Der Pädagoge und Buchautor Wolfgang Endres weiß, wie Kinder am besten dazu gebracht werden, dass sie richtig lernen. Er empfiehlt Stilleübungen und hält ab und zu etwas Langeweile auch für alles andere als schädlich

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Thea Bracht (tab)

StuttgartLernen kann tatsächlich Spaß machen. Wolfgang Endres rät zur Gelassenheit, wenn ein Kind sich mal wieder vor den Hausaufgaben drücken will. Er beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit dem Thema „Lernen lernen“.
Herr Endres, lernen Kinder in unserer digitalen Gesellschaft anders als vor 30 Jahren?
Die Strukturen des Lernens – zum Beispiel beim Lernen durch Nachahmen – verändern sich nur langsam, aber die Kinder leben heute natürlich unter völlig anderen Lernbedingungen als früher. Sie können vieles zeitgleich aufnehmen, aber das Verweilen bei einer Aufgabe fällt ihnen schwer. Die Vielfalt geht auf Kosten des Tiefgangs.

Welche Konsequenzen hat das für den Schulunterricht?
Die Lerngruppen werden heterogener, und im Methodisch-Didaktischen muss sich vieles ändern. Früher wurden 50 Kinder in einer Klasse unterrichtet, der Lehrer stand vorne am Pult und die Disziplin war groß. Dafür griff der Lehrer auch mal zum Stock. Heute haben die Lehrer nur die Wahl, die Schüler zum eigenen Lernen anzuleiten. Das bedeutet nicht, dass sie ganz auf Frontalunterricht verzichten sollten, sie sollten ihn jedoch gezielt einsetzen. Denn die Kinder müssen auch lernen, jemandem eine Weile konzentriert zuzuhören. Das ist für viele eine besonders schwierige Übung.

Gibt es Tricks, wie man das zuhause mit den Kindern trainieren kann?
Kinder durchschauen solche Tricks sofort. Wollen Eltern sie zum Beispiel mit Lernspielen zum Lernen ‚verführen’, verweigern sie sich einfach. Besser ist es, das Lernverhalten der Kinder zu beobachten, ihnen zuzuhören und Stille-Übungen zu machen. Man kann zum Beispiel fragen, wer drei Minuten ganz ruhig sein kann. In dieser Stille kann für Kinder ein besonderer Reiz liegen, ein Pendant zur Reizüberflutung. Sie dürfen sich ruhig mal langweilen, das müssen sie aushalten.

Können sich Schüler am eigenen Schreibtisch besser konzentrieren als am Küchentisch, wenn sie Hausarbeiten erledigen?
Das Kind soll lernen, dass nur am Arbeitsplatz gelernt wird, das kann auch eine Ecke am Küchentisch sein. Diese Ecke sollte aber ausschließlich zum Lernen genutzt werden, sie müsste förmlich nach Arbeit riechen. Das fördert die innere Ordnung.

Kleinkinder lernen meist mit großer Begeisterung, während Schüler zum Teil sehr kreative Methoden entwickeln, um sich vor dem Lernen zu drücken. Was passiert da?
Das Lernen wird im reifer werden als anstrengend erlebt. Es wäre ja auch furchtbar zu ertragen, wenn alles immer nur Spaß machen würde. Es ist gesund, hier und dort die Lust zu verlieren. Früher sind Kinder einfach in die Natur ausgebüxt, um dem Pflichtprogramm und der Routine zu entkommen und etwas Neues zu entdecken. Es liegt in der Natur des Menschen, etwas entdecken zu wollen, was noch nie jemand vorher entdeckt hat. Wenn Kinder das Gefühl haben, sie sind die Ersten, die etwas entdeckt haben, und begeistert darüber berichten, ist es für sie das Schlimmste, wenn sie ausgelacht werden.