Das zweite Leben der Marke Borgward Wie die Chinesen Borgward kaperten
Mit Kapital aus Peking wurde die Automobilmarke Borgward vor wenigen Jahren wiederbelebt – doch dann ging alles schief.
Mit Kapital aus Peking wurde die Automobilmarke Borgward vor wenigen Jahren wiederbelebt – doch dann ging alles schief.
Stuttgart - Die Automarke Borgward ist in Deutschland nach einem kurzen Comeback schon wieder von der Bildfläche verschwunden. Doch in einem Rechtsstreit mit Renault zeigt sich der Autobauer unbeugsam. Am 8. Oktober werden sich Anwälte im Auftrag beider Unternehmen vor dem Oberlandesgericht München treffen. Renault will Borgward verbieten, eine Raute als Markenzeichen zu verwenden, weil Verwechslungsgefahr mit dem traditionsreichen Rhombus der Franzosen bestehe, so die Argumentation von Renault.
Vor dem Münchner Landgericht hat Borgward im April in erster Instanz diesen Rechtsstreit klar verloren. Die 33. Zivilkammer bejahte eine Verwechslungsgefahr. Renault dürfe Borgward verbieten, die Raute zu verwenden, urteilten die Richter, denn die Franzosen hätten die älteren Rechte und die Marke sei omnipräsent. Deshalb habe sie einen besonderen Schutz verdient. Für jedes Zuwiderhandeln wurde ein Ordnungsgeld von 250 000 Euro angedroht. Zugleich verdonnerte die Kammer Borgward grundsätzlich auch zu Schadenersatz, ohne allerdings bereits eine Höhe festzulegen. Darüber hinaus wurde Borgward verpflichtet, sämtliche Werbematerialien zu vernichten. Nach dem Misserfolg der Großkanzlei CMS Hasche Sigle in der ersten Instanz wird Borgward vor dem Oberlandesgericht nun von der international tätigen Münchner Kanzlei Beiten Burkhardt vertreten.
Beiten Burkhardt bezeichnet sich als eine der führenden deutschen Wirtschaftskanzleien. „Unsere Experten haben ein besonderes Gespür für die Anliegen unserer Mandanten“, wirbt die Kanzlei im Internet. Ob dies hilft, einen weiteren Rückschlag in dem kurzen, aber von vielen geplatzten Versprechungen gekennzeichneten zweiten Leben von Borgward abzuwenden?
Im ersten Leben war die Borgward-Gruppe einer der größten deutschen Autobauer. Der Unternehmensgründer Carl F. W. Borgward schuf aus einer kleinen Bremer Kühlerfabrik ein Automobilimperium mit den Marken Borgward, Lloyd und Goliath. Mit flotten Wagen wie der schnittigen „Isabella“ schuf er in den Fünfzigerjahren einen Verkaufsschlager. Borgward galt als begnadeter Konstrukteur, seine Autors waren innovativ. Doch dem Patriarchen fehlte die Vorsicht des guten Kaufmanns. Nach etlichen Fehlentscheidungen war Borgward 1961 pleite.
Die offizielle Story der Wiederbelebung handelt davon, dass Christian Borgward, der Enkel des Gründers, davon träumte, die Arbeit seines berühmten Großvaters fortzuführen und der Marke mit der Unterstützung von zwei ehemaligen Daimler-Männern wieder aufzupolieren.
Christian Borgward wurde Aufsichtsratschef, der Ex-Daimler-Pressesprecher und spätere Berater Karlheinz Knöss sein Vize, der China-Kenner und ehemalige Daimler-Manager Jürgen Walker Vorstandschef der neuen Borgward Group AG in Stuttgart. Doch das dürfte höchstens die halbe Wahrheit sein. Die drei Schlüsselfiguren dürften in Wirklichkeit die Erfüllungsgehilfen eines chinesischen Lastwagenherstellers sein, der davon träumte, die Autowelt zu erobern – mit Wagen aus dem roten Riesenreich, die ein deutsches Markenzeichen trugen.
Unterlagen, die unserer Zeitung vorliegen, belegen, dass der zum Daimler-Großaktionär BAIC gehörende Lastwagenbauer Foton 2012 ein Projekt mit dem Ziel startete, eine ganz neue chinesische Automarke zu erfinden, die den Käufern aber deutsche Qualität und Ingenieurskunst versprach. Damit glaubte man, die Wagen etwas teurer als die lokalen chinesischen Marken verkaufen zu können. Einen ähnlichen Weg ging ein junger chinesischer Autobauer, der als Markennamen das deutsche Wort „Weltmeister“ wählte. Anderthalb Jahre nach dem Start des Foton-Projekts stolperten die Chinesen dann über die Marke Borgward, die für ihre Zwecke bestens geeignet schien, erwarben die Markenrechte und leiteten das Comeback ein. Knöss und Walker verkündeten im Dienste des Borgward-Eigners Foton große Pläne für die Wiederbelebung der Marke. Die symbolträchtige Standortwahl des Hauptquartiers in der Heimat von Daimler und Porsche zeigte auch ein unbegrenztes Selbstbewusstsein. Borgward zog mitten in die City der Autostadt, in die beste Etage des markanten Büroturms Citygate beim Hauptbahnhof.
Nach dem Comeback von Borgward 2015 auf dem Genfer Autosalonsollte es Schlag auf Schlag gehen. Im Eiltempo sollten Jahr für Jahr neue Modelle auf den Markt gebracht werden, in Bremen sollte eine Montagewerk für bis zu 50 000 Elektroautos und Hybridantrieb im Jahr gebaut werden, bei Peking entstand eine hoch moderne Fabrik für die Produktion von 160 000 Autos im Jahr, die in einer zweiten Phase auf 360 000 Autos ausgebaut werden sollte.
Doch dann platzte der Traum, weil die chinesischen Geldgeber nur Autos mit Benzinmotor verkaufen wollten und keine Wagen mit alternativen Antrieben. Zudem waren die Benziner nicht auf den neuesten Stand der Technik, auch beim Infotainment und der Klimaanlage wurde gespart. Das Absatzziel wurde bei den Geländewagen BX 7 und BX 5 weit verfehlt, die Fabrik in Bremen wurde nie gebaut, der Showroom in Stuttgart blieb eine Baustelle, der Vertrieb über eine Internet-Plattform des Autovermieters Sixt erwies sich als Luftnummer und die Werkstattkette ATU stieg schließlich desillusioniert aus dem Servicevertrag wieder aus.
Borgward-Chef Walker reiste Ende 2017 nach Peking, wies auf die Mängel hin und forderte die volle Zuständigkeit und Verantwortung für die Marke. Doch die Chinesen zeigten ihm die kalte Schulter, erzählt ein ehemaliger Vorstand. Daraufhin schmiss der frühere Daimler-Manager im Sommer 2018 hin. Borgward geriet in einen immer stärkeren Abwärtsstrudel. Die AG wurde in eine GmbH umgewandelt, fast alle Mitarbeiter in Stuttgart entlassen, der Aufbau des Europa-Vertriebs gestoppt. Für den Vertrieb und Service in ganz Europa ist heute allein der Luxemburger Autohändler Autodis zuständig.
Foton gab Ende 2017 bereits eine Mehrheitsbeteiligung an das chinesische Startup Ucar ab, einen Fahrdienstleister nach dem Muster des US-Unternehmens Uber. Hinter Ucar steht der Milliardär Lu Zhengyao, der in China mit der Café-Kette Luckin Coffee dem US-Riesen Starbucks Konkurrenz machen wollte. Doch dann verursachte die Café-Kette für einen riesigen Finanzskandal. Am 2. April dieses Jahres musste das Unternehmen zugeben, dass mehrere Führungskräfte bei den Geschäftsbilanzen vom zweiten bis zum vierten Quartal 2019 Verkäufe in Höhe von 2,2 Milliarden Yuan glatt erfunden hatten. Umgerechnet sind das über 270 Millionen Euro. Der Kurs der Aktien von Luckin Coffee ist um 95 Prozent eingebrochen, und ein Ende der Talfahrt ist nicht in Sicht. Mittlerweile ist Lu als Vorstand von Luckin Coffee abgewählt worden – sein Einfluss auf das Unternehmen hinter den Kulissen gilt aber nach wie vor als groß. Doch gleichzeitig hat er Kreditgeber, angeführt von Credit Suisse, im Nacken, die es auf seinen Privatbesitz abgesehen haben, um den finanziellen Schaden der Bilanzfälschungen zu begleichen.
Ucars Aktien wiederum sind Ende August um über 50 Prozent eingebrochen. Grund dafür: Das Unternehmen hat es bislang nicht geschafft, sich in den Augen der Investoren vom Skandal bei der Kaffeekette glaubhaft zu distanzieren. Als dieser ausbrach, hatte Ucar Anfang April den Handel seiner Aktien gar vorübergehend einstellen müssen, um „ungewöhnliche Kursschwankungen zu vermeiden“ und das „Interesse der Anleger zu schützen“, wie es in einer Stellungnahme heißt.
Bei Borgward herrscht derweil Funkstille. Wer in Stuttgart anruft, hört immer wieder eine Bandansage, dass alle Mitarbeiter in Gesprächen seien, schriftliche Anfragen unserer Zeitung in Stuttgart und in Peking blieben unbeantwortet. Als Ucar bei Borgward einstieg, war dies noch anders. Damals verkündete ein Sprecher des Autobauers, der mittlerweile schon lange das Unternehmen verlassen hat, eine glänzende Zukunft. Die Ucar-Gruppe bringe ihr einzigartiges Knowhow in den Bereichen Mobilitätsdienstleistungen und Digitalisierung zu Borgward, das für die künftigen Trends der Automobilindustrie von enormer Bedeutung sei.
Das Urteil von Nicole Steiger fällt heute negativ aus. „Ucar hat Borgward in den letzten Jahren nicht geholfen voran zu kommen“, meint die Geschäftsführerin der auf den chinesischen Markt spezialisierten Stuttgarter Unternehmensberatung JSC Automotive und fügt hinzu: „Wir gehen davon aus, dass Borgward 2022 aus dem Markt ausscheidet.“
Zunächst einmal zieht Borgward in Stuttgart in bescheidenere Büros um. Aus gut unterrichteten Immobilienkreisen ist zu erfahren, dass für das sechste Obergeschoss des Büroturms Citygate ein neuer Mieter gesucht wird.