Michail Lazaridis mit seinem Vater an dessen letztem Arbeitstag bei Bosch. Rechts Sara Güney mit ihrer Mappe für 25 Jahre Mitarbeit. Foto: Michail Lazaridis / Sara Güney
Ein vom Stellenabbau betroffener Beschäftigter und eine Ex-Boschlerin aus dem Kreis Esslingen sprechen über den Konzern. Er ist seit 40 Jahren im Unternehmen, sie war es 25 Jahre lang.
Seit 70 Jahren gibt es das Bosch-Stammwerk zur Produktion von Elektro-Werkzeugen in Leinfelden, seit knapp 40 Jahren ist Michail Lazaridis dort beschäftigt. Ende 2026 wird das Werk geschlossen. Und Michail Lazaridis verliert seinen Job. Wenn der Familienvater aus Filderstadt von seiner Zeit bei Bosch erzählt, hört man die tiefe Enttäuschung aus seiner Stimme heraus: „Ich bin mit Leib und Seele ein echter Boschler gewesen – oder nein, ich bin es immer noch – leider.“
Mit 15 Jahren hat Lazaridis eine Lehre an der Universität Vaihingen angefangen, sein Vater habe bei Bosch gearbeitet, seine Mutter und sein Bruder auch. Sein Vater sei es gewesen, der ihm damals empfohlen habe, bei dem Unternehmen anzufangen. „Er hat mir erzählt, dass Robert Bosch ein guter Mensch war. Hartes arbeiten wird bei Bosch belohnt. Bis jetzt war es auch so. Bis jetzt“, sagt der 58-Jährige resigniert. Das Power-Tools-Werk in Leinfelden beschreibt er als kranken Menschen. Irgendwann sei der Krebs gekommen, dann die Intensivstation, dann stand der Tag des Todes fest.
„Mitgeteilt wurde uns das auf eine kalte Art und Weise – managementmäßig eben“, sagt Lazaridis. Er sei dankbar dafür, so lange bei Bosch gearbeitet zu haben. Entgeltloses Schaffen nach Feierabend und im Urlaub gehörte für ihn zur stolzen Selbstverständlichkeit – wie für viele andere Beschäftigte des Unternehmens auch. Aber in den vergangenen fünf Jahren habe er gemerkt, wie der Ton rauer wurde, „wie Bosch von der Stiftung zur AG wird“, beschreibt er. Statt um Vertrauen gehe es nur noch ums Geld. „Und das holt man sich aus Ländern, in denen das Wort Demokratie nicht existiert.“ Die Produktion in Leinfelden wird nach Ungarn und China verlagert. Von den Beschäftigten aus Ungarn, die auch Lazaridis gerade einlernt, höre man, wie hart die Bedingungen dort seien. Bosch äußert sich auf Nachfrage nicht zu den Verlagerungen in die beiden Länder.
Wie sehen Boschs Unternehmenswerte aus?
Aber: „Wir verstehen die Emotionen unserer Mitarbeitenden, das geht an niemandem spurlos vorbei. Dennoch ist an unserer werteorientierten Unternehmenskultur nicht zu rütteln“, heißt es von Bosch. „Wir stehen fest zu unseren Unternehmenswerten wie Offenheit und Vertrauen, Fairness, Respekt und Zuverlässigkeit.“ Gleichzeitig sei jedoch auch „die Zukunfts- und Ertragsorientierung seit jeher unser erster Bosch-Wert“.
Werte und Sozialpartnerschaft schließen Stellenabbau nicht aus, teilt das Unternehmen mit. Die wirtschaftliche Lage mache den Abbau nötig, um das Bestehen von Bosch nicht zu gefährden und weitere Arbeitsplätze zu schützen. „Nicht die Kultur wandelt sich, sondern die Zeiten und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.“
Bosch müsse seine Werte umschreiben, findet dagegen Lazaridis. Vor allem gegenüber den jüngeren Beschäftigten müsse das Unternehmen ehrlicher sein. „Ich habe einen Kollegen, 30 Jahre alt mit Frau. Er hat sich hier frisch ein Haus gekauft und jetzt wird ihm gekündigt“, erzählt er. Ihn selbst trifft die Werksschließung auch hart. Im Februar 2026 wäre er 40 Jahre im Unternehmen gewesen und hätte entsprechend eine Prämie bekommen. Doch Mitte des Jahres schaffte Bosch eben diese Prämien für 10, 25 oder 40 Jahre Betriebszugehörigkeit ab. Seine Urkunde und silberne Nadel für 25 Jahre im Unternehmen gab der Familienvater daraufhin zurück.
In den vergangenen Monaten habe er erlebt, was Bosch unter Wertschätzung verstehe. „Das ist nicht mehr mein Bosch. Das Vertrauen ist verloren. Ich hätte gerne weiter für Bosch gearbeitet – aber die wollen mich halt nicht mehr“, sagt Lazaridis mit einem resignierten Auflachen. Bosch sei nicht mehr der soziale Betrieb, den viele im Kopf hätten.
Auch in schweren Zeiten wie der Coronapandemie hat Michail Lazaridis gerne und erfolgreich bei Bosch gearbeitet. Foto: Michail Lazaridis
Das sieht auch Sara Güney so. Die Esslingerin hat 25 Jahre bei Bosch gearbeitet, bis sie im vergangenen Jahr die Firma verlassen hat. „Ich habe für das Unternehmen gelebt“, sagt sie. „Was mich damals in der Ausbildung 1999 überzeugt hat, waren die Werte der Person Robert Bosch. Dieses Soziale, dass der Mensch immer im Vordergrund steht.“ Viel sei davon nicht mehr übrig. In ihrer Zeit bei Bosch habe sie einige sehr schöne Jahre, aber auch schlimme Phasen erlebt. Streitigkeiten über Gehalt, Aufgabenverteilungen, Umgang mit schwerer Krankheit: „Das sind keine Bosch-Werte mehr. Ich bin eine alleinerziehende Mama mit drei Kindern – wo ist die Menschlichkeit geblieben?“, fragt Güney.
„Nicht mehr anders als andere Unternehmen“
Bosch verhalte sich nicht mehr anders als andere Unternehmen: Wer ist effektiv? „Es zählen Zahlen, Daten, Fakten. Im Vordergrund steht das Business, nicht mehr der Mensch“, sagt die 44-Jährige. Ihren früheren Kollegen rate sie, vorsichtig zu sein, zur IG Metall zu gehen und eine gute Rechtsschutzversicherung abzuschließen. „Wie man an dem Stellenabbau sieht, wird es immer schlimmer. Wer das Kleine nicht ehrt, ist das Große nicht wert.“ Güney geht davon aus, dass Bosch immer mehr Arbeitsbereiche ins Ausland verlagern wird. Die Personalkosten in Deutschland seien einfach zu hoch.
„Das Unternehmen hat Innovationen und Investitionen, etwa im KI-Bereich und in der Elektromobilität, verschlafen“, meint Michail Lazaridis. Zudem sei die Konkurrenz in Boschs Geschäftsfeld sehr groß geworden – und gleichzeitig in der Werbung präsent. Von der Schließung sei er deshalb nicht wirklich überrascht gewesen. Aber: „Früher, da hätte Bosch gute Mitarbeiter behalten, um aus der Krise herauszukommen“, so Lazaridis. Jetzt werde er wohl das Abfindungsprogramm annehmen. Mit ihm geht eine Familien-Ära bei Bosch zu Ende. Seine Kinder hätten sich bereits gegen das Unternehmen entschieden.