In ihrem Alter darf man es etwas ruhiger angehen lassen: die britische Band The Who legt nach einer halben Ewigkeit ihr neues Album vor.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Vor dreizehn Jahren, im Jahr 2006, veröffentlichte die britische Rockband The Who ihr letztes Album „Endless Wire“, vor sage und schreibe 37 Jahren ihr vorletztes namens „It’s hard“. Ihr Bassist John „The Ox“ Entwistle starb 2002, ihr Schlagzeuger Keith Moon vor 41 Jahren. Die beiden verbliebenen Bandmitglieder Pete Townshend und Roger Daltrey sind jetzt 74 und 75 Jahre alt.

 

Bleibt die Band ihrem zuletzt vorgelegten Veröffentlichungstempo treu, darf folglich wohl als sicher gelten, dass ihr an diesem Freitag erscheinendes neues Album zugleich auch ihr letztes sein wird. Und auch wenn sie die Liedzeile „I hope I die before I get old“ aus ihrer einstigen Hymne „My Generation“ längst zu Makulatur haben werden lassen und zum Slogan „Too old to die young“ gewechselt sind, darf man gewiss auch Roger Daltreys Beteuerung anlässlich der letzten großen Tour 2015 Glauben schenken, dass sie sich auf einem „Long Goodbye“ befinden. Sprich: man sollte sich einen der für das kommende Frühjahr angesetzten Termine – bisher nur in Dublin und Großbritannien – nicht entgehen lassen, wenn man The Who noch einmal live erleben will; zumal zwar das bis dato letzte Konzert der Band auf deutschem Boden im September 2016 in der Schleyerhalle stattfand, The Who in ihrer 55-jährigen Geschichte von insgesamt knapp 2300 Konzerten (!) nur drei überhaupt in der Region Stuttgart gegeben haben.

Die Jüngsten sind sie nicht mehr

Verdenken mag man ihnen die sehr gemächliche Gangart und die Gedanken an den Ruhestand nicht. Pete Townshend ist schwerhörig, nicht erst seit jenem The-Who-Auftritt vom 31. Mai 1976 in London, der mit einem Schalldruck von 126 Dezibel in über dreißig Metern Entfernung von der Bühne als lautestes Konzert aller Zeiten im Guinnessrekordbuch geführt wird. Roger Daltrey, ein sehr agiler Fußballfreund, beteuert zwar, Zeit seines Lebens nie harte Drogen genommen zu haben und sogar – kein Scherz – an einer Cannabisallergie zu leiden, er hatte aber schon diverse Blessuren an seinen Stimmbändern zu überstehen. Und die verstorbenen zwei langjährigen Bandmitglieder, die es wie echte Rockstars reziprok zu Daltrey mit den Drogen hielten, die gibt es ja nun schon lange nicht mehr: Keith Moon starb an der Überdosis eines Beruhigungsmittels, John Entwistle am Vorabend einer geplanten US-Tournee in den Armen einer Stripteasetänzerin und mit einer gehörigen Dosis Kokain im Blut in einem Hotelbett in Las Vegas.

„Nicht das Kokain hat John umgebracht, Fish & Chips haben das geschafft“, zitiert Christoph Geisselhart in seiner manisch allumfassenden 1300 Seiten starken dreibändigen The-Who-Biografie einen Ausspruch Zak Starkeys, dem Sohn des legendären Beatles-Drummers Ringo Starr. Starkey wird wissen, wovon er in dieser Kostprobe britischen Humors spricht, schließlich trommelt der Keith-Moon-Schüler seit 1996 – mit einer kleinen Pause, in der er bei Oasis am Schlagzeug aushalf – als Gast für The Who. Und so auch auf dem aktuellen Album, auf dem ebenfalls mal wieder Pete Townshends jüngerer Bruder Simon aushilft. Und wie das britische Nationalgericht für die hohe Kochkunst auf der Insel steht, steht die Band The Who für die DNA der britischen Musikkultur.

Das Album heißt schlicht „Who“

Nachzuhören ist das auf diesem an diesem Freitag erscheinenden, schlicht „Who“ betitelten Album etwa in den Liedern „Ball and Chain“ und „She rocked my World“, die sich aus jenem Blues speisen, der auch bei der anderen der drei großen Bands der so genannten „British Invasion“, den Rolling Stones, wesentliche Triebfeder war. Umgekehrt ist auch die dicke Wut im Bauch zu hören, die The Who damals von den Stones und den Beatles abgrenzte, etwa im textlich fast schon vulgären Albumopener „All this Music must fade“. Dann gibt es auf diesem Album noch ein richtig gutes Lied namens „Street Song“, in dem Roger Daltreys noch immer sehr mächtiges Organ sehr schön zur Geltung kommt. Und schließlich finden sich auch noch einige und leider nicht wenige Stücke, die irgendwo im Nirgendwo zwischen Rock und Poprock vagabundieren, denen jegliches Alleinstellungsmerkmal fehlt außer der Umstand, dass die elf Stücke blendend eingespielt, fein produziert und auch auf einem selbstredend anspruchsvollen Niveau von Pete Townshend geschrieben worden sind.

Er macht das ja schließlich nicht erst seit gestern, sondern seit über einem halben Jahrhundert. 1965 erschien das Debütalbum „My Generation“, 1969 „Tommy“, sozusagen die Erfindung des Konzeptalbums, 1973 „Quadrophenia“, quasi die Erfindung der Rockoper – drei Meilensteine der Popmusikgeschichte, denen überhaupt nichts mehr hinzugefügt werden müsste, um für alle Ewigkeit den Ruf einer stilprägenden Band zu behalten.

Fragt sich also vor diesem enormen künstlerischen Vermächtnis, warum das jetzige Album und eigentlich auch sein Vorgänger überhaupt sein mussten? Nein, das geziemt sich nicht zu fragen. Weil’s das gute Recht eines jeden Künstlers ist, sich künstlerisch zu betätigen. Und weil es solchen Legenden schon dreimal vergönnt ist, einfach auch mal ganz durchschnittliche Alben vorzulegen.