Von den 3200 Mann des württembergischen Kapregiments, sahen 100 die Heimat wieder. Der Rest starb vor allem an Seuchen, Krankheiten und Alkohol.
Stuttgart - Ein Brillant aus Venedig liegt in dem Schmuckkästchen, das ein Kammerdiener der nicht näher genannten adligen Mätresse bringt. Dieser Stein koste 7000 Menschenleben, erzählt der Diener dabei. Denn so viele Soldaten habe ihr Liebhaber, der württembergische Herzog, in fremde Dienste verkauft, um den Brillanten zu bezahlen. Entsetzt befiehlt die Dame, den Stein zu verkaufen, um den Opfern eines Stadtbrandes zu helfen.
Was das junge Theatergenie Friedrich Schiller im 2. Aufzug, 2. Auftritt in seiner Tragödie „Kabale und Liebe“ von 1784 beschreibt, war ein Frontalangriff auf die absolutistische Politik Carl Eugens. Denn die Dame war damals für jeden Zeitgenossen als Franziska von Hohenheim zu erkennen, die Mätresse des württembergischen Herzogs. Bei den Rekrutierungen würden junge Männer ohne Gnade von ihren Eltern und ihren Gattinnen getrennt, wer desertiere, werde erschossen, schreibt Schiller. Zwar war das übertrieben, doch der Soldatenhandel blieb der größte Skandal einer ohnehin skandalträchtigen Zeit. Von den tatsächlich 3200 Rekruten kamen nur etwa 100 lebend zurück.
Ein weiterer württembergischer Dichter protestierte. Daniel Friedrich Schubart, den der Herzog zur selben Zeit schon ohne Gerichtsprozess auf dem Hohenasperg eingekerkert hatte, hat den Männern sein berühmtes Kaplied gedichtet:
Auf, auf, ihr Brüder und seid stark,
der Abschiedstag ist da,
Schwer liegt er auf der Seele, schwer.
wir sollen über Land und Meer
ins heiße Afrika.
Dieses Lied blieb noch hundert Jahre lang nach Schubarts Tod als Volkslied fest im württembergischen Zeitgeist verankert. Es sollte die Männer trösten, die im Jahr 1787 auf dem Ludwigsburger Schlosshof auf ihren Abtransport warteten. Vielleicht hofften sie zu diesem Zeitpunkt noch, mit dem Leben davonzukommen und vielleicht sogar mit ein wenig Geld in der Tasche nach Württemberg zurückzukehren. Ihr Landesherr hatte sie in den Dienst der Ostindischen Kompanie der Niederlande verkauft, des großen Rivalen der aufstrebenden Seemacht England, die ihren Konkurrenten mit militärischen Mitteln bekämpfte.
Doch das Schicksal der Soldaten sollte sich nicht in Kapstadt erfüllen, sondern 10 000 Kilometer weiter am damaligen Ende der bekannten Welt in Indonesien, dem äußersten Vorposten der Niederländer. Der Karlsruher Historiker Frank Westenfelder, selbst Auswanderer in Barcelona, hat die Geschichte des Kapregiments unter der Adresse „kriegsreisende.de“ ins Netz gestellt. Die 3200 Männer im Dienst der Ostindischen Kompanie brachten dem Herzog rund 900 000 Gulden ein, und damit war ein schwäbischer Soldat, wie Frank Westenfelder berechnet hat, dreimal billiger als ein afrikanischer Sklave. Der Herzog hatte sich also von den cleveren Holländern über den Tisch ziehen lassen.
Die Soldaten wurden betrogen
Aber auch die Soldaten wurden betrogen. Ihren Sold zahlte die Ostindische Kompanie nicht in Florentiner Gulden aus, sondern in indischer Währung, dadurch war der Sold nur noch die Hälfte wert. Als die Rekrutierung begann, versprachen die Werber den Männern das Blaue vom Himmel, und in vielen Dörfern war man froh, auf diese Weise Dorftrottel, ungeratene Söhne, Störenfriede, Trunkenbolde oder uneheliche Kinder loszuwerden. Damit das Regiment möglichst rasch aufgestellt werden konnte, senkte der Herzog das Anwerbe-Alter von 18 auf 17 Jahre.
Ohne ausreichende Ausrüstung wurden die Soldaten unter dem Kommando des Straßburger Obersten Theobald von Hügel in Marsch nach Vlissingen in Holland gesetzt. Ihr geringer Lohn wurde noch einmal verringert, weil ihnen Marschverpflegung, Kleidung, Decken, Tabak und Schnaps in Rechnung gestellt wurden. Noch bevor die Soldaten das Kap erreichten, waren die meisten hochverschuldet. Auf der Überfahrt in engen Zwischendecks vegetierten sie seekrank zwischen Kot und Erbrochenem hinter den Geschützen. Je nach Wetter waren sie vier bis sieben Monate lang unterwegs, 143 Soldaten starben auf der Reise.
Als sie Kapstadt betraten, wurde es nicht viel besser. Das ungewohnte Klima in Südafrika, Krankheiten und Fieber dezimierten die Truppe weiter, schon nach wenigen Wochen waren noch einmal 510 Soldaten gestorben. Als die Truppe meuterte, konnte Oberst Hügel die Rebellion niederschlagen, indem er den Soldaten billigere Ausrüstung und Verpflegung besorgte, als die Holländer es taten. Was für Hügel ein gutes Nebeneinkommen bedeutete, und es ist überliefert, dass er mehrere 100 000 Gulden verdiente.
Während die gemeinen Soldaten darbten, hatten die Offiziere ein angenehmes Leben am Kap. Der Kapitänleutnant Kapf berichtete in seine Heimat: „Die Lebensart hier ist ganz ausgelassen, deswegen diejenigen, welche es bezahlen können, sich schöne Sclavinnen halten, welche einem getreuer sind als das beste Weib.“ Schließlich sei es bei dem guten Essen, „den starken Weinen, Gewürzen und dem Clima und dem Reize des weiblichen Geschlechtes unmöglich, ganz enthaltsam zu sein“.
Doch die befürchteten Angriffe der Engländer blieben aus, ebenso wie Aufstände der Eingeborenen, welche die schwäbischen Soldaten hätten niederschlagen sollen. Also überlegte die Ostindische Kompanie, was mit dem teuren Regiment zu machen sei, und beschloss, es nach Ostindien zu verlegen – für die Europäer damals eine Hölle aus Fieber und Hitze. Das ganze Regiment schickte ein Bittschreiben nach Stuttgart, doch das Bitten blieb umsonst.
Die verbliebenen 1800 Soldaten wurden 1791 nach ihrem etwa vierjährigen Aufenthalt am Kap wieder auf die Reise geschickt, nur eine kleine Besatzung blieb an der Südspitze Afrikas. Das Regiment wurde auf Batavia, dem heutigen Jakarta in Indonesien, und Ceylon, dem heutigen Sri Lanka, verteilt, dort starb auch 1800 der 61-jährige Oberst von Hügel.
Die Briten rollten die niederländischen Kolonien auf
Die Truppenverlegung war ein taktischer Fehler gewesen, denn nun rollten die Briten die holländischen Kolonien auf. Das vom Schutz entblößte Kapstadt fiel 1806.
In Indonesien jedoch waren die Hauptfeinde des Regiments nicht die Briten, sondern die Umweltbedingungen. Von den 1791 nach Ostindien eingeschifften Soldaten waren im Jahr 1796 nur noch 860 übrig, die anderen waren an Krankheiten gestorben, desertiert, ertrunken, im Streit erstochen oder von Einheimischen erschlagen worden, oder sie hatten ihren Leiden selbst ein Ende gesetzt. 1803 bestand das Regiment nur noch aus 285 Mann, von den Uniformen waren nur noch Fetzen vorhanden, die Waffen waren rostender Schrott.
Als der aus Schwaben nachgereiste Major Karl von Winckelmann die Truppe übernahm, fand er die Offiziere krank und zur Dienstaufsicht unfähig, die Unteroffiziere und Gemeinen waren der Trunkenheit „äußerst ergeben, ich fand sie ohne Schuhe, Hemder und Strümpfe in den Straßen oft sehr betrunken umherirren“. Winckelmann begann mit der Reorganisation. Doch die Württemberger waren gänzlich demoralisiert, die Lücken in der Truppe hatten sie mit minderjährigen Mischlingen aufgefüllt, von denen sie oft selbst die Väter waren. Die wenigen Überlebenden der wenigen Gefechte wurden dann in die holländischen Kolonialtruppen integriert, und damit endete die Geschichte des Regiments. Die Niederländer verloren im Jahr 1811 Jakarta an England, worauf die Württemberger zurückkehren konnten. Es waren nicht mehr viele, vermutlich hatten bis dahin etwa 100 der Soldaten überlebt.
Es war ein merkantilistisches Todesurteil
Der Historiker Frank Westenfelder hat den Verkauf des Kapregiments als ein „merkantilistisches Todesurteil“ bezeichnet. Doch für ihn ist der Soldatenhandel beileibe kein Phänomen des 17. und des 18. Jahrhunderts. Seiner Analyse zufolge seien auch etliche UN-Mandate, durch die manche Entwicklungsländer ihre Staatskasse aufbesserten, nichts anderes als moderner Soldatenhandel.
Friedrich Schillers „Kabale und Liebe“ gehört heute zur Schullektüre, und es ist sicher eines der wichtigsten deutschsprachigen Theaterstücke. Zwei Jahre, bevor das Stück in Frankfurt uraufgeführt wurde, war Schiller selbst Emigrant geworden: Er hatte vor der Wut des Herzogs ins Ausland fliehen müssen. Dort schuf er seine bedeutendsten Werke.
Dieser Text ist ein Teil einer großen Serie über Auswanderer aus der Region Stuttgart.