Ein glänzender architektonischer Wurf: das Vorarlberger Landesmuseum in Bregenz entdeckt den Fassadenschmuck wieder.

Bregenz - Angstgegner gibt es auch in der Architektur. Sich wie weiland Richard Meyer etwa mit seinem schneeweißen Stadthaus neben dem Ulmer Münster zu behaupten oder wie I. M. Pei mit seiner Pyramide im Innenhof des Louvre, erfordert ein robustes professionelles Selbstbewusstsein. Nervös werden kann aber auch, wer in unmittelbarer Nachbarschaft von Peter Zumthors Bregenzer Kunsthaus baut. Weder darf er sich von dieser Ikone der zeitgenössischen Architektur einschüchtern lassen noch so präpotent auftreten, dass es auch schon wieder komplexbeladen wirkt. Aber: wir befinden uns in Vorarlberg, dem kleinen österreichischen Bundesland, das bis vor einigen Jahren der Nabel der Architekturwelt war und immer noch mit einer beneidenswerten Baukultur gesegnet ist. Beim Wettbewerb 2007 für das neue, von Zumthors auratischem Kunstkubus nur durch das Gebäude des Landestheaters getrennte Landesmuseum siegte denn auch kein Star aus der internationalen Markenartiklersektion, sondern ein Team, das sein Büro um die Ecke hat.

 

Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur sind, zumindest in Fachkreisen, keine Unbekannten. Die Bregenzer Architekten haben sich in den vergangenen Jahren mit vorzüglichen Schulbauten, Gemeindehäusern und Wohnanlagen – oft aus Holz und durchweg in Passivbauweise, wie in Vorarlberg üblich – profiliert. Dennoch, der Bau am Bodenseeufer ist ihr erstes Museum. Aber sie bieten Zumthor mit einer Coolness Paroli, als wäre dergleichen ihr täglich Brot. Ihr Vorarlberg Museum reagiert auf das Kunsthaus des Schweizers und ist zugleich ein unverkrampft eigenständiges Werk – und ein glänzender architektonischer Wurf obendrein.

Dabei handelt es sich im Gegensatz zum Kunsthaus nur partiell um einen Neubau. Ein Teil des Gebäudes besteht aus einem denkmalgeschützten Verwaltungsbau aus der k. u. k.-Zeit, der erhalten werden musste. Auf der Seeseite haben Cukrowicz Nachbaur ihn um zwei Geschosse aufgestockt, zur Stadtseite um einen fünfgeschossigen Anbau erweitert, der die wesentlichen Museumsfunktionen – Ausstellungs-, Vortrags- und Veranstaltungsräume, Foyer, Café und das 25 Meter hohe, lichtdurchflutete Atrium – enthält.

Ein Fassadenknick öffnet den Blick zum Bodensee

Städtebaulich komplettiert das Museum die Reihe der markanten Solitäre an der Uferpromenade zur Bregenzer Kulturmeile: ein gründerzeitliches Postgebäude, das neuerdings als Kunsthaus-Filiale dient, Kunsthaus, Landestheater und Vorarlberg Museum (dem weiter südlich und in großem Abstand noch das Festspielhaus folgt). Mit der Freistellung als Solitär haben die Architekten in genauer Ortskenntnis nicht nur einen Systemfehler des abgerissenen Vorgängerbaus korrigiert, der zur Stadt hin den Blockrand geschlossen hatte, sondern durch einen Fassadenknick auch den Blick aus der Innenstadt zum Bodensee geöffnet.

Peter Zumthor legt in Bregenz aber nicht nur die architektonische Messlatte hoch. Mit seinem Kölner Kolumba-Museum dürfte er auch Vorbild für den Umgang mit dem klassizistischen Altbau sein. Denn so wie der Schweizer am Rhein fugenlos auf den Ruinen der gotischen St.-Kolumba-Kirche aufbaut, verbinden die Vorarlberger am Bodensee historischen Bestand und Neubau lässig zu einer monolithischen Großform. Lediglich ein kräftiges Gesims bezeichnet die Trennlinie zwischen alt und neu, die kalkig-grauweiße Monochromie indes macht aus allem eins. Farblich sucht das Museum damit die Analogie zum Kunsthaus, materiell ist es das massive Gegenstück zur ätherisch-diffus wie schockgefrorener Bodenseenebel erscheinenden Glashülle bei Zumthor.

Die Fassade ist der wahre Coup

Ein leichtes Kölner Déjà-vu dann auch im Inneren: wie im Kolumba-Museum sind sämtliche Wände, auch im Altbau, mit Lehm verputzt. In Bregenz ist es ein warmes, leicht rosa getöntes Beige, das mit dem sägerauen Eichenparkett und dem dunkel patinierten Messing der Portalrahmen an Aufzügen und Türen zu einem sonoren, nahezu monochromen Akkord verschmilzt. Sich gegen die Außenwelt so abzukapseln wie der introvertierte Zumthor-Bau, kommt für ein Landesmuseum freilich nicht infrage. Mit präzise inszenierten Ausblicken öffnet sich das Haus daher zu Land und Leuten, die ja sein Gegenstand sind. An einer Stelle guckt man auf alle Kirchtürme von Bregenz, an anderer auf die Bausünden, die es auch in Vorarlberg zur Genüge gibt und – Schlussapotheose – durch ein Riesenfenster im obersten Stock auf den Bodensee.

Den wahren Coup haben die Architekten jedoch mit der Fassade gelandet. In aller Unschuld (oder Tücke?) öffnen Cukrowicz Nachbaur dem altbösen Feind der Moderne die Tür: Sie führen das Ornament wieder ein! Das Ornament, das ihr Landsmann Adolf Loos noch als Verbrechen gebrandmarkt hatte, das Ornament, das in Le Corbusiers Definition von Architektur als „kunstvollem, korrektem und großartigem Spiel der unter dem Licht versammelten Baukörper“ gar keine Erwähnung mehr fand, das aus dem Bauen verbannt war, weil es als unpraktisch, überflüssig, gestrig – ja: unrein galt, das hundert Jahre lang total verboten war. Und siehe da, in Vorarlberg erwacht es zu neuem Leben. Und das auch noch in Form von Streublümchen!

In Bregenz fällt die letzte Bastion der Moderne

Ganz so simpel wie sie auf den ersten Blick scheint, ist die Sache aber dann doch nicht. Die Architekten müssten die Lektionen der Moderne schlecht gelernt haben, wenn hinter ihren Verzierungen nicht zugleich ein konzeptueller Dreh, eine ironische Spiegelfechterei steckte. Tatsächlich spielt das serielle Muster aus 16 656 Betonblüten auf die umfangreiche Sammlung des Museums von Gefäßen aus der Römerzeit an: Was dem antiken Konsumenten aber seine massenweise produzierten Glaskaraffen und Tonkrüge waren, sind dem heutigen Verbraucher die PET-Flaschen. Und weil Vergangenheit und Gegenwart sich im Landesmuseum treffen, sind es die abgeformten Böden exakt dieser Plastikbehälter, die den Bau in Bregenz schmücken – historische Römerpullen als Ausstellungsobjekte drinnen, moderner Zivilisationsmüll als architektonisches All over draußen.

Natürlich ist das Fassadenrelief treuherzig als Kunst am Bau deklariert. Wer gibt schon freiwillig zu, dass er eine heilige Kuh schlachtet? Der Südtiroler Künstler Manfred Alois Mayr und der Zürcher Künstler-Mathematiker Urs Beat Roth haben maßgeblich am Entwurf und der möglichst rationellen Positionierung des Ornamentgitters mitgewirkt. Nach ihren Vorgaben wurden die Betonwände samt Blütenflor in einem eigens entwickelten, hochtechnologischen Verfahren am Ort in einem Durchlauf gegossen.

Es führt aber kein Weg daran vorbei, dass es sich bei dieser Kunst am Bau um keine der landläufigen Applikationen handelt, mit denen Gebäude heutzutage – meist zum Missvergnügen der Architekten – nachträglich behübscht werden, sondern dass die Schmuckformen integraler Bestandteil der Architektur sind, so wie es bis um 1910 herum in der Baukunst gar nicht anders denkbar war. Wenn man es recht betrachtet, fällt in Bregenz die letzte Bastion der Moderne: Nach Postmoderne, Dekonstruktivismus, den wabbeligen, computergezeugten Blobs der Jahrtausendwende und einem in Rekonstruktionen schwelgenden Neohistorismus war einzig der undekorierte, kahle Baukörper noch von diesem Stil übrig geblieben, der sich selbst als endgültig, als Stil jenseits der Stile erachtete (und mit seiner Verabsolutierung ziemlich lange erfolgreich war).

Das Vorarlberg Museum von Cukrowicz Nachbaur räumt nun auch mit diesem Dogma auf – und das, wohlgemerkt, ohne dass dabei einer der von Heinrich Klotz verspotteten „röhrenden Hirsche der Architektur“ herauskommt.