Die Stadt Frankfurt wächst rasant, der Kampf um Wohnraum verschärft sich – auch wegen des Brexits.

Frankfurt - Richard Bickert ist stocksauer auf die Politiker, speziell die in Frankfurt am Main. Von „Brutalität“ und „Arroganz“ spricht der 62 Jahre alte Bauer aus Oberursel im Hochtaunuskreis, der an der Stadtgrenze zu der Mainmetropole 100 Hektar Ackerland mit Weizen, Gerste, Mais und Zuckerrüben bewirtschaftet. Genau dort will die Stadt Frankfurt, deren Stadtgrenzen schon seit Langem zu eng geworden sind, jetzt ein großes Neubaugebiet errichten. Da schert sie das Schicksal des Landwirtes wenig. Richard Bickert, der bereits in fünfter Generation auf seinem Land tätig ist, droht bei der Umwandlung ein Viertel seines Ackerlands zu verlieren. Das Land gehört seit einer kleinen Gebietsreform 1972 zum Frankfurter Stadtgebiet. „Das ist existenzbedrohend, weil es sich unter 100 Hektar einfach nicht rechnet“, beklagt er und bangt um die Zukunft seines Sohnes, der den Betrieb übernehmen soll.

 

Doch der Unmut des Bauern ist nur eine Facette im Ringen der Frankfurter Kommunalpolitiker um die Lösung ihres Wohnraumproblems. Die Stadt scheint über eine magische Anziehungskraft zu verfügen. Zwischen 10 000 und 15 000 Menschen im Jahr wächst die Einwohnerzahl, doch der benötigte Grund und Boden wächst nicht mit. Schon jetzt sind Wohnungen und Wohnraum für die rund 740 000 Einwohner in der größten hessischen Stadt knapp, und entsprechend steigen die Miet- und Immobilienpreise – wie in den meisten Metropolen Deutschlands in starken Wirtschaftsregionen. Kein Wunder, dass das Thema Wohnen im Oberbürgermeister-Wahlkampf eine Rolle spielt – und noch bis zur Stichwahl am 11. März spielen wird. Dabei sind sich die Parteien weitgehend einig, dass nur eines hilft, um der Misere Herr zu werden: bauen, bauen, bauen. Viel schwieriger ist aber die Antwort auf die Frage, wo.

Durch den Brexit könnten 10 000 Banker an den Main ziehen

Der amtierende Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) hat sich nicht erst im Wahlkampf das Thema Bauen und Sicherung von bezahlbarem Wohnraum auf die Fahnen geschrieben. Der entschiedene Befürworter des neuen Baugebiets im Nordwesten lag im ersten Wahlgang der OB-Wahl klar mit 46 Prozent vorne. Er muss sich aber am 11. März noch der Stichwahl gegen die CDU-Kandidatin Bernadette Weyland stellen, die allerdings nur auf 25,4 Prozent kam und somit als Außenseiterin in die Stichwahl geht. Sie ist die Favoritin von Landwirt Bickert: Sie will das Neubaugebiet an der A 5 drastisch verkleinern und auf das östlich der Autobahn gelegene Gebiet beschränken.

Die ohnehin schon angespannte Situation mit knappem und entsprechend teurem Wohnraum in der Boomtown Frankfurt droht sich durch die Folgen des Brexits noch zu verschärfen. Nach Expertenschätzungen könnten mittelfristig an die 10 000 Banker aus London von der Themse an den Main umziehen. Sie können sich die hohen Miet- oder Kaufpreise für Eigentumswohnungen in der Stadt leisten. Nicht aber Krankenschwestern und Polizisten – die kommunalpolitisch Verantwortlichen wollen unbedingt verhindern, dass sie gezwungen werden, ins Umland zu ziehen.

Bis 2040 werden voraussichtlich rund 100 000 zusätzliche Wohnungen benötigt

Der Sozialdemokrat Mike Josef ist als hauptamtlicher Dezernent in Frankfurt für Stadtplanung zuständig. Die Ausweisung von zusätzlichem Bauland gehört zu seinen wichtigsten Aufgaben. Schon jetzt fehlen in der Stadt rechnerisch 36 700 Wohnungen. Bis 2040 werden aller Voraussicht nach sogar rund 100 000 zusätzliche Wohnungen benötigt. „Also müssen wir den Wohnungsbau, insbesondere den bezahlbaren Wohnungsbau, ankurbeln“, sagt der 35-Jährige. Trotz der begrenzten Stadtfläche hat sein Dezernat Pläne für immerhin 52 Wohnungsbauprojekte vorliegen – von kleinen mit maximal 200 Wohneinheiten bis zu großen mit 5000 Wohnungen und mehr. Doch gegen viele Neubaugebiete regt sich der Widerstand der Nachbarn – sie befürchten mehr Verkehr, mehr Lärm und weniger Grünflächen.

Das gilt ganz besonders für das größte und am heftigsten umstrittene dieser Projekte, das heute überwiegend aus Ackerland bestehende Areal für rund 10 000 Wohneinheiten oder knapp 30 000 Menschen beiderseits der Autobahn 5 im Nordwesten der Stadt. Genau dort, wo auch Bauer Richard Bickert um sein Land bangt. Da klar war, dass dem Druck auf den Frankfurter Wohnungsmarkt nicht allein mit Nachverdichtung und dem Schließen von Baulücken im Stadtgebiet beizukommen ist, hatten sich alle drei Partner in der Stadtregierung auf dieses Neubaugebiet geeinigt: CDU, SPD und Grüne ziehen bei der Suche nach einem neuen größeren Wohnquartier an einem Strang.

Der OB der Nachbargemeinde Steinbach nennt das Neubauprojekt einen „Albtraum“

Am schärfsten gegen das gesamte Frankfurter Projekt schießen allerdings die unmittelbar angrenzenden Taunusgemeinden Steinbach, Oberursel und Eschborn. Der Steinbacher Bürgermeister Stefan Naas (FDP) bestreitet das Recht der großen Nachbarstadt, das 550-Hektar-Gelände für Zehntausende Menschen zu bebauen. Naas nennt das von den Gegnern nach dem Frankfurter Planungsdezernenten ironisch „Josefstadt“ genannte Quartier einen „Albtraum“. Klar ist, dass erst einmal die Gremien des Regionalverbands einer entsprechenden Änderung des Flächennutzungsplans zustimmen müssen. Und dort sind neben Frankfurt und Steinbach auch viele andere Kommunen vertreten.

Doch das größte ist längst nicht das einzige Bauvorhaben des Frankfurter Magistrats. So wird beispielsweise auch Gewerbefläche in Wohnraum umgewandelt, allein in der Bürostadt Niederrad sind schon über 4000 neue Wohneinheiten planungsrechtlich abgesichert. Stadtrat Josef berichtet, die Stadt stelle jährlich 45 Millionen Euro für Sozialmieter, aber auch finanzielle Unterstützung mittlerer Einkommensgruppen bei der Linderung hoher Mietpreise zur Verfügung. Und er verlangt von Investoren, bei Neubaugebieten 30 Prozent als geförderten Wohnraum einzuplanen.

Das Thema Bauen und Wohnen wird Frankfurt gewiss auch noch lange nach der Oberbürgermeisterwahl beschäftigen. Für Bauer Bickert ist dies kein Trost – für ihn geht es um die Existenz.