Facebook wird oft vorgeworfen, eine Krake zu sein, die Daten sammelt. Aber stimmt das wirklich? Nun gibt es das Programm „Data Selfie“, das diese Frage beantwortet.

Stuttgart - Welche Seiten mag ein Nutzer? Was wird wie lange angesehen, und was kauft der User gerne ein? Dass das soziale Netzwerk Facebook mehr über seine Nutzer weiß, als diesen recht ist, ist bekannt. Doch wie viel weiß das Unternehmen tatsächlich?

 

Facebook wertet Daten seiner Nutzer aus und kann so noch gezielter Angebote bereitstellen. Diese Informationen macht nun eine Webbrowser-Erweiterung namens „Data Selfie“ sichtbar. Es handelt sich um ein Programm, das im Chrome-Browser installiert werden kann und fortan alle Aktivitäten eines Nutzers bei Facebook aufzeichnet. 90 000 Personen haben das Programm bereits getestet. Für Firefox soll es die Applikation bald auch geben – mobil ist sie nicht nutzbar.

Die beiden Macherinnen Hang Do Thi Duc und Regina Flores Mir erzählen, was hinter „Data Selfie“ steckt: „Wir wollen Ihnen Ihre Facebook-Daten wieder zurückgeben.“ Und: „Wir sind nicht an Ihren Daten interessiert. Wir wollen Ihre Daten nicht. Wir speichern Ihre Daten nicht.“ Wer die Anwendung ausprobiert, speichert laut den Macherinnen von „Data Selfie“ die Daten über sich ausschließlich auf dem eigenen Computer. Diese können jederzeit wieder gelöscht werden.

Was macht Data Selfie mit den Daten?

Der User soll auf diese Weise die Hoheit über seine Daten zurückerlangen – indem er mit der Anwendung „Data Selfie“ offen wie ein Buch wird. Die Erweiterung zeigt in einer Grafik in Echtzeit, was auf Facebook wie lange getan oder geschrieben und mit welchem weiteren Nutzer kommuniziert wird. Sobald der Anwender der Meinung ist, die Auswertung sei für ihn abgeschlossen, kann er die Daten herunterladen oder wieder löschen.

„Wir wollen den Usern deutlich machen, dass es eine Datenwirtschaft gibt – auch wenn man nur durch Facebook scrollt, hinterlässt man Daten.“ Dass dabei auch falsche Rückschlüsse auf die Persönlichkeit gezogen werden können, hat Thi Duc aus ihrem „Data Selfie“ erfahren: „Meine politische Gesinnung wurde zu 70 Prozent als konservativ und zu 30 Prozent als liberal eingeschätzt. Ich persönlich sehe mich aber als eher liberal an.“ Falsch habe Facebook auch bei der Einschätzung ihres Geschlechts gelegen – aufgrund ihrer Technologie-Affinität, die sich auch durchaus in den sozialen Medien widerspiegelt, wird sie als „eher männlich“ eingestuft.

Hang Do Thi Duc ist in Deutschland geboren und in Bitterfeld aufgewachsen. In Magdeburg absolvierte sie zunächst ihr Bachelor-Studium und ging dann an die Parsons School of Design nach New York – in den Vereinigten Staaten lebt die Künstlerin und Technologin seit zweieinhalb Jahren. Eine Verbindung zu Stuttgart hat Hang Do Thi Duc auch: Sie und ihr Projekt „Data Selfie“ mit Regina Flores Mir sind im März 2017 in der Kooperation der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart und dem Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe (ZKM) ausgezeichnet worden.

Auch für Erkenntnisse darüber, welche Schlüsse Facebook aus den Aktivitäten seiner Nutzer zieht: So spuckt die Anwendung „Data Selfie“ Informationen über politische Gesinnung – die Kategorien lauten konservativ, liberal, libertär oder unbetroffen aus. Auch religiöse Orientierung sowie Vorlieben in der Freizeit sind in der Auswertung visuell dargestellt – allein die persönliche Zeitleiste in dem sozialen Netzwerk entscheidet über das Bild, das sich Facebook über seine Nutzer macht. Wer einmal ein Posting eines Kleidungsherstellers angeklickt hat, wird auch in Zukunft weitere ähnliche Werbeblöcke zu sehen bekommen. Facebook vermerkt dann Präferenzen wie „kauft gerne modebewusst ein“ oder „legt Wert auf Qualität“.

Wie gläsern ist ein Nutzer für Facebook aber wirklich? „Data Selfie“ betreibt – analog zu Facebook – Psychoanalyse: Ist der User eher entspannt oder gerät er schnell in Rage? Ist er spontan oder eher organisiert? Pflichtbewusst, extrovertiert oder liebenswürdig? Welchen Personen und Organisationen steht man positiv, neutral oder eher negativ gegenüber? All diese Zuschreibungen generiert Facebook anhand von Klicks, Likes und Kommentaren. Vorhersagen über die Persönlichkeit – zum Beispiel „weiblich, interessiert sich im Vergleich zu anderen Facebook-Usern zu 48 Prozent für Nachrichten und hat zu 46 Prozent ein Interesse an Führungsthemen“ – gehen sehr ins Detail. Manche Zuschreibung ist dem User bis zur Auswertung seines Nutzerverhaltens gar nicht so recht bewusst; oder stimmt nicht überein.

Auch spannend ist es, zu erfahren, dass Facebook weiß, mit welcher Bezahlart online eingekauft wird und ob die Familie oder eher Online-Werbung darauf Einfluss haben, was der User konsumiert.

Persönliche Informationen verschleiern

Wer jedoch verhindern will, dass Facebook auf das komplette Leben Rückschlüsse zieht, kann dies beeinflussen. „Keine Mitgliedschaft in einem Fitness-Studio“ ist zum Beispiel die Aussage auf „Data Selfie“, solange man die Werbung großer Ketten nicht lange in der Timeline anschaut oder gar darauf klickt. Auch die politische Gesinnung kann durch vielfältige Likes unterschiedlichster politischer Organisationen oder Personen verschleiert werden. Zudem kann so eine Informationsblase, wie sie viele hinter dem Algorithmus des amerikanischen Unternehmens Facebook vermuten, verhindert werden.

Wer eine möglichst vielfältige persönliche Zeitleiste (Timeline genannt) in dem sozialen Netzwerk mit Informationen aus etlichen Bereichen des Lebens haben will, muss seine Interessen online am besten breit streuen. Für den Social Media-Giganten Facebook werden die User auf diese Weise weniger greifbar, vorhersehbar – und auch vermarktbar.