Zum 100-Jahr-Jubiläum bietet das Stuttgarter Jugendamt statt einer Feier im Rathaus eine ungewöhnliche Online-Ausstellung. Besucher der Jubiläumsseite können sich durch eine bilderreiche Reise durch die Jugendhilfe und Sozialgeschichte klicken.

Stuttgart - Wie feiert man als Jugendamt in Coronazeiten ein 100-Jahr-Jubiläum? „Es ist ein großes Fest geplant gewesen“, berichtet Bürgermeisterin Isabel Fezer (FDP). Doch das muss wegen der Pandemie nun ausfallen. Statt dessen und statt der üblichen warmen Worte präsentiert sich die große Stuttgarter Behörde jetzt mit einer aufwendig und anregend gestalteten Online-Ausstellung auf der städtischen Homepage. „Das Leitmotiv sind die Themen der Jugendhilfe“, sagt die Amtsleiterin Susanne Heynen. Und fotografisch fündig geworden sei man unter anderem beim Stadtarchiv.

 

„Wir haben dort und in verstaubten Kellern gewühlt, haben Zeitzeuginnen und Zeitzeugen vor die Kamera geholt und einige der vielfältigen Einrichtungen des Jugendamts aufgesucht und abgelichtet“, berichtet Heynen. Die Aufbereitung des historischen Materials sei ein Mammutprojekt gewesen, das bis Herbst auch noch zu einem Buch verarbeitet werden soll. Auf der Jubiläumsseite im Internet hat die Behörde ihre 100-jährige Geschichte in 25 Themen, 25 Gesichtern und 25 Einrichtungen gebündelt. Die Themen reichen von der Gründung über die Rechtsgeschichte, das Selbstverständnis, Nationalsozialismus, Kinder- und Jugendschutz, Elternschaft, Kitas, Heimerziehung, frühe Hilfen, Migration, bis zur Kinderbeteiligung, Jugendgerichtshilfe, Inklusion oder Kooperationen. Dabei gibt nicht nur viel zu sehen, sondern auch zu hören: Audiovisuell geben altgediente und ehemalige Mitarbeiter, aber auch Kooperationspartner von freien Trägern und aus der Kommunalpolitik Einblicke in die verschiedenen Arbeitsbereiche und Entwicklungen der Stuttgarter Kinder- und Jugendhilfe.

Nach Kriegsende fehlten geeignete Vormünder und Pflegefamilien

Im Zentrum der Arbeit standen und stehen bis heute Familien. Das war schon im Gründungsjahr so. Notwendig war die Gründung damals geworden, um die Jugendhilfe in öffentlicher Hand zu koordinieren und zu organisieren, da neben öffentlichen Stellen immer mehr Vereine und freie Träger in der Jugendfürsorge aktiv wurden. Außerdem fehlten damals, nach Kriegsende, vor allem geeignete Vormünder und Pflegefamilien. Daher schrieb das württembergische Jugendamtsgesetz, das am 8. Oktober 1919 verkündet worden war, die Einrichtung von Jugendämtern in ganz Württemberg vor.

In Stuttgart startete das Amt am 1. April 1921 am Wilhelmsplatz. Es hatte 11 500 Kinder und Jugendliche zu betreuen und beschäftigte neben dem Vorstand 60 Beamte und Angestellte, darunter vier Amtsvormünder und zehn Bezirksfürsorgerinnen, ergänzt von 500 freiwilligen Mitarbeitern. Zum Vergleich: heute beschäftigt das Amt 4640 Menschen, darunter 89 Prozent Frauen. An 272 Standorten, davon 167 Kitas, 26 Schülerhäuser und Ganztagsgrundschulen sowie 79 weitere Dienst- und Beratungsstellen, werden heute Kinder in ihren Entwicklungs- und Bildungsprozessen begleitet, Eltern mit ihren Anliegen unterstützt oder Hilfen vermittelt.

Das stetige Wachstum des Jugendamts hängt nicht nur mit der Zunahme der Bevölkerungszahlen zusammen, sondern auch mit vielen zusätzlichen Aufgaben, die sich aus den gesellschaftlichen Veränderungen ergeben haben. Beispielhaft sei nur der zunehmende Bedarf an Kita- und Ganztagsplätzen und somit an Kitabauten und Personal genannt, aber auch an Erziehungshilfe.

Diese sieht heute anders aus als vor hundert Jahren. Damals gab es weder ein Haus des Jugendrechts, das sich seit 1999 um straffällig gewordene Kinder und Jugendliche kümmert, in enger Partnerschaft mit Polizei und Staatsanwaltschaft, noch gab es ein Kinderschutzteam, in dem Sozialarbeiter mit Kinderärzten und Familien- und Krankenpflegern kooperieren und gemeinsam einschätzen, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Und doch findet es Fezer „verblüffend, wie professionell das Jugendamt schon von Anfang an aufgestellt war“: wegen seiner dezentralen Angebote, der Leitschnur, dass sich am besten eine Ansprechperson um eine Familie kümmere, aber auch, weil es auch andere Akteure der Stadtgesellschaft beteilige, darunter auch viele ehrenamtlich Tätige.

Schon immer galt: eine Ansprechperson soll sich um eine Familie kümmern