Datenaffäre VfB verursacht Sturm der Entrüstung

Über dem VfB braut sich ein schweres Gewitter zusammen. Foto: Baumann/Montage: Ruckaberle

Weitergabe von sensiblen Daten seiner Mitglieder, Beeinflussung der Anhänger bei der Ausgliederung der Profiabteilung und eine Kampagne „Glaubwürdiges Guerilla-Marketing“ – die Liste liest sich bedrohlich, die dem Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart jetzt großes Ungemach beschert.

Stuttgart - Es könnte an diesem Montag alles so schön sein an der Mercedesstraße in Bad Cannstatt. Ein erfolgreiches Wochenende liegt hinter dem VfB Stuttgart, der nicht nur auf, sondern auch neben dem Spielfeld beste Werbung in eigener Sache betrieben hat. Mit drei Punkten kehrte die junge Mannschaft aus Mainz zurück, wo sie mit dem 4:1-Auswärtssieg das erste dicke Ausrufezeichen nach der Bundesliga-Rückkehr gesetzt hat. Und im Anschluss gelang es Vorstandschef Thomas Hitzlsperger und Trainer Pellegrino Matarazzo mit ihren Fernsehauftritten im ZDF-„Sportstudio“ und bei „Sport im Dritten“ im SWR den VfB so zu präsentieren, wie es dem proklamierten neuen Stuttgarter Weg entspricht: sympathisch, bescheiden, bodenständig.

 

Doch sind es nicht die Aussichten auf eine bessere Zukunft, sondern die Schatten der Vergangenheit, die Hitzlsperger dazu veranlassen, sich zur Mittagszeit an die „lieben VfB-Fans“ zu wenden. Man nehme die jüngsten Vorwürfe „sehr ernst“ und werde möglichst bald „Stellung beziehen“, schreibt der VfB-Chef bei Twitter, „bis dahin bitte ich um Verständnis und einen fairen Umgang.“

Beeinflussung der Anhänger?

Der Sturm der Entrüstung ist allerdings längst im Gange, seit das Fachmagazin „Kicker“ in seiner Montagsausgabe von dubiosen Vorgängen im Vorfeld der VfB-Mitgliederversammlung im Juni 2017 berichtet hat. Demnach seien von 2016 an wiederholt Zehntausende von Mitgliederdaten diskret an Dritte weitergeleitet worden – mit dem Ziel, die Anhängerschaft im Sinne der Clubführung zu beeinflussen. Und siehe da: Mit großer Mehrheit entschieden sich die Mitglieder für die Ausgliederung der Profiabteilung, auf die der VfB jahrelang hingearbeitet hatte.

Hier finden Sie den Kommentar zur Datenaffäre

Im Mittelpunkt der Causa stehen der langjährige VfB-Kommunikationschef Oliver Schraft und der PR-Unternehmer Andreas Schlittenhardt, mit dem der damalige VfB-Präsident Bernd Wahler bereits im Frühjahr 2016 eine Kooperationsvereinbarung geschlossen hatte. Seit 2015 betrieb Schlittenhardt auf Facebook die bis dahin unabhängige Fanseite „Fokus VfB“, die – angeblich auf Betreiben Schrafts – fortan möglichst unauffällig die Interessen und Botschaften der Clubführung transportieren sollte.

Kampagne „Guerilla-Marketing“

Dem „Kicker“ liegt nach eigenen Angaben neben einer Vielzahl von Mails auch eine Präsentation unter dem Siegel „streng vertraulich“ vor, die eine Kampagne für „Glaubwürdiges Guerilla-Marketing – Fokus VfB“ skizzieren soll. Darin enthalten: die Wahlempfehlung für die Ausgliederung kurz vor der Mitgliederversammlung auf Schlittenhardts angeblicher Fanseite. Um eine möglichst große Reichweite zu erzielen, sollen dem PR-Experten von Schraft selbst oder in dessen Auftrag mehrmals umfangreiches Datenmaterial von bis zu 40 000 Mitgliedern per Mail zugesandt worden sein. Dass nichts dem Zufall überlassen werden sollte, zeigt die Tatsache, dass die Daten neben Telefonnummern, E-Mail-Adressen und Alter auch Angaben zu Teilnahmen an zurückliegenden Mitgliederversammlungen oder die Entfernung von Wohnort zur Versammlungsstätte enthalten haben sollen.

Lesen sie hier: Wie die Mitgliederversammlung zur Posse wurde

Der VfB verweist dem „Kicker“ gegenüber auf die Rechtmäßigkeit der Datenweitergabe im Rahmen einer sogenannten Auftragsverarbeitung. Schlittenhardts Agentur habe als externer Dienstleister fungiert und sei unter anderem für die „Konzeption und Aussteuerung von PR-Texten über soziale Medien“ zuständig gewesen. Schlittenhardt selbst will sich zu dem Fall nicht mehr äußern. Nach der Ausgliederung hatte er noch ein Jahr als enger Berater von Wolfgang Dietrich gewirkt – ehe es Schraft war, der nach dem Rücktritt des umstrittenen Präsidenten die Zusammenarbeit aufkündigte.

Datenschutzbeauftragter fordert Auskunftsverfahren

Die Beteuerungen des VfB ändern nichts daran, dass dem Club gehöriger Ärger ins Haus steht – nicht nur von empörten Mitgliedern, die von der Weitergabe ihrer Daten nichts wussten. Sondern auch vom Datenschutzbeauftragten des Landes Baden-Württemberg, Stefan Brink. „Nach dem vorliegenden Bericht stellen sich für mich eine ganze Reihe von Fragen. Daher werden wir ein Auskunftsverfahren gegen den VfB einleiten“, sagte der Jurist auf Anfrage unserer Zeitung: „Wir wollen uns erklären lassen, in welchem Kontext und mit welcher Motivation die Daten weitergegeben wurden. Grundsätzlich gilt, dass Mitgliederdaten sehr sensibel sind.“ Der Fall liege zwar schon einige Jahre zurück, „doch ist er für uns von solchem Interesse, dass wir versuchen werden, ihn aufzurollen“.

Aufarbeitung hat begonnen

Beim VfB ist die Aufarbeitung in vollem Gange. Wie es heißt, solle sie allein im Interesse des Vereins erfolgen – auf Namen und Verdienste könne keine Rücksicht genommen werden. Also auch nicht auf Oliver Schraft, der seit einem Vierteljahrhundert beim VfB tätig ist – und derjenige war, der nach dem Abstieg 2016 bei Hitzlsperger anrief, um den früheren Meisterspieler und heutigen Vorstandschef zurückzuholen, zunächst als Berater.

Während Schraft schwerwiegende Konsequenzen fürchten muss, droht dem VfB eine Geldstrafe, die im Vergleich zum Imageschaden zumindest überschaubar sein könnte. Die Vorfälle ereigneten sich in den Jahren 2016 und 2017, also vor Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung durch die Europäische Union im Mai 2018. Bis dahin galt das Bundesdatenschutzgesetz, das eine deutlich geringere Sanktionierung vorsah.

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