Der Graf ist ein Voyeur, und der Leser wird es mit ihm. Objekt der Neugier, dargestellt im Stil einer geschmäcklerisch-schlüpfrigen Reportage, ist eine Mätresse, Tochter eines armen Schleusenwärters und einer Concierge, vom lebemännischen Grafen in Seide gekleidet. Die Liebesnächte mit der emporgekommenen Kurtisane findet er göttlich, nur ihr Verschwinden allmorgens verdutzt ihn – wohin verdrückt sie sich? Er findet sie in einer Besenkammer, emsig beschäftigt, seine Stiefel einzufetten und zu wienern, beiläufig, wie es heißt, auch mit „spritzigen“ Folgen. Und noch Stunden zuvor war dieser Putzteufel seine Grande Dame gewesen . . .

 
Der Graf sinniert: „Sie ist eben die Tochter ihres Vaters und ihrer Mutter. Jeden Morgen denkt sie beim Aufwachen an ihre Jugend, die schöne Jugend, als sie inmitten der schönen Schuhe aller Mieter auf der schmierigen Treppe stand. Sie denkt nach, und dabei überkommt sie ein wildes Verlangen, irgend etwas zu reinigen, und wäre es nur ein armseliges Paar Stiefel. Sie hat nun einmal eine Leidenschaft für Stiefelwichse, so wie andere für Blumen. Das ist ein Geschmack, der für sie beschämend ist, und sie empfindet dabei eine seltsame Wollust. Und so steht sie auf und geht in ihrem Luxus, in ihrer makellosen Schönheit, um mit ihren weißen Händen Stiefelsohlen abzukratzen und ihre Feinheit – die Feinheit einer großen Dame – mit schmutziger Lakaienarbeit zu beflecken.“

Psychologe mit Spürsinn

Die Schmutzwollüste, absolut unstandesgemäß, desillusionieren den Grafen. Er zahlt die Mätresse aus mit fünf Sous, wendet sich ab, will von ihr nichts mehr wissen – sie aber verlangt pampig hunderttausend Francs als Abfindung, worauf er ihr die Gegenrechnung schickt: Stiefelreinigen kostet 25 Centimes pro Tag, macht für drei Monate 23 Francs, exakt diese Summe werde er ihr übermitteln lassen durch den Kammerdiener – valet Illusion, verabschiedet ist so zugleich die kapitalistische Lebenslüge des Grafen. Als scharf blickener Psycholog, begabt mit journalistischem Spürsinn und dem Erzähldrang des großen Romanciers, hat der Autor dieser Erzählung den Stil einer ganzen Epoche geprägt. Seine Novellen und Erzählungen bieten Natur- und Sozialgeschichte en miniature, zwischen Zweitem Kaiserreich und Dritter Republik das Beste, um die Gesellschaft jener Zeit vom Kopf bis zum gewichsten Schuh kennenzulernen.