Was bewirkt die Musik beim Film? Und wie schwer ist es eigentlich, einen Film nachzuerzählen? Der Ludwigsburger Filmproduzent Jochen Laube zeigt mit seinem Filmfestival Lichtspielliebe Wege auf, wie das Kino sich neu erfinden könnte.

Ludwigsburg - „Das ist meine ureigenste Aufgabe“, sagt Jochen Laube auf die Frage, ob jetzt schon die Filmproduzenten persönlich das Kino retten müssen. Die Zuschauerzahlen gehen zurück, und um zu zeigen, das das nicht sein müsste, hat Laube ein kleines Filmfestival organisiert im Scala-Kino in seiner Heimatstadt Ludwigsburg, der er nach dem Studium an der Filmakademie treugeblieben ist. „Es reicht nicht, ein Plakat aufzuhängen und dann mit dem Finger auf Netflix zu zeigen, wenn keiner kommt“, sagt Laube mit Blick auf die Streamingdienste, der schärfsten Konkurrenz für die Kinos.

 

Lichtspielliebe“ heißt Laubes Festival, er zeigt deutsche Spielfilme wie den generalüberholten Klassiker „Himmel über Berlin“, den Jugendfilm „Das schönste Mädchen der Welt“ und das Drama „Wackersdorf“, das daran erinnert, dass bürgerlicher Widerstand gegen zweifelhafte Projekte von Politik und Wirtschaft erfolgreich sein kann – der Hambacher Forst lässt aktuell grüßen. Gäste sind geladen, zum „Himmel“ kam Wim Wenders persönlich, was natürlich damit zu tun hat, dass Laube einer der engagiertesten deutschen Filmproduzenten ist und seine Liebe echt.

Ein Lehrfilm zur Zahnpflege bekommt Spannungsbögen

Er probiert auch alternative Veranstaltungsformate für den Erlebnisraum Kino aus, am Freitagabend eine Mischung aus Live-Filmmusik und Publikumspartizipation. Der Regisseur Dietrich Brüggemann, der Filme wie „Renn, wenn du kannst“ gemacht hat und den Stuttgart-„Tatort“ „Im Stau“, erweist sich als virtuoser Pianist, während er Stummfilme vertont – zuerst sehr gewitzt Buster Keatons geniale Hausbau-Klamotte, dann auf Stichwort-Zuruf aus dem Publikum Zufallsfunde auf Youtube. Für viel Gelächter sorgt „Ask your Dentist“, ein US-amerikanischer Lehrfilm zur Zahnpflege von 1930 , der dank Brüggemanns Jazz-befeuertem Einfallsreichtum ungeahnte Spannungsbögen bekommt.

Dazu kommt das „Festival des nacherzählten Films“, gegründet 1999 in Düsseldorf. Am Freitag in Ludwigsburg zeigt sich, dass das Konzept nach wie vor funktioniert – wahrscheinlich besser denn je, weil es eine der ältesten menschlichen Kulturtechniken zelebriert, die im digitalen Überfluss unterzugehen droht: das Geschichtenerzählen. Freiwillige aus dem Publikum haben bis zu zehn Minuten Zeit, einen Film nachzuerzählen, der sie beeindruckt hat oder vor dem sie warnen wollen. Ein junges Paar müht sich mit dem aktuellen Historiendrama „Werk ohne Autor“ ab und offenbart dabei schlüssig, wieso es den Film weder mochte noch verstanden hat. Ein Herr nimmt sich Terry Gilliams aktuellen Streifen „The Man who killed Don Quixote“ vor und schafft es, die etwa zweistündige Traumsequenz sehr pointiert und respektvoll zu demontieren.

Wie „American Pie“ 13-Jährige aufwühlt

Zwei Studentinnen haben Hal Ashbys „Harold und Maude“ von 1971 entdeckt und sind offensichtlich beeindruckt von der starken Frauenfigur, beseelt ist vom emanzipatorischen Geist der Gesellschaftsrevolution der späten 60er Jahre, der in den USA gerade an einer höchstrichterlichen Frage unter die Räder zu geraten droht. Eine andere Studentin erzählt, wie sie als katholisch zur Züchtigkeit erzogenes Mädchen mit 13 die von Sex-Anspielungen durchzogene US-Komödie „American Pie“ anschaute und hinterher völlig aufgewühlt war. Am Ende weiß man mehr über sie, ihre Pubertät und ihr Erlebnis mit dem Medium, als über den Film. Und das ist genau richtig so, denn Jochen Laubes „Lichtspielliebe“ wird hier exemplarisch: Nirgends sonst kann man Film so intensiv gemeinsam erleben wie im Kino und sich hinterher direkt darüber austauschen.