Esslingen hat drei Tage lang sein Kulturfest gefeiert. Während viele kleinere Initiativen und Organisatoren mit originellen Beiträgen zum Gelingen des Spektakels beigetragen haben, sind die als Höhepunkt angekündigten „Theaterräume“ künstlerisch fast komplett misslungen.

Entscheider/Institutionen : Kai Holoch (hol)

Esslingen - Auf den neuen Kulturamtsleiter Benedikt Stegmayer wartet eine Menge Arbeit. Offiziell fängt er zwar erst am 2. November in Esslingen an. Wenn er aber das Revue passieren lässt, was er am Wochenende auf seiner Erkundungsrunde durch die Altstadt erlebt hat, sollten bei ihm alle Alarmglocken schlagen.

 

Natürlich ist es das gute Recht von Kunst, auch einmal zu scheitern. Man kann es deshalb als Glücksfall bezeichnen, dass die bisherigen Kernstücke des dreitägigen Kulturfestivals „Stadt im Fluss“, die „Stadtoper“ 2007, die „Stadtinszenierung“ 2009 und die „Stadtreflexionen“ 2012 durchaus dazu geeignet waren, Esslingen als Ort kulturell innovativer Kunstangebote überregional zu positionieren. Doch mit dem Versuch, beim diesjährigen Festival mit den „Theaterräumen“ Esslingen in Szene zu setzen, sind fast alle Beteiligten unter der Leitung des Stuttgarter Regisseurs Wilfried Alt grandios gescheitert.

Interviews als Basis des Theaterabends

Dabei war die Idee eigentlich interessant: In Interviews haben zahlreiche Esslinger aus ganz unterschiedlichen Berufen, Ländern und mit ganz unterschiedlichen Meinungen und Blickwinkeln ihre Geschichte erzählt. Daraus sollte ein Bild entstehen, dass die Gefühlslage der Menschen vermittelt. Allerdings ist es Wilfried Alt nur in ganz wenigen Sequenzen gelungen, den Interviews bei der Bearbeitung zumindest eine gewisse literarische Qualität einzuhauchen – von einer bühnentauglichen Umsetzung ganz zu schweigen.

Statt dessen reihte sich Plattitüde an Plattitüde. Der Besucher bekam zwischendurch ein paar Informationen zur Stadt geliefert – und nicht selten mündeten die Szenen in der Erkenntnis, dass Esslingen schön ist, aber . . . Dass an zentraler Stelle am Marktplatz ausgerechnet die irrelevanteste Szene spielte, in der Esslingen zur Revolutionsstadt ausgerufen wurde, machte das Ausmaß des Dilemmas deutlich.

Hinter den künstlerischen verblassen die anderen Gründe des Scheiterns. Einige davon lassen sich in Zukunft vermeiden. So war es eine Fehlentscheidung, das Festival aus dem September in den Oktober zu verschieben. Irgendwann ist die Begeisterung der Menschen für Freiluftveranstaltungen erschöpft. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie leer die Stadt gewesen wäre, wenn das Wetter am Freitag und Samstag nicht so mitgespielt hätte.

Das Interesse hat nachgelassen

Aber auch so war nicht zu übersehen: das Interesse an „Stadt im Fluss“ hat nachgelassen. Am Freitag mögen – wohlmeinend – 1000 Theaterfreunde unterwegs gewesen sein, um die sechs Aufführungsstätten anzulaufen oder an einem der drei Theaterspaziergänge teilzunehmen. Am Samstag waren es dann zwar deutlich mehr Besucher, die sogar kurzfristig so etwas wie Festival-Atmosphäre auf den Marktplatz zauberten. Aber verglichen etwa mit den Publikumsmassen, die sich einst bei der „Stadtoper“ durch die Altstadt bewegt haben, ist grauer Festival-Alltag eingekehrt.

Fast vollkommen aus dem Blick geraten ist die ursprüngliche Idee von „Stadt im Fluss“. Ziel war es doch, den im Esslinger Namen verankerten Neckar wieder ins Bewusstsein der Menschen zu rücken und ihn als Lebensader der Stadt zu begreifen. Das Bootsgerippe, das der Künstler Bertl Zagst in Klein-Venedig zu Wasser gelassen hat und das an die Flüchtlingsnot erinnern sollte, stand dieses mal sinnbildlich auch für den Verlust dieses Esslinger Selbstverständnisses.

Tolle Ideen der Kulturtreibenden

Problematischer wird die Fehleraufarbeitung, wenn es um die vom Gemeinderat ausdrücklich gewünschte Einbindung der gesamten Esslinger Kulturszene in das Theaterprojekt geht. Natürlich ist es schön, wenn möglichst viele Vereine, Chöre und Laienkünstler sich beim „Stadt im Fluss“-Festival einbringen. Aber ob es wirklich notwendig ist, dass sie das im Rahmen eines hoch ambitionierten Theaterprojekts tun müssen, oder ob sie nicht besser mit eigenen originellen Ideen einen Beitrag zum Gelingen des Festivals liefern könnten, muss dringend diskutiert werden. Am Wochenende jedenfalls gab es etliche Beispiele für wirklich tolle musikalische und künstlerische Ideen der Esslinger Kulturtreibenden jenseits der „Theaterräume“. Stellvertretend sei die wundervoll mystische „Peepshow“ der Esslinger Kunstakademie im Kutschersaal genannt.

Immerhin: ein paar Höhepunkte gab es auch bei den „Theaterräumen“: Den gewaltigen Ginkgo-Baum neben der Volksbank sollte man tatsächlich als Schattenspender entdecken. Kira Thomas setzte als Marder Barbieru in einem der Stadtspaziergänge frech und provokativ den Multikultigedanken tierisch in Szene. Und Gerhard Polacek agierte gewohnt überzeugend, dieses Mal als transzendentaler Kommunikator. Ihm war es vorbehalten, den „Chor der Toten“ von Conrad Ferdinand Meyer zitieren zu dürfen. In diesen Momenten erlebte das diesjährige „Stadt im Fluss“-Festival seinen künstlerischen Höhepunkt.