Kultur: Adrienne Braun (adr)

Als die Polizei in der Wohnung steht, hat sie die Vorstellung, dass die Herren in Uniform nach Gott die nächste Autorität darstellen – und lässt sich willig von ihnen in die Psychiatrie bringen. Doch der Wahn wird immer schlimmer: Der Arzt beginnt sich aufzulösen und durchsichtig zu werden, für Beitler ein erschreckender Moment, weil sie überzeugt ist, Menschen zu entmaterialisieren. Diese Mischung aus Wahn und Schuldgefühlen ist besonders quälend. Als man ihr ein Getränk bringt, ist sie sicher: „Ich werde umgebracht, weil ich Menschen aufgelöst habe.“

 

Wenn sich heute in Helene Beitlers Kopf solche Horrorvisionen wieder ausbreiten wollen, weiß sie damit umzugehen. Nach mehreren Rückfällen hat sie eingesehen, dass sie zeitlebens Medikamente nehmen muss, um die Krankheit in Schach zu halten – auch wenn sie sich dadurch rein gewichtsmäßig „verdoppelt“ hat. Sie muss sorgsam mit sich umgehen. Sobald die Lebensumstände instabil oder die Belastungen zu groß werden, beginnen Fantasie und Realität sich wieder zu vermischen.

„Zu Traumata und Erkrankungen kommen von außen hochgradig belastende Ereignisse dazu“, sagt Jürgen Fischer, der Ärztliche Direktor für Psychiatrie und Psychotherapie für Ältere am Klinikum Stuttgart. Er hat Helene Beitler in all den Jahren als Arzt begleitet – und teilt mit ihr das Interesse an der Kunst. Er hat vor zwanzig Jahren in Stuttgart einen Verein gegründet zur Förderung seelisch Kranker und Behinderter, der neben einem Café und einer Theatergruppe auch ein Malatelier anbietet. Dadurch sollen die Kranken „am gesellschaftlichen Leben teilhaben können und Normalität erleben“, sagt Fischer.

Im Malatelier lernte sie, genauer zu schauen

Helene Beitler geht bis heute einmal die Woche ins Malatelier, weil sie hier etwas Elementares gelernt hat, nicht nur für die Kunst, auch fürs Leben: Bisher hatte Beitler nämlich aus sich heraus gemalt, überall sah sie selbst in schlichten Mustern Figuren, Flecken wurden in ihrer Fantasie zu Fabelwesen. Im Malatelier lernte sie, genauer zu schauen, der Realität stärker nachzuspüren, statt ihr die eigene Fantasie überzustülpen. „Ich habe begriffen, dass ich nach außen schauen muss und nicht nach innen – auch im übertragenen Sinn.“

Helene Beitler verheimlicht nichts, im Gegenteil. Sie engagiert sich für Menschen mit Psychiatrieerfahrung, hat mit ihrem Mann ein Buch geschrieben und einen Preis initiiert für psychisch kranke Künstler. Sie will, dass die anderen verstehen können, was eine Psychose aus einem Menschen macht, weil sie sich noch allzu gut an das Schweigen und die Blicke erinnern kann – dabei hätte sie schlicht Hilfe gebraucht. „Es wäre wichtig gewesen, mich an der Hand zu nehmen“, sagt sie. Sie selbst konnte sich keine Hilfe suchen, weil es ihr abwegig erschien, dass ihr ein Arzt helfen könnte.

Stattdessen: Vorwürfe. Als ihr Mann sie wieder einmal verwirrt aufgreift, benachrichtigt er ihre Eltern, die der Tochter ins Gewissen reden. Die Situation eskaliert, es fallen laute, verletzende Worte – und Beitlers Ehemann tut in der Not das, was für seine Frau letztlich die Rettung bedeutet: Er ruft die Polizei.

Helene Beitler kann sich auch nach all den Jahren noch deutlich an ihre Empfindungen während der Psychose erinnern, an diesen eigenartigen Zustand zwischen Wahn und Bewusstsein. „Man erlebt das ganz genau“, erzählt sie. Als die Kommilitonen scheinbar Pfeile auf sie abschießen, ist sie sicher, dass sie ihre eigene, innere Welt sehen kann. „Ich wusste, das ist eine Metapher, aber ich wusste nicht, ob ich trotzdem an dem Gift sterben werde.“

Der Wahn wird immer schlimmer

Als die Polizei in der Wohnung steht, hat sie die Vorstellung, dass die Herren in Uniform nach Gott die nächste Autorität darstellen – und lässt sich willig von ihnen in die Psychiatrie bringen. Doch der Wahn wird immer schlimmer: Der Arzt beginnt sich aufzulösen und durchsichtig zu werden, für Beitler ein erschreckender Moment, weil sie überzeugt ist, Menschen zu entmaterialisieren. Diese Mischung aus Wahn und Schuldgefühlen ist besonders quälend. Als man ihr ein Getränk bringt, ist sie sicher: „Ich werde umgebracht, weil ich Menschen aufgelöst habe.“

Wenn sich heute in Helene Beitlers Kopf solche Horrorvisionen wieder ausbreiten wollen, weiß sie damit umzugehen. Nach mehreren Rückfällen hat sie eingesehen, dass sie zeitlebens Medikamente nehmen muss, um die Krankheit in Schach zu halten – auch wenn sie sich dadurch rein gewichtsmäßig „verdoppelt“ hat. Sie muss sorgsam mit sich umgehen. Sobald die Lebensumstände instabil oder die Belastungen zu groß werden, beginnen Fantasie und Realität sich wieder zu vermischen.

„Zu Traumata und Erkrankungen kommen von außen hochgradig belastende Ereignisse dazu“, sagt Jürgen Fischer, der Ärztliche Direktor für Psychiatrie und Psychotherapie für Ältere am Klinikum Stuttgart. Er hat Helene Beitler in all den Jahren als Arzt begleitet – und teilt mit ihr das Interesse an der Kunst. Er hat vor zwanzig Jahren in Stuttgart einen Verein gegründet zur Förderung seelisch Kranker und Behinderter, der neben einem Café und einer Theatergruppe auch ein Malatelier anbietet. Dadurch sollen die Kranken „am gesellschaftlichen Leben teilhaben können und Normalität erleben“, sagt Fischer.

Im Malatelier lernte sie, genauer zu schauen

Helene Beitler geht bis heute einmal die Woche ins Malatelier, weil sie hier etwas Elementares gelernt hat, nicht nur für die Kunst, auch fürs Leben: Bisher hatte Beitler nämlich aus sich heraus gemalt, überall sah sie selbst in schlichten Mustern Figuren, Flecken wurden in ihrer Fantasie zu Fabelwesen. Im Malatelier lernte sie, genauer zu schauen, der Realität stärker nachzuspüren, statt ihr die eigene Fantasie überzustülpen. „Ich habe begriffen, dass ich nach außen schauen muss und nicht nach innen – auch im übertragenen Sinn.“

Im Keller stehen noch einige der Bilder, die während der Psychose entstanden sind. Es sind starke Bilder, wild, entschieden; sicher, manche sind von ganz außerordentlicher Qualität. Fischer sagt, dass Bilder, die im Wahn entstehen, zwar Art-Brut-Kriterien genügen würden, aber keine Kunst seien. „Kunst bedarf hoher Klarheit und Gesundheit“, meint er. Fischer hält es für gefährlich, einen Zusammenhang zwischen künstlerischem Talent und Krankheit zu erstellen. Weder bringe Krankheit Kunst hervor, noch habe die exzessive Auseinandersetzung mit Kunst die Psychose „beflügelt oder deutlich gemacht“, so Fischer.

Auch wenn die Medizin bis heute die genauen Ursachen für eine Psychose nicht kennt, ist Helene Beitler sicher, dass die extreme Gewalt in ihrer Kindheit ihren Anteil daran hatte. Alle fünf Geschwister sind psychisch krank. Es kann aber auch eine genetische Disposition vorliegen: Der eine ihrer zwei Söhne ist hochbegabt und macht in den USA Karriere. Der andere ist dagegen ebenfalls psychotisch und arbeitet in einer betreuten Werkstatt.

Tiere schauen von den Wänden, Eulen, Spatzen, Tiger. Auf der Staffelei warten Hund, Katze und Vogel auf ihre Vollendung. Helene Beitler malt oft Tiere, weil sie in der Psychose für sie eine besondere Rolle spielten und ihr vermittelten: Du bist nicht allein. „Ich habe aber auch zweimal in der Wirklichkeit erlebt, dass ein Tier auf mich aufgepasst hat“, erzählt sie. Und vor allem sind Tiere anders als Menschen „unvorbelastet“. Ruhig, klar und versöhnlich sind ihre Bilder und wollen das bieten, was Helene Beitler schon als Kind in der Kunst fand: Trost. Sie will mit ihrer Malerei etwas Schönes, Liebevolles weitergeben. „Ich weiß, wie verletzlich Seelen sein können“, sagt sie, „deshalb möchte ich etwas, das den Menschen seelisch trägt.“