Wenn private Erben die Herausgabe von Kunstwerken fordern, die schon lange in Museen hängen, stutzt die Öffentlichkeit. Simon Curtis erzählt von so einem Fall – und ergreift klar Partei für die von Helen Mirren gespielte Erbin.

Stuttgart - Geben wir es zu, auch Bilder verschleißen. Besser gesagt, unser Blick verschleißt an tausendfach reproduzierten und in beliebige Zusammenhänge gestellten Bildern. Gustav Klimts Gemälde „Adele Bloch-Bauer“ ist so ein Fall. Als massenhafter Kaufhausdruck, als freundliche Hotelzimmerdeko, als anlasslose Postkarte, als überall verträglicher Platzhalter einer längst nicht mehr gewagten Sehherausforderung gehört dieses einst spektakuläre Werk des Jugendstils zum Hintergrundrauschen des modernen Lebens.

 

Simon Curtis’ Spielfilm „Die Frau in Gold“ erinnert uns daran, dass die Müdheit eines Bildes die Müdheit unseres Gehirns sein kann, die Unfähigkeit, dem Bild die Geschichten und Zusammenhänge zuzuordnen, die es lebendig und nicht bloß dekorativ werden lassen. So viel Gutes kann man über „Die Frau in Gold“ zumindest sagen.

Die Folgen der Nazi-Verbrechen

Curtis zeigt, wie das Bild entstand und macht das öffentlich Begaffte wieder zu etwas Privatem, zum Porträt der Adele Bloch-Bauer (1881–1925), der Tochter eines Bankiers und Gattin eines Zuckerfabrikanten. Die war eine mondäne Erscheinung im jüdischen Großbürgertum Wiens. Ihr Bild sahen zwar viele, denn Adele Bloch-Bauer und ihr Mann unterhielten einen Salon, in dem sich Literaten, Künstler, Politiker und Geschäftsleute trafen. Aber man musste eben eingeladen sein, um die Wände der Bloch-Bauers entlangflanieren zu können.

In der „Frau in Gold“ geht es nun darum, das Bild auch als konkretes Objekt zurück aus dem öffentlichen in den privaten Raum zu holen. Denn das Öffentlichwerden ist das Resultat von Verbrechen, von Raub, Mord, Erpressung und Verschleppung, von jener Tyrannei der Nazis, bei der Rassenwahn und Geschäftemacherei, Banausentum und Spekulation geschmeidig ineinander übergingen.

Helen Mirren spielt die kalifornische Boutiquenbetreiberin Maria Altmann, Adele Bloch-Bauers Nichte, die vor den Nazis in die USA geflohen war. Maria Altmann entschließt sich, mehrere Bilder wiederhaben zu wollen, die sie als Familienerbe betrachtet, die der Staat Österreich aber als Nationalbesitz sieht: Werden sie nicht schon lange mit großem Erfolg im Schloss Belvedere ausgestellt?

Klare Helden, keine Zweifel

Von Anfang an lässt Curtis keinen Zweifel zu, dass es Altmann im Restitutionsprozess um einen Akt der Heilung und Bewältigung geht, nicht um Vermögenswerte und Spekulation. Damit nimmt er in der Restitutionsdebatte zwar eine klare Position ein und stellt die von Mirren gespielte Lauterkeit dem sowieso seltsamen Vorwurf entgegen, es ginge bei Herausgabeforderungen sowieso nur ums Materielle. Bei einem gestohlenen Auto würde man ja auch nicht fragen, ob es nur um den materiellen Wert des Wagens gehe oder ob er seine möglichen neuen Besitzer denn auf Bildungsreisen bringen solle.

Aber diese Eindeutigkeit schadet der „Frau in Gold“ als Film, wie auch die herzensgute Eindeutigkeit des jungen Anwalts, den Altmann anheuert. Den Film macht er nicht interessanter. Ja, auch in der Realität hat Altmann einen blutigen Anfänger ohne jede Erfahrung in Restitutionsfragen beauftragt, Randol Schoenberg, einen Enkel des Komponisten. Schoenberg hat sich eingearbeitet in die komplexe Materie und nach vielen Momenten vermeintlichen Scheiterns doch noch die Herausgabe der Bilder erwirken können. Eine große Geschichte, fraglos, die man als David-gegen-Goliath-Variante erzählen kann.

So schlicht wie im Fernsehen

Aber so, wie Ryan Reynolds diesen Schoenberg als netten Kerl herunterspielt, so wie Helen Mirren als tapfere Frau im Kampf für die Rechte der beraubten Toten keine Zwischentönen wagen muss, wird aus der spannenden Geschichte eine Schnulze mit Bildungsauftrag.

Das mag noch erträglich sein in den Szenen des Gezerres um die Bilder. Aber die Rückblenden in die Nazijahre sind fast obszön in ihrer gedankenlosen Reproduktion der gängigen Formeln und Klischees. Der Brite Curtis, Jahrgang 1960, ist vor allem als Produzent und Regisseur fürs Fernsehen tätig. Sein Kinofilm „My Week with Marilyn“ über Marilyn Monroe bot die gelungene Fortsetzung seiner Arbeit am gehobenen Rührstück, „Die Frau in Gold“ dagegen schlägt ins andere Extrem aus.

Alles hier sieht genau so aus und läuft genau so ab, wie man sich nach Durchlesen eines kurzen Programmhinweises ein gediegen einfallsloses TV-Stück zum Thema vorstellen würde. Wie gesagt, an zu oft gesehenen Bildern verschleißt der Blick.

Die Frau in Gold. USA, Großbritannien 2014. Regie: Simon Curtis. Mit Helen Mirren, Ryan Reynolds, Daniel Brühl, Elizabeth McGovern. 107 Minuten. Ohne Altersbeschränkung.