Datenaffäre beim VfB Stuttgart Ermittlungen mit Hindernissen

Thomas Hitzlsperger, Stefan Heim, Jochen Röttgermann (v.l.n.r.) Foto: Pressefoto Baumann/Julia Rahn

Aus Zwischenberichten der Kanzlei Esecon geht hervor, dass der VfB-Vorstand und Teile des Präsidiums die Aufklärung der Datenaffäre erheblich erschweren. Der Club bestreitet diese Vorwürfe und erwartet den Abschlussbericht Anfang Februar.

Stuttgart - Die Führungskrise beim VfB Stuttgart ist auch rund um das Auswärtsspiel an diesem Mittwoch (20.30 Uhr/Liveticker) bei Arminia Bielefeld in vollem Gange. In einem weiteren Akt des Machtkampfs zwischen Vorstandschef Thomas Hitzlsperger und Präsident Claus Vogt kündigte der für die Auswahl der Präsidentschaftskandidaten zuständige Vereinsbeirat am Montag an, „von sich aus mögliche Kandidaten anzusprechen“. Gleichzeitig stellte das Gremium klar, dass vor dem Abschluss der Untersuchungen zur Datenaffäre „keine finalen Entscheidungen“ getroffen werden.

 

Zumindest Letzteres darf als weiser Entschluss gewertet werden, da die Hintergründe der Weitergabe Zehntausender von Mitgliederdaten zwischen 2016 und 2018 weiterhin im Dunkeln liegen. Es ist eine Affäre, die nach Meinung renommierter Datenschutzexperten „an einem Nachmittag“ aufgeklärt werden könnte – zumindest dann, wenn alle Beteiligten mit offenen Karten spielen würden. Beim VfB hingegen laufen die Untersuchungen seit knapp vier Monaten. Weil in den entscheidenden Gremien offenbar sehr viel dafür getan wird, die von Claus Vogt geforderte „lückenlose Aufklärung“ zu verhindern. Diesen Eindruck jedenfalls vermitteln die Zwischenberichte der mit den Untersuchungen beauftragten Kanzlei Esecon, die unsere Redaktion eingesehen hat.

Lesen Sie hier: Das hoch brisante Statement von Claus Vogt

Schnell geklärt haben die Ermittler die Frage, ob tatsächlich in solch gewaltigem Ausmaß Mitgliederdaten an Dritte gegeben wurden, wie es das Fachmagazin „Kicker“ am 28. September 2020 berichtet hatte. Es gebe „umfangreiche Anhaltspunkte dafür, dass die Vorwürfe zutreffend sind“, so heißt es in einem Zwischenbericht. Nach bisherigem Untersuchungsstand müsse „davon ausgegangen werden, dass der Verein in Vorbereitung auf die Mitgliederversammlung zur Ausgliederung zu Mitteln gegriffen hat, die im Sinne von Transparenz und Ethik sicherlich durch die Mitglieder beanstandet werden können“.

Schwere Suche nach den Drahtziehern

Deutlich schwerer ist die Suche nach den Drahtziehern der Datenweitergabe. Die Dokumente legen den Verdacht nahe, dass sich die Ermittler einer Mauer des Schweigens gegenübersahen. Das „strategisch geplante Zusammenwirken“ zwischen dem VfB und dem PR-Berater Andreas Schlittenhardt, dem die Mitgliederdaten zur Verfügung gestellt worden sein sollen, sei bis auf eine Ausnahme „keiner der Auskunftspersonen bekannt“ gewesen. Auch die 59-seitige Präsentation zum „Guerilla-Marketing“ und anderen viralen Ideen sei (ebenfalls mit einer Ausnahme) „allen Befragten unbekannt“ gewesen.

Die Ermittler gehen von einer „eingeschränkten Verwertbarkeit sowie eingeschränkten Glaubwürdigkeit“ aus, da „anerkannte Mindestanforderungen“ nicht gewährleistet seien. Dazu gehöre „dass Personen, die unmittelbar mit den Untersuchungsgegenständen in Verbindung stehen oder standen, in keiner Weise Einfluss auf Ausgestaltung und Fortgang der Untersuchungen nehmen können dürfen“. Dies sei beim VfB nicht der Fall: „Die direkt mit den zu untersuchenden Vorgängen in Verbindung stehenden Herren Mutschler, Heim und Röttgermann (Präsidiumsmitglied, Finanzvorstand und Marketingvorstand, Anm. d. Red.) gehören heute zu den Organen des VfB. Diese Organe haben im bisherigen Verlauf der Untersuchung nachhaltig Einfluss genommen bzw. nehmen können.“

Eine Anfrage unserer Redaktion an den Vorstand und das Präsidium des VfB, ob es zutreffend sei, dass der Versuch unternommen werde, die Untersuchungen zu behindern, wurde am Dienstag beantwortet: „Dies ist nicht zutreffend. Vorstand und Präsidium haben sich für eine unabhängige neutrale und zielführende Untersuchung zur Aufklärung der Vorwürfe ausgesprochen.“ Zu den Inhalten und Vorgehensweisen im Rahmen der Untersuchung werde man sich „nicht äußern. Allerdings gilt für uns hier der Grundsatz: Genauigkeit geht vor Schnelligkeit.“

Beispiele für Behinderung der Untersuchung

Die Ermittler führen in ihren Berichten mehrere Beispiele dafür an, wie versucht worden sei, die Untersuchungen zu behindern. So hätten der „Vorstand der AG sowie Teile des Präsidiums versucht, gegen den erklärten Willen des Präsidenten“ zumindest „das juristische Mandat der die Vorwürfe untersuchenden Rechtsanwaltsgesellschaft zu beenden“. Zudem sei „eine nicht den Anforderungen“ der Ermittler „entsprechende Entbindung der zu befragenden Personen von ihrer vertraglichen Verschwiegenheitspflicht“ beschlossen und die angeforderten „erweiterten Entbindungen für Schlüsselauskunftspersonen“ verweigert worden.

Dokumentenanforderungen durch die Ermittler hätten „einen Freigabeprozess beim Vorstand der VfB-AG durchlaufen“ müssen; „teils wurden Dokumente zunächst nicht in der gewünschten Form zur Verfügung gestellt. In jedem Falle war der Vorstand informiert und hätte Einfluss auf die übergebenen Dokumente nehmen können“. „Proaktiv“ seien die Mitarbeiter zudem vom Vorstand „über die Möglichkeit der Befragungsbegleitung durch einen Rechtsvertreter“ informiert worden. „Nahezu alle Befragten“ hätten von diesem Angebot Gebrauch gemacht und seien durch Rechtsvertreter begleitet worden, die „teils durch einen vom VfB bereitgestellten, der VfB-AG durch regelmäßige Mandate verbundenen Rechtsanwalt vermittelt bzw. empfohlen“ worden seien.

Dies habe, so schreiben die Ermittler, „die Verwertbarkeit der Befragungsergebnisse negativ beeinflusst“. Sieben Mitarbeiter und Vorstände seien „vom selben Rechtsanwalt begleitet“ worden. Daher könne „nicht ausgeschlossen werden, dass vor den jeweiligen Befragungen Informationen aus bereits erfolgten Befragungen zur Kenntnis und anwaltlichen Abstimmung gelangten, um die Ergebnisse der Befragungen zu beeinflussen“.

Welche Rolle spielt Thomas Hitzlsperger?

In einem weiteren internen Dokument, das unserer Redaktion vorliegt, wird auch die Rolle von Thomas Hitzlsperger thematisiert. Unter anderem habe er es abgelehnt, „sämtliche IT-Zugänge der vom ‚Kicker‘ beschuldigten Mitarbeiter Schraft und Fischer (Kommunikationschef und Marketingleiter, Anm. d. Red.) temporär zu deaktivieren, um Manipulationen nachweisbar auszuschließen“.*

Inwieweit mögliche Vergehen justiziabel sind, ist vorerst ungeklärt. Neben Esecon ermittelt auch der Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink. Der Abschlussbericht von Esecon, so teilt der VfB mit, werde „für Anfang Februar“ erwartet.

*In einer früheren Version dieses Textes wurde der Eindruck erweckt, diese Passage stamme ebenfalls aus einem dem Verein und der VfB AG vorliegenden Zwischenbericht. Stattdessen stammt sie aus einem internen Dokument der ermittelnden Kanzlei, das unserer Redaktion vorliegt.

Weitere Themen