Aber wer weiß schon, ob alles Unheil wirklich von Ilva kommt? „Der ferne Staat hat uns mit seinen Unternehmen regelrecht umzingelt und verwüstet“, sagen sie in Taranto. Da waren die großen Schiffswerften, da ist seit gut hundert Jahren der riesige Stützpunkt der italienischen Kriegsmarine, da ist ein gewaltiges Zementwerk, da ist die Raffinerie. „Die stellt auch nicht gerade Bonbons her“, sagt der Gewerkschafter Panarelli. Und die berühmten Tarantiner Miesmuscheln, die im „Kleinen Meer“ mit seinem geringen Salzgehalt zu einem derart unvergleichlichen Aroma heranreiften, dass manche Einheimische „nie im Leben andere“ essen wollten, wer hat sie wirklich mit Dioxin verseucht, mit PCB und anderem Teufelszeug? Und woher stammen die Miesmuscheln, die heute an den Straßenecken verkauft werden, in dicken, schwarz glänzenden Trauben, frisch aus dem Wasser gezogen und mit einem feuchten Tuch vor der Sonne geschützt?

 

Wand an Wand mit Ilva liegt der Friedhof von Taranto. Wie die Kinder, so dürfen auch die Totengräber kein Erdreich anfassen. Jedenfalls solange sie nicht die Antigift-Spezialausrüstung haben. So hat es der Bürgermeister angeordnet. Die Toten liegen so lange auf Eis. Und zwischen den bis zu fünfstöckigen Begräbnishäusern riecht es nicht nur nach Ilva. Hier bricht und verstärkt sich vielfach das mächtige Rumoren, das aus dem Stahlwerk dringt, wie der Motorenlärm eines tonnenschweren Generators. An manchen Stellen dröhnt es so, als schwebte über einem ein Hubschrauber. Die Gemeinde hat einen kleinen Gedenkstein aufgestellt: „Für alle, die, geopfert von der Arbeit, ihr Leben verlieren.“ Da steht nicht „verloren haben“, sondern ein Präsens. Gegenwart. Die Gegenwart von Taranto.