„Gaslighter“ heißt das aktuelle Album des weiblichen Americana-Trios The Chicks. Es bietet starke Popsongs, ein politisches Schlaglicht – und eine verletzliche Natalie Maines, die ihren Trennungsschmerz verarbeitet.

Stuttgart - Erst vor wenigen Wochen, am 25. Juni 2020, hat das US-Frauentrio The Chicks das Wort „Dixie“ aus seinem Bandnamen gestrichen – weil es für die US-Bundesstaaten südlich der 1767 gezogenen Mason-Dixon-Linie steht, denen Sklavenhaltung erlaubt war. Den Ausschlag soll ein Facebook-Post gegeben haben, in dem die Fahne der konföderierten Südstaaten als „Dixie-Hakenkreuz“ bezeichnet wurde. Am selben Tag veröffentlichten die drei Texanerinnen einen Song, der das Zeug zur Hymne hat in der Debatte um gleiche Bürgerrechte und vergiftete Symbole aus der Vergangenheit: „Ich marschiere, marschiere zu meiner eigenen Trommel, hey, hey, ich bin eine einköpfige Armee“, heißt es in „March march“.

 

Bluesgetränkt singt Natalie Maines von der Macht des Individuums, von alten weißen Männern, dem Klimawandel, Waffengewalt und einer Jugend, „die unsere Probleme lösen muss“, flankiert von den Stimmen der multiinstrumental ausgerichteten Schwestern Emily Strayer und Martie Maguire an Dobro-Gitarre, Banjo, Geige. Das zugehörige Video ist eine Montage aus Aufnahmen von Demonstrationen, bei denen Frauen, Afroamerikaner und Mitglieder der LGBTQ-Gemeinde unter Regenbogenfahne für gleiche Rechte eintreten.

Gefühlszustände einer Enttäuschten

Der Song ragt heraus aus dem soeben erschienenen Album „Gaslighter“, dem ersten der Chicks nach einer vierzehnjährigen Pause. In den anderen 11 Stücken verarbeitet Maines die unglückliche Scheidung von ihrem Mann Adrian Pasdar nach 17 Jahren – nein, sie rechnet mit ihm ab. Als hätte sie sich den Schmerz von der Seele schreiben wollen, legt sie die ganze emotionale Palette einer enttäuschten Frau offen. Und jedes Wort klingt so unverstellt und wahrhaftig, dass jede(r) die Emotion sofort nachempfinden kann. Strayer und Maguire pflegen durchweg ihre Kunst, unaufdringlich immer die richtigen Instrumente und Töne zu finden. Zudem stimmt der dramaturgische Bogen: Die exzellent komponierten und arrangierten Popsongs führen von den Impulsen der ersten Wut durch verschiedene Gefühlszustände bis hin zur Bitte einer von der Trauer Erschöpften: „Set me free“.

Den durig-sonnigen Uptempo-Pop im Titelsong konterkariert Maines mit Ausführungen über den „Lügner“, sie sei „kein Spielzeug“, singt sie in der Ballade „Everybody loves you“, sie wünscht sich gar einen „Texas Man“, der es mit ihr aufnehmen kann. Ganz zerbrechlich klingt sie zunächst in „Julianna calm down“, einer Hymne für alle Frauen mit Liebeskummer, um dann in einem selbstbeschwörerischen Sog zu neuer Kraft zu finden. In „Young Man“ richtet Maines die herzzerreißende Ermutigung einer Mutter an ihre beiden Söhne, und in der ausgeklügelten Ballade „Hope it’s something good“ schwingt schon ein Hauch Versöhnlichkeit mit.

2003 fielen sie in Ungnade

Der Bürgerrechtssong „March march“ steht exakt in der Mitte. Er ist das politische Schlaglicht zwischen den Liebeswirren, ohne das ein Chicks-Album keines wäre. Um die Jahrtausendewende waren sie die Country-Darlings des weißen Amerika, die zwar schon Gedanken zu weiblicher Unabhängigkeit vortrugen („Wide open Spaces“, 1998), aber auch mit Liebesliedern wie „Cowboy take me away“ (1999) die Herzen wärmten. In Ungnade fielen sie nach einem Konzert in London am 10. März 2003: Neun Tage vor dem Einmarsch in den Irak sagte Maines auf offener Bühne, die Chicks unterstützten diesen Krieg nicht und schämten sich dafür, dass der damalige Präsident George W. Bush aus Texas sei. Die Geschichte gab ihnen recht, was den Irak-Krieg anging, doch das konservative US-Publikum wandte sich ab.

Die Chicks überstanden den folgenden Karriereknick, lösten sich aus dem Country-Kontext und erfanden sich neu als Americana-Popstars. Als der Hurricane Katrina 2005 den Süden der USA überflutete, wurde ihr Song „I hope“ zu einer Hymne der Hoffnung, die weit über den Anlass hinaus wies und unkritische Autoritätshörigkeit ebenso anprangerte wie häusliche Gewalt. 2006 erschien ein Chicks-Album mit dem vielsagenden Titel „Taking the long Way“, produziert von Rick Rubin, der unter anderem die „American Recordings“ des späten Johnny Cash ins Klangbild gesetzt hatte. Darauf war ein Song, der klarmachte, dass diese drei Frauen sich niemals beugen würden: Sie werde sich nicht den Mund verbieten lassen, auch nicht durch Todesdrohungen, singt Natalie Maines in „Not ready to play nice“, und mit geballten Fäusten: „Ich bin nicht bereit, klein beizugeben“ und „Ich bin immer noch stinksauer!“

Es ist ihr zu wünschen, dass sie jemanden findet, der es zu schätzen weiß, wenn eine Frau Energie und Persönlichkeit hat und ihr Herz auf der Zunge trägt.