Der Sohn eines Schneiders lernt in der Fremde und gründet anschließend in der Heimat seine eigene Firma. Mit herausragendem Erfolg – Mehr als 1100 Patente besitzt der Tüftler mittlerweile.

Stuttgart - Der Blick aus dem Bürofenster streift über grüne Wiesen bis zu einem Höhenrücken am Horizont. Dort dreht sich ein Windrad, Zeichen der Energiewende. Seit diese eingeleitet wurde, drehen sich viele solcher Räder im deutschen Südwesten: auf der Alb, in Hohenlohe, im Schwäbischen Wald, aber auch anderswo. Dort, jenseits der großen Städte, ist der Erfinder aufgewachsen, der zum Gründer wurde. Dort hört man keinen Lärm einer nahen Autobahn, dort fährt keine S-Bahn. Zwischen Bauernhäusern, Dorfwirtschaft Ställen und Scheunen ragt ein Kirchturm auf. Statt Abgasen weht dem Besucher frische Landluft um die Nase.

 

Unseren Erfinder hat diese Gegend durchaus geprägt, das Elternhaus war fromm. Schon als dieser seine erste kleine Firma, aber deswegen auch Schulden hatte, klagte die besorgte Mutter dem Pfarrer ihr Leid: Schulden, so das frühere Fräulein Pfleiderer aus dem Remstal, seien doch „eine Sünd.“ Die Mutter aber war nicht nur kirchentreu, sie wusste auch, wie im Sohn Interesse am Tüfteln geweckt werden konnte. Das kleine Holzflugzeug, das der hoffnungsvolle Sprössling bastelte, das war ihr klar, würde niemals abheben. Zwar drehte sich der Propeller, sonst aber geschah nichts. „Jetzt hast du gelernt, wie es nicht geht“, sagte die Mutter – und ein Wasserrad, immerhin, brachte der Nachwuchserfinder durchaus in Bewegung. „Die Mutter ließ mich experimentieren, das war der Beginn einer Laufbahn mit der Technik“, sagt der Fabrikant heute.

Lehrling aus christlichem Hause gesucht

Er ist zwar kein Frömmler geworden, aber die kirchliche Lehre war durchaus richtungsweisend für seinen weiteren Weg. Ein Schlossermeister aus Stuttgart nämlich suchte einst einen „Lehrling aus christlichem Hause“ – und so kam der Bub, der bis dahin hinter den sieben Bergen gelebt hatte, in die Großstadt. Kleines Zimmer, wenig Geld, ab und zu ein Bier zum Feierabend – auch in der Landeshauptstadt galten für den Sohn eines Schneiders die Tugenden, die er von zu Hause mitbrachte: Fleiß, Sparsamkeit – und der Wille, es weiterzubringen. In Stuttgart lernte er, dass ein Geländer geschmiedet werden muss, solange das Eisen noch heiß ist. Zur kindlichen Begegnung mit der Technik kam nun eine kaufmännische Erfahrung: Die Schlosserei öffnete auch Türen, wenn jemand den Schlüssel vergessen hatte. Sonntags kostete dies immerhin 1,50 Mark. Doch man konnte offenbar mehr kassieren: Auch die drei Mark, die der Lehrbub wegen einer besonders langen Anfahrt verlangte, wurden ohne Murren bezahlt.

Der in die weite Welt – immerhin bis Stuttgart – auf die Walz gegangene Handwerker entwickelte sich nicht nur zu einem Meister seines Fachs, sondern war auch recht knitz. Und vielleicht lag das auch an der Familie, die eben nicht nur christlich war, sondern sich auch zu helfen wusste, wenn Beten allein nicht reichte. So etwa, als er nach Krieg und Gefangenschaft wieder heimkam. Die Nacht war finster, das Elternhaus lag im Dunkeln, an den Fenstern war kein Lichtschimmer zu sehen. Fieberhaft überlegte der Kriegsheimkehrer, was wohl geschehen sein könnte. Dann aber faste er sich ein Herz und klopfte. Er hörte die Stimme seines Vaters: „Wer ist da?“ Als er seinen Namen sagte, wirkte dies wie eine Parole: „Komm no rei Bua, mir hend grad gmetzget“, sagte der Vater – die Verdunkelung war notwendig geworden, weil nach dem Krieg vielfach schwarz geschlachtet wurde.

Patent Nummer 819 620

Jahre später entwickelte der Sohn ein ganz spezielles Licht. Für Bauern hatte er schon Feuerzeuge angefertigt die er gegen Brot tauschen konnte. Er hatte einen Röntgenapparat für ein Krankenhaus repariert, in einem Gartenhaus Lampen hergestellt und eine kaputte Waschmaschine wieder zum Laufen gebracht mit dem Erfolg, dass sie später brannte. Nun aber galt es, die eigene Tochter zu fotografieren. Und wieder war Erfindergeist gefragt: Um in dunkeln Räumen Aufnahmen machen zu können, behalfen sich die Fotografen damals noch mit Magnesiumpulver, um einen Blitz auszulösen. Das konnte gefährlich werden, zumal in der engen Dachwohnung der Familie – die eigens bestellte Fotografin zog wieder ab, ohne eine Aufnahme zu machen.

Für den Vater aber war dieses unerfreuliche Ereignis ein Schritt auf dem Weg zu seinem ersten Patent, dem Patent Nummer 819 620, verliehen vom deutschen Patentamt in München. Eine Herausforderung war es auch für gute Fotografen damals, genau dann auf den Auslöser der Kamera zu drücken, wenn auch der Magnesiumblitz zündete – und dann möglichst auch noch das Motiv im Auge zu behalten. Tagsüber baute das kleine Unternehmen Schaltschränke, nachts wurde getüftelt. Das Ergebnis war ein Gerät, das den Blitz genau dann auslöste, wenn sich der Verschluss des Objektivs bei der Kamera öffnete – damit war das Blitzlicht erfunden. Tausende von Blitzlichtern wurden später an die Firma Agfa geliefert. Oft war das Material knapp oder kein Geld vorhanden. Agfa zahlte erst spät, die Mitarbeiter aber sollten ihren Wochenlohn erhalten.

Erfolge und Fehlschläge

Mit Blitzlichtern aber konnte nicht nur die Firma vergrößert werden, bei ihrer Herstellung zeigte sich auch ein Grundsatz, der für den Erfinder noch heute gilt: Treue und Zuverlässigkeit gegenüber Kunden und Lieferanten. Von einer Eisenwarenhandlung brauchte der damalige Kleinunternehmer einen Materialkredit von 1000 Euro. Doch seine einzige Sicherheit war sein Wort, das Versprechen, in Zukunft bei keinem anderen Lieferanten zu kaufen, auch wenn dieser preiswerter sei. Das Wort genügte, die Ware wurde geliefert.

Mit seinen Blitzlichtern hatte der Tüftler Erfolg, es gab aber auch Fehlschläge. Ein Wirt aus der Umgebung wollte seinen Gästen etwas ganz Besonderes bieten: eine Apparatur, die den Kampf mit dem Frühstücksei erleichtern sollte. Kein Problem, so schien es, war doch klar, dass ein Ei dem anderen gleicht wie eben ein Ei dem anderen – die Sache musste sich mit einem kleinen Gerät auf dem Tisch machen lassen. Das Gerät wurde entwickelt, doch nichts klappte. Eier, so lernte der Erfinder, sind eben doch nicht alle gleich groß, ein Ei sieht nur aus wie das andere. Und er lernte noch mehr: „Eine Erfindung ist nur gut, wenn sie auch jemand nützt“ – eine Geschäftserfahrung, die viele Tüftler oft zu spät machen. „Eine Maschine zum Hutabnehmen würde niemand kaufen“, sagt der Mann, der inzwischen mehr als 1100 Patente besitzt.

Beim Erfinden darf es keinen Stillstand geben

Doch auch wenn das Unternehmen schon lange keine Blitzlichter mehr herstellt – weitere Geistesblitze gab es durchaus. Entwickelt wurden Dinge, an denen sich Erwachsene freuen und mit denen Kinder spielen können. Jüngstes Beispiel sind kleine, farbige Klötzchen aus Kartoffelstärke, die aneinandergeklebt werden können. Häuschen, Hunde und Gartenzäune können mit dem Naturprodukt gebastelt werden – die Klötzchen kleben gut, ebenso die Farbe an den Händen kindlicher Bastler. Auch beim Erfinden darf es keinen Stillstand geben, immer muss etwas Neues kommen, lautet die Devise des älteren Herrn, der als Kind oft schon morgens um sechs durch tiefen Schnee in die Schule stapfen musste. Solches lehrte womöglich die Zähigkeit, die ihm bis heute geblieben ist. Ein erfolgreicher Geschäftsmann kann Erfinder sein, muss Kaufmann sein „und den Willen haben, etwas durchzusetzen“. Und eine gewisse Schlitzohrigkeit gehört wohl auch dazu, zumal, wenn sie mit kalkuliertem Risiko verbunden ist: Wenn nach dem Krieg ein Wechsel von der amerikanischen in die französische Zone nötig war, beherzigte der ehemalige Luftwaffenoffizier den Rat einer Bäuerin: „Nemeht Se da letzta Zug, da send d’Franzose nemme uff em Bahhof.“ Auch dieser Hinweis war ein Rat fürs Leben. Augen und Ohren offenhalten, hören, sehen, Schlüsse ziehen – das war eines der Erfolgsrezepte für das Unternehmen, das in der Heimat verwurzelt, aber auch in China vertreten ist.

Einen Rat aber hat der Fabrikant ausgeschlagen, er sei erzählt, weil er für Humor steht, den unser Erfinder auch hat. „Auf so einer Zugfahrt zwischen den Zonengrenzen war mir recht bang, eine korpulente Dame im Abteil hat mir angeboten, mich unter ihrem weitläufigen Gewand zu verkriechen.“ Das aber hat der Grenzgänger abgelehnt: „Vielen Dank, aber ich will nicht, das mich die Franzosen unter einem Rock vorziehen“, sagt er heute und kann immer noch über das Erlebnis schmunzeln.

Der Erfinder, der zum Gründer wurde, ist aber nicht nur dies: Er hat gedichtet, und gemalt, meist etwas ins Abstrakte gewendete Landschaftsbilder. So sehr unterscheide sich dies gar nicht von einer Erfindung, meint er: „Zunächst hat man immer ein leeres Blatt Papier vor sich.“ Und in beiden Fällen komme die Neugier darauf hinzu, was sich entwickle – eben der Versuch zu ergründen, was die Welt bewegt, aber letzten Endes dann auch zusammenhält. Zu seiner heutigen Größe wuchs das Unternehmen abseits der großen Städte nicht mit Blitzlichtern, sondern mit einem ganz anderen Produkt – mit Dingen, die für festen Halt sorgen.

Des Rätsels Lösung

Haben Sie ihn erkannt? Den Mann, der mehr als 1100 Patente besitzt und von seinem Bürofenster aus Wiesen und Bauernhäuser sehen kann? Ein stattliches Alter muss er ja haben, wenn er im Krieg und in Gefangenschaft war. Und rüstig ist er allemal. Richtig: Artur Fischer ist der gesuchte Gründer und Erfinder. Vonihm stammt der berühmte Fischer-Dübel. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Waldachtal im Schwarzwald. Geboren ist er übrigens am 31. Dezember 1919.