Kultur: Stefan Kister (kir)
Was ändert sich in der neu gestalteten Dauerausstellung?
Ich möchte mich gar nicht von der bisherigen distanzieren. Aber nach neun Jahren kann man einmal etwas Neues probieren. Wir haben die Serialität der vier langen Vitrinenzeilen aufgebrochen. Wir bilden Gruppen, zeigen nur noch etwa dreihundert Objekte, vorher waren es 1400. Das Einzelobjekt bekommt mehr Platz und mehr Aufmerksamkeit. Wir überschreiten den deutschen Sprachraum. Man wird auch in der neuen Dauerausstellung sehen, dass sich Marbach in den letzten zehn Jahren weiterentwickelt hat.
Streit gab es auch um die Satzungsänderung, die Ihre Position gegenüber dem Trägerverein, der Deutschen Schillergesellschaft, gestärkt hat. Sind die Wunden vernarbt?
Es gab Verletzungen auf allen Seiten, nachdem es 2012 aber gelungen war, in einem vom Wissenschaftsrat angeregten und moderierten Prozess sich mit allen Beteiligten auf die Satzungsänderung zu einigen, ist Ruhe und Frieden eingekehrt. Man erinnert sich kaum noch an den Streit, weil sich anschließend alle die Augen gerieben und festgestellt haben, dass sich kaum etwas geändert hat. Es gab keine Machtergreifung, keine Diktatur. Unsere Zusammenarbeit verläuft sehr liberal.
In Ihrem Erinnerungsbuch an die siebziger Jahre haben Sie einmal von der letzten Printtankstelle vor der Datenautobahn gesprochen. Wie sieht das Archiv in Zeiten aus, in denen der intellektuelle Verkehr mit Vehikeln stattfindet, die nicht mehr mit Tinte betankt werden?
Datenautobahn ist das eine Bild. Das andere Bild ist die Masse an Kleinarchiven, die wie Schrebergärtchen die Autobahn säumen. Jeder der heute mit digitalen Geräten umgeht, das fängt schon beim Smartphone an, ist nolens volens ein Archivar. Die Probleme sind immer die gleichen: man verliert, was man nicht verlieren will, man kämpft mit Übertragungsproblemen, Datenverlusten, zusammenbrechenden Systemen.
Sie sind noch bis 2018 im Amt. Was haben Sie sich noch vorgenommen?
In dem jungen Forschungsverbund Marbach, Weimar und Wolfenbüttel ist noch viel zu tun. Wir haben ein neues Aufgabenfeld für das Archiv beschrieben. Zusammen mit Partnern, deutschen und internationalen Universitäten, wollen wir deutschsprachige Nachlässe in der Welt sichern und der Forschung zugänglich machen. In Marbach stehen viele Aufgaben an: nach der Digitalisierung des Katalogs die der Bestände; wir brauchen mehr Platz für Magazine und Mitarbeiter, als ich begonnen habe, waren wir etwa 160 Leute, jetzt sind wir 250.
Insgesamt klingt das nach einer optimistischen Fortschrittsgeschichte. Aber ist der Blick des Archivars nicht elegisch in die Vergangenheit gerichtet, auf eine Geschichte des Verfalls?
Ich würde sagen, es sind fortschreitende Verfallsgeschichten. Man muss gar nicht bis in den Nahen Osten gehen, um zu sehen, dass wir es als Historiker und Archivare immer mit enormen Verlustrechnungen zu tun haben. Für jedes Stück das wir retten, gehen irgendwo anders vier oder fünf Stücke verloren. Das kann bisweilen melancholisch stimmen, zu Zeiten aber auch kämpferisch. Ich kenne beide Zustände.