Alternative Fußballkneipen gibt es in Stuttgart ohnehin nicht viele - und jetzt macht auch noch das Libero im Süden dicht. Nach zwanzig Jahren muss Wirt Ebi Krammer raus: ein Rückblick.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - O tempora, o mores: Die Eckkneipe stirbt aus. Früher in jedem Viertel Anker, Nachrichtenbörse und Wohnzimmer zugleich, scheint es für dieses Gastronomie-Genre kein Publikum mehr zu geben. Ist die mobile Gesellschaft so mobil, dass sie auch keine Kneipenheimat vor der Haustüre mehr braucht?

 

Vielleicht weiß Ebi Krammer die Antwort. Der 42-Jährige hat 20 Jahre lang die Kiezkneipe Libero im Stuttgarter Süden betrieben. Dieses Wochenende feiert die Institution für immer Abschied. Das Haus am Rande des Heusteigviertels wird saniert, danach ist im Gebäude kein Platz mehr für eine äußerst rustikale Rock-Pinte. „Treffen wir uns lieber in der Kochenbas zum Interview, im Libero stinkt es immer so“, sagt Krammer am Telefon. Hübsche Ansage über den eigenen Laden. Das Libero ist eine der letzten Raucherbastionen, „Eintritt unter 18 verboten“, steht an der Tür geschrieben.

Nicht nur deshalb ist das Libero ein Relikt aus längst vergangenen Ausgehtagen, als man noch überall gequalmt hat und es völlig normal war, dass die Ausgehkluft am nächsten Morgen einer Schockwäsche unterzogen werden musste. Auch der Röhrenfernseher über der Bar („Der ist noch von der Leichtathletik-WM in Stuttgart“, so Ebi Krammer) wurde nie durch einen schicken Flachbildschirm ersetzt.

Das Libero ist gewissermaßen ein aus der Zeit gefallenes Triptychon der Eckkneipenkultur. Im Vorzimmer kann man sich ernsthaft unterhalten, im Hauptraum mit der Bar muss man mit keinem reden und im Hinterzimmer steht einer der Tischkicker, an dem neben den Geräten im Sutsche im Westen und dem Oblomow in Mitte das höchste Niveau des Tischfußball in Stuttgart geboten wird.

Michi Beck ist bis zuletzt ein Freund des Hauses

Das Gespräch mit Krammer im Garten der Kochenbas ist ein Spaziergang durch 20 Jahre Stuttgarter Gastronomiegeschichte. „Als wir das Libero eröffnet haben, gab es in der Stadt keine drei Läden“, sagt Krammer, und beschwört das Stuttgart der 80er mit Anlaufstellen wie dem Exil, dem Casino oder dem Wildparkstüble, in dem Krammer seinen ersten Bar-Job hatte. Was man sich heute kaum mehr vorstellen kann (oder will?): Im Libero wurde in den 90ern Brunch serviert.

„Damals waren Max Herre und Michi Beck bei uns Stammgäste. Einmal war auch Jan Eißfeldt da. ,Habt Ihr noch Eier’, hat der gefragt.“ Krammer imitiert die nasale Stimme des heute als Jan Delay bekannten Hamburger Popstars. Michi Beck von den Fantastischen Vier ist bis heute ein Freund des Hauses geblieben. Wenn der Wahlberliner in seiner Stuttgarter Heimat zu Gast ist, nimmt er seinen Absacker im Libero. Bei den Abschiedsfeierlichkeiten hat er in dem Laden sogar aufgelegt.

Ganz groß war die kleine Kneipe schon immer beim Übertragen von Fußballspielen. „Wir haben bereits in den 90ern damit angefangen, heute macht das ja jede Apotheke“, so Krammer. Der Wirt ist ein angenehmer Gesprächspartner: Verliert kein Wort zu viel, verklärt die Vergangenheit nicht („Früher war Stuttgart niedlich“) und hat dabei ein realistisches Auge auf die Gegenwart („Ich gehe am Wochenende nicht mehr in die Innenstadt. Die Stimmung ist schlimm, das gab es früher nicht.“)

Anfangs hat Krammer das Libero mit einigen Freunden und seinem Bruder Konrad betrieben, der später die Kneipe 1. Stock und den Vegi Voodoo King verantwortete. Heute zeichnet Ebi Krammer gemeinsam mit Henriette Trauer für das Libero verantwortlich. „Es ist sehr gefährlich, mit Freunden ein Geschäft zu betreiben. Über das Geschäft gehen viele Freundschaften kaputt“, sagt Krammer, ohne seine Worte in Pathos zu ertränken.

Zum Abschluss das Champions-League-Finale

„Wir hatten übrigens auch schon sehr früh einen DJ bei uns im Libero“, erinnert sich Krammer an eine weitere Neuerung der Ausgehkultur der 90er, die die Stuttgarter Behörden bis heute vor dramatische Probleme stellt: Darf man sich auch in einer Bar zur Musik bewegen oder sollte man zum Schutz vor einem Muskelfaserriss besser gleich die Polizei rufen? Die Polizei schaute öfter mal im Libero vorbei. In jüngerer Zeit sogar häufiger. „Wir haben immer mehr Beschwerden wegen Ruhestörung“, sagt Krammer, und spricht bei der Gelegenheit das Phänomen der Gentrifizierung an: „Das Heusteigviertel gilt seit einiger Zeit als hipp, jeder will hierher ziehen, aber dann bitteschön ohne den Lärm der Großstadt“, so Krammer.

Für den bekennenden Fußballfan ist mit dem Lärm nach dem Libero erst einmal Schluss. Ein halbes Jahr Pause will Krammer machen, hat aber schon gastronomische Pläne für die Zeit danach. Jetzt wird aber erst das Libero ordentlich verabschiedet: Am Freitagabend mit einer Allstar-DJ-Versammlung und am Samstag mit dem Champions-League-Finale, bei beiden Gelegenheiten wird die Kneipe aus allen Nähten platzen. Das verheißungsvolle Motto des letzten Wochenendes: austrinken!