lediglich einmal. Aber sie hielten das zu null. Sie rackerten, gingen keinem Check aus dem Weg, warfen sich in Schüsse – und wenn eine Scheibe doch mal durch kam, war Goalie Danny aus den Birken bereit.

Reimer trifft in der Verlängerung

„Was die Jungs da geblockt haben, sensationell“, sagte der Torhüter des EHC München. Wie aus dem Nichts führte Sturms Team plötzlich 2:0, innerhalb von 29 Sekunden. Das Anschlusstor der Tre-Kronas beantwortete Kahun mit dem 3:1, und obwohl die Schweden mit einer Energieleistung zum 3:3 ausglichen – und so ziemlich jeder in der Arena in der Verlängerung auf den Todesstoß für die Deutschen wartete – lag die Scheibe unglaublicherweise plötzlich auf einmal hinter Viktor Fasth, wo sie Patrick Reimer hingestochert hatte. „Das zeichnet diese Mannschaft aus, dass sie immer zurückkommt“, betonte Franz Reindl, „das war schon gegen die Schweiz im K.-o.-Spiel so und heute wieder.“

Dreimal mussten die Deutschen zuletzt in die Verlängerung. Erst gegen Norwegen (2:1 n.P.), dann gegen die Schweiz (1:0 n.V.) und nur einen Tag danach nun gegen Schweden – dennoch war kein Kräfteverschleiß zu erkennen, die DEB-Truppe wankte zwar gegen die Skandinavier, sie musste auf die Zähne beißen, doch sie fiel nicht. „Das ist das Momentum“, meinte Danny aus den Birken, „wir nehmen von den Siegen immer so viel Energie mit, die uns stark macht. Teamgeist ist stärker als die individuelle Klasse.“ Teamgeist, genau das ist es, was Marco Sturm seit seinem Amtsantritt im Sommer 2015 in der Kabine und auf den Lehrgängen predigt. „Wir sind eine große Familie, nur als Mannschaft kommen wir zum Erfolg“, lauten die Sätze, die der Bundestrainer gerne vor den Medienvertretern formuliert – offenbar ist es dem einstige NHL-Star gelungen, dass diese Postulate nicht bloß die Ohren seiner Profis erreicht haben, sondern auch deren Herzen.

Im Halbfinale wartet Kanada

Die deutsche Mannschaft wird noch zwei weitere Male ins Olympische Turnier zurückkommen, zunächst am Freitag (13.10 Uhr) im Halbfinale gegen Kanada, die Nordamerikaner hatten Finnland im Viertelfinale mit 1:0 eliminiert. „Unser Weg soll doch nicht nach einem solchen Wahnsinnspiel zu Ende sein“, sagte Patrick Reimer, „wir haben heute etwas Großes erreicht, aber da ist doch noch viel mehr drin.“ Beispielsweise eine Olympia-Medaille, wie Franz Reindl eine bronzene 1976 in Innsbruck gewonnen hat. „Das ist nicht zu vergleichen“, ordnete der DEB-Chef die Bedeutung ein, „das jetzt ist viel mehr wert.“ Die deutschen Eishockey-Spieler sind nur noch einen Sieg davon entfernt, Geschichte zu schreiben.