Frauenboxen in Deutschland gibt es eigentlich erst seit Regina Halmich. Im Zahnradbahngespräch erzählt die Karlsruherin von den belächelten und zermürbenden Anfängen, aber auch über den Stolz, eine Vorkämpferin gewesen zu sein.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Bei der Verabschiedung sagt Regina Halmich: „Hat Ihnen eigentlich schon mal jemand gesagt, dass Sie aussehen wie Matthias Opdenhövel?“ Nein, noch nie. „Dann wurde es Zeit“, meint sie mit einem zufriedenen Lächeln, setzt sich in ihr Auto und macht sich auf den Weg zurück nach Karlsruhe. Der Vergleich mit dem Fernsehmoderator scheint ihr ganz gut gefallen zu haben. Und weg ist sie. Was zur Folge hat, dass sich leider nicht mehr abschließend klären lässt, ob das nun ein Kompliment war oder nicht.

 

Zwei Stunden vor dem Opdenhövel-Finale kommt Deutschlands berühmteste Boxerin am Marienplatz im Stuttgarter Süden an. Seltsamerweise in einem Wagen mit Stuttgarter Kennzeichen. „Für eine Karlsruherin ist das fast schon eine Mutprobe“, sagt die „Badenerin des Jahres 2000“ und erklärt das „S“ mit einem ihrer Sponsoren, der Schwabengarage. Die Geschäfte scheinen auch neun Jahre nach ihrem Karriereende noch sehr gut zu laufen. Und dann erzählt Regina Halmich auf dem Weg zur Zahnradbahn von ihrer Ich-GmbH, in der sie als Box- und Fitnesstrainerin oder als Referentin zu buchen ist. Außerdem hat sie gerade an einer Box-Kollektion für Frauen mitgearbeitet, die ihren Namen trägt, und sie ist auch immer wieder im Fernsehen zu sehen. „Ich bin im Leben nach der Boxkarriere angekommen“, sagt sie und steigt in die gerade angekommene Zahnradbahn ein.

Es kann also losgehen mit dem Zackegespräch. Und Regina Halmich fängt an zu erzählen – wie sich allerdings schnell herausstellen wird, von einem Tiefpunkt in der Karriere – ihrem ersten WM-Kampf 1995 in Las Vegas. Den Hinweis, dass das Zahnradbahngespräch auf dem Weg nach Degerloch eigentlich mit den Highlights beginnt und erst auf der Rückfahrt bergab die Tiefpunkte behandelt, kontert sie reaktionsschnell: „Wir sind aber noch nicht abgefahren.“ Sie sei deshalb noch frei in der Themenwahl, sagt Regina Halmich grinsend und kommt wieder auf den Kampf in den USA zu sprechen, den sie „ein Schlüsselerlebnis in meinem Leben mit 19 Jahren“ nennt. Es sollte die einzige Niederlage in der langen Karriere von Regina Halmich bleiben.

Der Traum vom Titel in Las Vegas platzt aber brutal. In der vierten Runde bricht der Ringrichter den Kampf gegen Yvonne Trevino ab. Regina Halmich hat einen Cut unter dem Auge. „Damals wurde noch mit den viel härteren Rosshaarhandschuhen geboxt“, erzählt sie, „das hat Spuren hinterlassen.“ Am nächsten Tag kommen die Bilder der blutüberströmten Regina Halmich in Deutschland an, und die „Bild“ titelt dazu: „Wollen wir das wirklich sehen?“ Die Antwort wird damit gleich mitgeliefert. „Meine Eltern wären auch nicht traurig gewesen, wenn ich meine Karriere gleich wieder beendet hätte.“ Aber Regina Halmichs Antwort lautet: „Jetzt erst recht.“ Sie hatte ja auch voll aufs Boxen gesetzt, nach der mittleren Reife die Schule verlassen, nebenher noch eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsgehilfin gemacht. Durch die Entscheidung für den Sport wird Regina Halmich mit ihren 1,60 Metern zur großen Vorkämpferin für das Frauenboxen in Deutschland. „Daran habe ich damals natürlich nicht gedacht. Das ist mir erst viel später klar geworden.“

„Als Boxerin brauchst du Eier“

Dann sagt die 39-Jährige einen Satz, der typisch für sie ist, frech und auf den Punkt gebracht: „Als Boxerin brauchst du Eier.“ Und spricht darüber, wie sie sich anfangs ständig fürs Boxen rechtfertigen musste, aber auch ihren Eltern schlug überall Unverständnis entgegen. Die boxende Tochter passte für viele so gar nicht zum Vater, Karlsruhes Stadtbeauftragter des Malteser Hilfsdiensts und Leiter im Christlichen Jugenddorfwerk.

Mit 15 Jahren kommt Regina Halmich über Karate und Kickboxen zum reinen Faustkampf und muss gleich Profi werden, weil in Deutschland in den 90er Jahren Amateurboxen für Frauen verboten ist. „Mein erster Trainer, Jürgen Lutz, und ich hatten verrückte Träume, die in der Realität dann noch weit übertroffen wurden“, erzählt Regina Halmich.

Die Zahnradbahn ist mittlerweile auf dem Weg nach oben, und das passt dann zur Erfolgsgeschichte von Regina Halmich, die sich nach der Niederlage in Las Vegas noch im selben Jahr den WM-Titel im Fliegengewicht holt. Und Weltmeisterin bleibt sie von nun an unter den Trainern Jack Talami und Torsten Schmitz ohne Unterbrechung bis zu ihrem Karierenende 2007. Bis dahin sind es insgesamt 56 Profikämpfe, in denen es Regina Halmich schafft, eine belächelte und abgelehnte Sportart aus schmuddeligen Hinterhofhallen mit Rotlichtpublikum in die großen Arenen und in die deutschen Wohnzimmer zu bringen. „Darauf bin im Rückblick stolz“, sagt Regina Halmich. „Es war oft sehr zermürbend, um Rechte zu kämpfen, aber es hat sich wirklich gelohnt.“

Ihren großen Durchbruch verortet Regina Halmich im Jahr 2002. Erstmals wird in Deutschland ein Frauen-Boxkampf live übertragen. Im ZDF bestreitet sie bald die Hauptkämpfe des Abends, und Männer finden sich plötzlich im Rahmenprogramm wieder. In der Macho-Sportart Boxen kommt damit nicht jeder klar.

Selbst ihr Manager Klaus-Peter Kohl war zunächst nicht unbedingt angetan vom Frauenboxen. „Uns verbindet eine Hassliebe“, sagte Regina Halmich über das Verhältnis zum ehemaligen Chef des Universum-Boxstalls. Diese Beziehung verbessert sich deutlich, als Regina Halmich immer populärer wird und mit Frauenboxen plötzlich gutes Geld zu verdienen ist. Das gefällt nicht jedem. Weltmeister Felix Sturm zum Beispiel äußert seinen Unmut darüber, dass auch Frauen im Boxen eine Rolle spielen – „die Sandsack-Streichlerinnen“, wie sie hie und da von den männlichen Kollegen unkollegial bezeichnet werden.

Noch ganz andere Dinger hat Stefan Raab rausgehauen („Ich hol’ die Cellulite-Peische raus“) – und damit seine Showboxkämpfe gegen Regina Halmich 2001 und 2007 angeheizt. Mit viel Erfolg. 20 000 Zuschauer machen die Köln-Arena im Rückkampf voll, was interessanterweise Henry Maske bei seinem Comeback nicht gelingt. „Diese zwei Veranstaltungen waren für mich Höhepunkte“, sagt Regina Halmich, die beide Kämpfe überdeutlich für sich entscheidet. Beim ersten Mal bricht sie Stefan Raab vor über sieben Millionen Fernsehzuschauern die Nase. „Das war notwendig nach den Sprüchen von ihm“, meint die fernseherprobte Frau, die Raab aber nie böse war. Im Gegenteil: „Dieser erste Kampf hat mir und meiner Karriere unheimlich geholfen, auch weil Stefan Raab seine Sendungen genial verkaufen kann.“

Der Box-Oscar für das Lebenswerk

Die Zahnradbahn ist schon fast wieder unten am Marienplatz angekommen, ohne dass nach dem ersten verlorenen WM-Kampf bis jetzt ein weiterer Tiefpunkt hinzugekommen wäre. Dann eben noch ein Höhepunkt. „Dass ich in die Hall of Fame des Boxens aufgenommen wurde, bedeutet mir sehr viel“, sagt Regina Halmich über die Ehre, die ihr in Fort Lauderdale in Florida 2014 zuteilwurde. „Für mich ist das ein bisschen wie der Oscar für das Lebenswerk.“ Noch auf einen Espresso ins Café Kaiserbau? „Sehr gerne“, sagt Regina Halmich, die dann allerdings einen Ingwer-Tee trinkt. Und auf ein Problem zu sprechen kommt, dass viele Prominente kennen: Stalking. Es ging mit Liebesbriefen los, es folgten Drohbriefe an Regina Halmichs damaligen Freund. Und irgendwann lauerte ihr der Mann beim Joggen im Wald auf. „Es ist nichts passiert, aber angenehm ist das natürlich nicht“, sagt Regina Halmich, die dadurch aber nicht ängstlicher geworden sei, wie sie sagt.

Und dann plaudert Regina Halmich einfach weiter und sagt, dass sie nur im Boxring im Kampfmodus gewesen sei. „Das ist nur ein ganz kleiner Teil von mir, ich bin eher sanft und will von einem Mann beschützt werden.“ Irgendwann geht es dann um ihre sechs Jahre ältere Schwester, die ganz anders sei als sie – ruhiger, in sich gekehrt. Und darum, wie sich der familiäre Kreis bei ihrem Abschiedskampf in der Karlsruher dm-Arena geschlossen hat, wo Yvonne Halmich als Pressesprecherin arbeitet. Es geht auch noch um Regina Halmichs Zweitwohnsitz Berlin, eine Stadt, die sie erst gehasst hat und nun liebt. Um ihr persönliches Beraterteam mit dem Sportanwalt Christoph Schickhardt und der Presseagentin Christiane Diezemann. Und irgendwann geht es dann auch noch um Matthias Opdenhövel.