Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel und Herausforderer Peer Steinbrück vor der Kamera stehen, wird an der Uni Hohenheim sehr gut aufgepasst. Ausgesuchte Zuseher bewerten für die Wissenschaftler das TV-Duell der beiden Spitzenkandidaten.

Stuttgart - Die Universität Hohenheim testet Wissenschaft einmal mehr in der Praxis: Wenn am 1. September die CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr SPD-Herausforderer Peer Steinbrück im Fernsehduell gegeneinander antreten, wird zu den Zuschauern auch der Hohenheimer Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider gehören. Allerdings wird sein Interesse nicht in erster Linie den politischen Kontrahenten selbst gelten, sondern 140 Testpersonen, die das Streitgespräch in einem Hörsaal der Uni verfolgen und, jeweils mit einem Drehregler ausgestattet, die Aussagen von Merkel und Steinbrück bewerten werden. An der Dualen Hochschule in Ravensburg verfolgen weitere 80 Zuschauer das Duell; die Ergebnisse werden später zusammengeführt.

 

Wissenschaftler können Reaktionen sofort analysieren

In Hohenheim können Brettschneider und seine Kollegen im Nebenraum die Kurven der Zustimmung und Ablehnung sofort sehen – und so nachvollziehen, womit die Kandidaten punkten und womit sie nicht ankommen. „Wir wollen wissen, welche Aussagen polarisieren und welche konsensfähig sind“, fasst Brettschneider die Grundfrage zusammen. Dabei interessiert ihn aus wissenschaftlicher Sicht besonders, wie der SPD-Kanzlerkandidat auftritt: „Greift Steinbrück an, und wenn ja, klappt das? Denn das ist immer eine Gratwanderung: Attacken polarisieren“, erklärt er die Schwierigkeit, den Weg zwischen zu viel Freundlichkeit und zu viel Biss zu finden. Die Tatkraft, die die Kontrahenten ausstrahlten, spiele bei der Bewertung ebenfalls eine Rolle, ebenso die Erwartung, die an sie gestellt würden.

Doch Brettschneider will nicht nur wissen, wie Merkels und Steinbrücks Aussagen unmittelbar aufgenommen werden, sondern auch, ob sie etwas bewirken. Deshalb füllen die Probanden vor und nach dem Duell jeweils einen Fragebogen aus. „Manchmal verändert sich die Bewertung durch das Duell signifikant“, berichtet er von den Beobachtungen bei früheren Fernsehduellen. Beispielsweise habe der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus bei der Landtagswahl vor zwei Jahren im Streitgespräch mit Nils Schmid von der SPD deutlich zugelegt. Hingegen habe das Duell Angela Merkel gegen Frank-Walter Steinmeier vor der Bundestagswahl 2009 kaum Bewegung gebracht. Das sei eine zähe Angelegenheit gewesen, erinnert sich Brettschneider. Doch da Steinbrück redegewandter sei als Steinmeier, hofft der Experte diesmal auf deutlich mehr Spannung.

Je knapper der Wahlausgang, desto wichtiger das TV-Duell

Ein Duell, bei dem der Wahlkampf „wie unter einem Brennglas“ stattfinde, könne durchaus etwas verändern. Die entscheidende Frage sei allerdings, wie lange es nachwirke. Denn zehn bis 15 Prozent der Wähler „entscheiden in den letzten zwei Tagen vor der Wahl, wem sie ihre Stimme geben“, erklärt Brettschneider. Und Zuschauer, die parteipolitisch weitgehend festgelegt seien, änderten ihre Meinung „in der Regel nicht“.

Dennoch könne besonders bei einem knappen Wahlausgang ein Fernsehduell der Spitzenkandidaten entscheidend sein. Zumal kein anderes einzelnes Ereignis während des Wahlkampfes so viele Menschen erreiche. Der verbale Schlagabtausch vor der Kamera sei „eines der wichtigsten Ereignisse in modernen Medienwahlkämpfen“.

Zum ersten Mal nehmen die Kommunikationswissenschaftler in Hohenheim übrigens auch die Moderatoren etwas unter die Lupe: Neigen sie einer Seite zu? Sind sie fair und ausgewogen? So lauten die Fragen, an denen sie gemessen werden.

Das Fernsehduell wird am Sonntag, 1. September, von 20.30 Uhr an gesendet, ARD, ZDF, RTL und ProSieben richten es aus. Gleich vier Moderatoren nehmen Angela Merkel und Peer Steinbrück in die Zange: Stefan Raab, Anne Will, Maybrit Illner und Peter Kloeppel.