Ein geplantes Einkaufszentrum im Herzen Esslingens erhält ein neues Konzept. Bei der Stadt, bei der City-Initiative und bei den Nachbarn ist man über den Sinneswandel des Investors und über die damit verbundene Neuausrichtung erleichtert.

Esslingen - Im Rathaus ist man richtig froh, dass das Sorgenkind „Die Via“ offensichtlich die Kurve bekommen hat. Auch der Großteil der Esslinger Geschäftswelt ist alles andere als unglücklich darüber, dass auf dem großen Karstadt-Areal im Herzen der City jetzt doppelt so viele Wohnungen und nur noch halb so viele Ladenflächen entstehen sollen, wie es der vormalige Projektkoordinator iMallinvest mit dem Einzelhandels- und Wohnprojekt „Die Via“ angepeilt hatte.

 

Diese Ansicht bestätigt jedenfalls Alexander Kögel, der Vorsitzende der Werbegemeinschaft City Initiative Esslingen. Denn durch die groß geplante Einkaufsmeile drohte das kommerzielle Gleichgewicht wie die Kundenfrequenz in der Stadt noch mehr in Richtung des unmittelbaren Bahnhofsumfelds zu kippen – zu Lasten aller anderen Ladenbereiche in der schmucken Altstadt.

Baukostenvolumen soll unter 100 Millionen Euro bleiben

Jetzt also sollen auf dem Karstadt-Parkplatz etwa 155 Wohnungen in einem gegliederten vier- bis siebengeschossigen Gebäudeensemble mit halböffentlichem Innenhof entstehen. Dazu kommen rund 14 000 Quadratmeter Handels- und Dienstleistungs- sowie 4800 Quadratmeter Büroflächen, die sich auf den Neubau und das benachbarte Karstadt-Kaufhaus verteilen sowie eine Tiefgarage mit circa 300 Stellplätzen. Die Verkaufsflächen wurden zudem neu angeordnet. „Es ist gut, dass sich die Läden jetzt nach außen und nicht mehr ins Innere des Gebäudes richten“, meint Kögel. „Und mehr Wohnungen bringen auch mehr Kunden.“

Das komplett neu ausgerichtete Projekt hat mit dem vormaligen Baugesuch nichts mehr zu tun. iMallinvest ist mittlerweile auch nicht mehr an Bord, stattdessen hat sich der luxemburgische Investor – die BPI Esslingen S.à.r.l. mit seinem Berater Alterx Capital Partners – die Stuttgarter Wolff Gruppe ins Boot geholt. Deren geschäftsführender Gesellschafter Klaus Wolff rechnet derzeit mit einem Baukostenvolumen von unter 100 Millionen Euro. Das Vorgängerprojekt lag zuletzt deutlich über der 100-Millionen-Marke. Für die Ersparnis macht Wolff Optimierungen bei der zweigeschossigen Tiefgarage, reduzierte Kubaturen im Hochbau und eben die reduzierten Ladenflächen verantwortlich.

Sensible Schnittstelle zwischen modern und denkmalgeschützt

Bereits Anfang 2019 habe eine Anfrage seine Firmengruppe erreicht, wie man das betriebswirtschaftlich nicht mehr machbare Projekt doch noch retten könne. Zu diesem Zeitpunkt hatte iMallinvest, zumindest nach außen hin, noch um die annähernd 40 Läden auf drei Geschossen samt einer Passage quer durch das Karstadt-Kaufhaus und den benachbarten Parkplatz gerungen. Intern liefen aber offenbar schon Gespräche zwischen Stadt, Karstadt und der Wolff-Gruppe, wie man angesichts des Strukturwandels im Einzelhandel und explodierender Baukosten doch noch eine städtebaulich gelungene, betriebswirtschaftlich machbare und funktionale Bebauung der Brache hinbekommen könnte. Schließlich liegt diese an der sensiblen Schnittstelle zwischen modernem Geschäftsviertel und denkmalgeschützter Altstadt.

Dass die neue Lösung weniger Ladenflächen bringt, die aber an konzentrierter Stelle, müsse nichts Schlechtes sein, sagt der Esslinger Citymanager Thomas Müller. Der Einzelhandel stecke tief im Strukturwandel. Ladenpassagen gewohnter Prägung seien schwierig geworden, man denke nur an das Stuttgarter „Gerber“. „Hauptsache, es kommt überhaupt etwas“, bringt Bärbel Apprich, die Sprecherin der Initiative Bahnhofstraße, die Erleichterung der Nachbarn auf den Punkt. Sorgen macht sie sich allerdings, dass Esslingens einziges Kaufhaus, wie die Stadt jüngst mitgeteilt hatte, zwei Etagen für Büros hergeben soll. Der Esslinger Karstadt-Betriebsratsvorsitzende Dietmar Schubert weiß indessen nichts von solchen Plänen. „Hier geht es ja letztlich auch um Arbeitsplätze“, verweist er auf die Standort- und Beschäftigungssicherung für die Mitarbeiter im Schutzschirmverfahren.

Bei Ladengrößen und Wohnungen noch sehr variabel

Nachdem nunmehr das Grundsätzliche geklärt sei, werde man auch auf die Mietinteressenten des vormaligen Projektentwicklers zugehen, kündigt Klaus Wolff an. Neben Osiander, der mittlerweile in der Bahnhofstraße eine andere Lösung gefunden hat, war seinerzeit unter anderem von Aldi und der Drogeriemarktkette dm die Rede. Man sei in den Ladengrößen jedenfalls sehr variabel und wolle auch ein gastronomisches Konzept anbieten.

Auch was die 155 Wohnungen anbelangt, ist noch vieles offen. Mikroappartements – in Esslingen demnächst reichlich vertreten – hält er „auf Dauer für kein nachhaltiges Konzept“. Wolff denkt unter anderem an familiengerechte und barrierefreie Wohnungen und an Angebote für neue Wohnformen. Auch schwebt ihm vor, mehr Miet- als Eigentumswohnungen zu bauen. Einen Teil muss er ohnehin nach dem Esslinger Wohnraumversorgungskonzept abgeben: Davon profitieren Mieter und Käufer mit einem geringen beziehungsweise mittleren Einkommen.

Erfolgt der Baubeginn nun endlich im dritten Anlauf?

Seit den 1980er-Jahren arbeitet die Stadt daran, den Karstadt-Parkplatz zu überbauen. 2009 hat ein Einzelhandelskonzept noch den Bedarf zusätzlicher Verkaufsflächen prognostiziert.

2012 hat die damalige Besitzerin des Karstadt-Areals (Parkplatz und Kaufhaus), die Firma Carlyle, einen Wettbewerb ausgelobt. Vorgaben: 11 000 Quadratmeter Verkaufsfläche auf dem Parkplatz und eine Passage von der Bahnhofstraße zur Ehnisgasse. In den oberen Geschossen sollten Wohnungen und Büros entstehen, unten eine Tiefgarage. Auf der Grundlage des Entwurfs des Büros Wittfoht Architekten wurde das Baugesuch ausgearbeitet, die Carlyle-Tochter Cerep Esslingen wurde zur Planung und Realisierung des Projekts gegründet. Baugenehmigung: 2014.

Als das „Milaneo“ und das „Gerber“ in Stuttgart entstanden, hat Carlyle kalte Füße bekommen und das Projekt samt Grundstück an die Firma Alteris Capital Partners LLP verkauft. Die hat die Grundzüge der Planung übernommen und verifiziert. Das neue Baugesuch wurde Ende 2017 genehmigt. Zudem gab es eine Namensänderung: Seitdem tritt die Firma BPI Esslingen S.à.r.l. als Rechtsnachfolgerin der Firma Cerep auf.

2019 teilte der Investor der Stadt mit, dass er für „Die Via“ nach Ausschreibung der Bauleistungen mit 25 Millionen Euro Mehrkosten rechnen müsse. Kalkuliert hatte er aber mit Baukosten von insgesamt nur rund 100 Millionen Euro. Auf der Basis eines völlig neuen Nutzungskonzepts hat der Investor dann die nunmehr vorliegenden Pläne ausgearbeitet und die Laden- zugunsten von mehr Wohnflächen deutlich zurückgeschraubt.