Der StZ-Online-Redakteur Jan Georg Plavec will herausfinden, wie Facebook, Google und die anderen Datensammler ihn zu durchleuchten versuchen. Er scheitert damit. Am Ende kann man die Giganten aber im Alltag austricksen.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Am Anfang stehen die Anzeigen bei Facebook. Flirtseiten wollen meine Aufmerksamkeit, obwohl ich seit Jahren mit meiner Freundin zusammenlebe. Kolleginnen, die definitiv nicht unter Gewichtsproblemen leiden, sehen Abnehmtipps. Und noch Wochen, nachdem ich den Flug nach New York gebucht habe, zeigt man mir die aktuellen Flugpreise Richtung JFK International.

 

Das mit den plumpen Anzeigen ist nur eine harmlose Anekdote in dem Bemühen, die Durchleuchtungsmaschine Internet zu beschreiben. Es ist eigentlich egal, dass irgendein Facebook-Computer ein falsches Bild von mir hat. Wenn aber, sagen wir, meine Versicherung meine Daten falsch interpretiert und meine Police teurer wird, schmunzle ich nicht mehr.

Ich will also wissen, durch welchen Fleischwolf meine Daten gedreht werden. Die Suche führt mich ins Kleingedruckte der AGBs und Datenschutzerklärungen und in seitenlange Listen von Dingen, die ich angeblich interessant finde. Und zu Amazon. In den Anfangstagen des Massenmediums Internet redeten alle über die erstaunliche Funktion des Online-Versandhändlers. Dem freundlichen Hinweis „Das könnte Ihnen auch gefallen“ folgten schon Ende der Neunziger ziemlich passende Kaufempfehlungen. Das hat Kunden Angst gemacht. So gut kennt mich Amazon? Wie machen die das?

Algorithmen werden als Geschäftsgeheimnis gehütet

Die Antwort: mit dem, was ich auf der Amazon-Website tue – was ich bestelle, welche Produkte ich mir wie lange ansehe, an welche Adresse die Sendung geht. Es gibt noch „andere Quellen“, so Amazon: Auskunfteien wie die Schufa oder mein Surfverhalten auf Seiten, die mit der Amazon-Tochter Alexa Internet arbeiten.

Der Gründungslegende nach erklärt das erste über Amazon verkaufte Buch, wie man menschliches Denken in Computermodellen abbildet, in sogenannten Algorithmen. Das sind Rechenmuster, die Daten eine Struktur geben. Mit den richtigen Algorithmen machen Facebook, Google, Amazon und all die anderen Internetriesen ihre Milliarden. Sie sind der Kern ihres Geschäftsmodells.

Welche Algorithmen bestimmen, was mir laut Amazon „auch gefallen“ könnte? Ein kurzer Anruf in der Pressestelle. „Algorithmen, das ist ein Bereich, zu dem ich nichts sagen kann“, erklärt mir freundlich, aber bestimmt ein Amazon-Sprecher. Wie Amazon beispielsweise Produktempfehlungen für seine Kunden errechne, sei Betriebsgeheimnis. Ich sei übrigens der Erste, der so etwas wissen wolle – den meisten Kunden würde die Datenschutzerklärung reichen. Doch auch beim zweiten Lesen dieser seitenlangen Aufzählung verstehe ich bloß „Flash-Cookie-Nummer“ und „standortbezogene Dienste“. Und die Liste der von Amazon verarbeiteten Kundendaten ist so lang, dass mir beim Lesen schwindlig wird.

Amazon verdient sein Geld mit Waren – und mit meinem Traffic. Foto: AP

Je mehr Daten über mich vorliegen, umso besser. Amazon hat das früh erkannt. Bereits 1999 übernahm der Onlinehändler den Google-Konkurrenten Alexa Internet. Der verspricht seinen Kunden unter anderem, Geschlecht, Bildungsstatus, Wohnort, Alter, Einkommen und die Ethnie von Besuchern einer Website zu kennen. Und er weiß, ob die Besucher Kinder haben.

Ich will herausfinden, welche Firmen mich beim Surfen im Netz durchleuchten und installiere die Browser-Erweiterung Ghostery. Auf manchen Seiten sind es mehr als zwei Dutzend, neben Alexa, Google und Facebook auch Firmen, von denen ich noch nie gehört habe: Criteo, Doubleclick, Plista. Sie alle versprechen Werbetreibenden, die Zielgruppe für ihre Anzeigen genau festlegen zu können. Die Idee: zielgenaue Werbung zu schalten ist effizienter als auf die breite Masse zu zielen. Deshalb sammeln Dienstleister Daten und sortieren mit Algorithmen Menschen in Schubladen ein: Alter, Geschlecht, Vorlieben. Wenn zehn meiner engsten Freunde den VfB Stuttgart toll finden, bin ich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch VfB-Fan. Denken die Dienstleister. Denken die Werbetreibenden.

Warum liegt Google so falsch?

Wenn ich also erfahren will, warum ich diese blöden Flirtanzeigen sehe, muss ich wissen, in welche Schubladen Facebook und Google mich stecken. Facebook war ursprünglich ziemlich verschwiegen, was solche Auskünfte angeht. Dann machte die Bewegung „europe-v-facebook.org“ Druck, und seit einiger Zeit können Facebook-Nutzer alle Daten herunterladen, die dort über sie gespeichert sind – angeblich. Meine Datei ist 14,5 Megabyte groß. Ich sehe, dass ich mich am 30. März 2007 zum ersten Mal eingeloggt habe, sehe alle meine Posts, eine Liste meiner Freunde und die Seiten, bei denen ich „Gefällt mir“ angeklickt habe.

Zu anderen Fragen schweigt die Facebook-Akte: etwa anhand welcher Daten Facebook errechnet, welche Anzeigen ich zu sehen kriege. „europe-v-facebook.org“ empfiehlt mir, nachzuhaken – weiß aber, dass die Firma mit einem Formschreiben antwortet: Wenden Sie sich an die irische Datenschutzbehörde. Diese schreibt, dass aus ihrer Sicht alles in Ordnung sei. Mir bleiben eine Beschwerde bei der EU-Kommission oder eine Klage. In Brüssel liegen bereits 200 Beschwerden, „und da liegen sie gut“, sagt Max Schrems von „europe-v- facebook.org“. Eine Klage in Irland wiederum sei aufwendig und Facebook hat bessere Anwälte als ich mir leisten kann.

Immerhin: Ich finde in meinen Facebook-Daten eine 17-seitige Auflistung, „Ad Topics“ steht darüber. Es ist eine Liste mit Dingen, die mich nach Meinung von Facebook interessieren: „Gastronomie“, „Schwaben“, „Café Hawelka“ und „Tatort“ finden sich darin. Das ist nachvollziehbar: Ich mag mehrere Restaurants auf Facebook, bin gerne im Wiener Café Hawelka und habe meine Band danach benannt, außerdem schreibe ich für die StZ öfter Tatort-Rezensionen. Doch es ist ein Hinweis, nicht mehr. Von Flirtseiten lese ich nichts, die Liste hilft mir also wenig. Facebook verschweigt, ob es mich in größere Schubladen steckt – „interessiert an Flirtangeboten“ zum Beispiel.

Google liefert „Schätzangaben“

Auch bei Google finde ich eine Liste mit Themen, die mich angeblich interessieren. Ich klicke mich durch diverse Menüs und stoße unter „Anzeigeneinstellungen“ auf eine Liste mit 22 Kategorien. Da findet sich Überraschendes: Laut Google mag ich „ostasiatische Musik“, interessiere mich für „Reinigungsmittel“, „Baseball“, „Haarpflege“ und „Ego-Shooter“ – unter anderem. Nichts davon trifft zu.

Google-Auto, Google-Brille, Google-Suchmaschine – die wollen alles. Foto: dpa
Ein Anruf bei der Pressestelle. Warum liegt Google so falsch? Die Firma analysiert, welche Internetseiten ich suche und aufrufe, erklärt mir eine Sprecherin: „Es handelt sich immer um Schätzangaben.“ So gut sind Googles Algorithmen also nicht, denke ich mir – und erfahre, dass ich dem Konzern ziemlich verwässerte Daten liefere. Wenn so wie bei mir daheim mehrere Menschen denselben Browser auf demselben Rechner nutzen, kriegt Google keine brauchbaren Ergebnisse. Und es gibt noch andere technische Mittel gegen Datensammler.

Aber mir geht es ja um etwas anderes: Ich will wissen, wie die Daten, die ich in der einen oder anderen Form im Netz hinterlasse, verarbeitet werden. Die Google-Sprecherin kann oder will mir das nicht im Detail erklären. Auf seiner Website schreibt Google nichts dazu. Der Konzern schweigt, so wie Facebook, Amazon und alle anderen Datenauswerter. Sie schweigen mit höchstrichterlicher Unterstützung: Die Rechenformeln gelten hierzulande als Geschäftsgeheimnis; das hat der Bundesgerichtshof Anfang 2014 entschieden. Die Schufa muss niemanden erklären, wie sie die Glaubwürdigkeit einzelner Personen errechnet.

Warum man in welcher Schublade landet, ist nicht klar

Man muss sich das klarmachen: Jeder von uns wird von Rechnern in Schubladen gesteckt, aber keiner kann herausfinden, warum er in Schublade A landet und nicht in Schublade B. Dabei will, ja muss ich wissen, was mit meinen Daten gemacht wird. Wie soll ich sonst entscheiden, welche Daten ich preisgebe? Zumal die Schublade, also zum Beispiel der von der Schufa ermittelte „Scoring-Wert“, darüber entscheidet, wie viele Zinsen ich für einen Kredit bezahlen muss. Ob ich auf Rechnung bestellen kann. Oder, in Zukunft vielleicht, wie viel ich für ein Produkt bezahlen muss. Die Reise auf den Spuren meiner Daten endet, bevor sie angefangen hat: Als Normalbürger hat man keine Chance, zu erfahren, was mit den eigenen Daten passiert.

Auch Apple greift sich alle Daten, die zu bekommen sind. Foto: dpa

Was bleibt, sind Brosamen. Über die Website selbstauskunft.net verschicke ich Anfragen an mehr als dreißig in Deutschland ansässige Datensammler. Ich habe laut Bundesdatenschutzgesetz einen Anspruch, zu erfahren, was diese Firmen über mich gespeichert haben. Gerade zehn Unternehmen schreiben binnen eines Vierteljahres zurück. Die Mehrzahl teilt mir mit, dass „nur“ Dinge wie meine Anschrift vorlägen. Die Schufa und deren Konkurrent Accumio lassen wissen, dass ich ihren Berechnungen zufolge meine Rechnungen höchstwahrscheinlich begleiche. Accumio fügt hinzu, dass auch „persönliche Merkmale“ in dieses Urteil einfließen – wieder so ein AGB-Deutsch. Was genau gemeint ist, erfahre ich nicht. Das Telefon bei Accumio ist über Tage belegt, eine Mail bleibt unbeantwortet.

BGH-Urteile, wenig hilfreiche Texte auf den Internetseiten, nicht beantwortete Anfragen: Es wird viel getan, damit wir nicht erfahren, was mit unseren Daten geschieht. Viel lieber sprechen Unternehmen wie Google über verbesserte Algorithmen oder „kontextuale Anzeigen“. Was das ist, möchte ich von der Google-Sprecherin wissen. „Wenn Sie etwa eine E-Mail schreiben, dass Sie nach Thailand in den Urlaub fahren, erkennt das Programm die Aussage im selben Moment und Sie sehen Anzeigen von Reiseveranstaltern für Thailand“, sagte sie.

Internet-Verzicht ist keine Lösung

Ja, wirklich: Google wertet in Echtzeit aus, was ich im Netz mache – und zeigt mir entsprechende Werbung. Das mag heute noch nicht ganz perfekt klappen – Stichwort ostasiatische Musik. Und doch fühle ich mich durchleuchtet. Beunruhigt. Wenn ich die durchschaubare Flirtwerbung sehe, fühle ich mich (noch) nicht wirklich gläsern. Aber es geht hier um mehr als meine Befindlichkeit. „Konzerne verstoßen gegen Gesetze und der Staat lässt sie gewähren“, sagt Max Schrems von „europe-v-facebook.org“. Ich würde sagen: Es gibt die nötigen Gesetze noch nicht. Auf das Internet zu verzichten, ist für mich ausdrücklich keine Lösung.

Mein Smartphone verrät Google nicht, wo ich bin. Ich surfe mit demselben Browser wie meine Freundin und habe meinen Beziehungsstatus nirgendwo eingetragen. Es ist ein Aufstand im ganz Kleinen. Aber vielleicht glaubt Google ja gerade deshalb, ich interessierte mich für Ego-Shooter.


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