Es ist ein echter Wendegewinner und hat die tollsten Gefährte in der Garage: Seit sechzig Jahren erfreut das Sandmännchen Ost und West mit seinen Gute-Nacht-Geschichten.

Stuttgart - Was vom DDR-Fernsehen übrig blieb: „Polizeiruf 110“, Carmen Nebel, die Ostalgie im dritten Programm des MDR – und der Sandmann. Ganze Generationen haben sich allabendlich von einem drolligen kleinen Kerl mit Ziegenbart in den Schlaf verabschieden lassen. Er macht diesen Job nun schon seit sechzig Jahren: Am 22. November 1959 streute er den Kindern in Ostdeutschland erstmals Sand in die Augen. Die Idee stammte zwar aus dem Westen, aber Gerhard Behrendt kam dem Sender Freies Berlin noch rasch zuvor.

 

Der damalige Leiter der Puppentrickabteilung im (Ost-)Berliner Trickfilmstudio entwarf eine Figur, deren Geheimnis in ihrer Schlichtheit liegt: Den Holzkopf zieren neben Knebelbart, Frisur und Zipfelmütze bloß ein paar Kulleraugen und eine Nase; das perfekte Kindchenschema. Womöglich liebt ihn die Zielgruppe deshalb noch heute, denn im Grunde wirkt das Kerlchen selbst wie ein altes Kind. Davon abgesehen ist er ein echter Wendegewinner: Der Kollege aus dem Westen („Nun, liebe Kinder, gebt fein acht, ich hab’ euch etwas mitgebracht“) ist schon seit 1989 in Rente.

Der Sandmann spricht auch arabisch

Wie universell der Charme des Sandmanns ist, zeigen auch die Exporterfolge auch über die Grenzen diverser Kulturkreise hinweg. Selbst den arabischen Sprachraum hat die Holzfigur mit dem Ziegenbart erobert, obwohl man sich dort über Sandknappheit nun wirklich nicht beklagen braucht. Der kleine Kerl hat also nicht nur die Wiedervereinigung überstanden, er profitiert auch von der Globalisierung: Bis vor dreißig Jahren ist beim Deutschen Fernsehfunk (DFF) streng darauf geachtet worden, dass er nur sozialistische Bruderstaaten wie Vietnam, Kuba und natürlich Osteuropa bereiste. Weil der Sandmann selbstredend Repräsentant seines Systems und daher Propagandafigur war, gab es auch Stippvisiten im Palast der Republik, bei der Nationalen Volksarmee oder den Jungen Pionieren.

Trotzdem war Linientreue zumindest aus Sicht der Zielgruppe vermutlich kein Einschaltgrund, schließlich hatte der Sandmann auch vor dem Mauerfall bereits viele Fans im Westen. Die spannendste Frage für die Kinder war stets, in welchem Gefährt ihr Freund wohl auftauchen würde. Schöpfer der Sandmann-Fahrzeuge war Harald Serowski. Als erster Trickszenenbildner im Trickfilmstudio des DFF hat er über tausend Szenenbilder und 200 Fortbewegungsmittel aller Art entworfen: Traktoren, Kutschen, Schlitten, Autos, Fischkutter, Raketen, Taucherglocken, Segelboote, Lilienthalgleiter und diverse Züge. Einige dieser Fahrzeuge lassen sich seit einigen Wochen neben anderen Sandmannszenarien (etwa der berühmte Märchenwald) im Potsdamer Filmmuseum bestaunen.

Am Ende wird immer alles gut

Mindestens genauso wichtig für den Erfolg in Ost und West war und ist die Verlässlichkeit. Die Sandmann-Botschaft „Das Leben ist schön!“ gilt selbst dann, wenn die Kurzfilme innerhalb der Rahmenhandlung Ecken und Kanten haben. Auch kleine Kinder können den mitunter durchaus spannenden Abenteuern in den kurzen Einspielfilmen trotz aller Aufregung mit einer gewissen Gelassenheit folgen, weil sie wissen: Am Ende wird alles gut. Abgeschliffen hat sich hingegen die schlichte Pädagogik der ersten Jahrzehnte, was allerdings nicht allen heutigen Eltern gefällt: Viele vermissen offenbar das belehrende Element ihrer Kindheit, als der Sandmann noch ein williger Erziehungsgehilfe war.

Geblieben sind die Rituale: Zu Beginn erklingt das Lied „Sandmann, lieber Sandmann, es ist noch nicht soweit! Wir sehen erst den Abendgruß, ehe jedes Kind ins Bettchen muss, du hast gewiss noch Zeit“, zum Schluss greift der Sandmann, der einer Figur aus einem Märchen von Hans Christian Andersen nachempfunden ist, in seine Tasche und streut Sand in Richtung Kamera. Im dänischen Original sprüht „Ole Lukøje“, wie die Figur bei Andersen heißt, den Kindern süße Milch in die Augen, damit sie einschlafen. Das war den deutschen Übersetzern wohl zu abwegig.