Was darf im Internet sichtbar sein? Und was nicht? Ob Häuser oder Depeschen - im Netz bleibt kaum etwas geheim. Aber manches schon.

Stuttgart - "Nie zuvor ist das Vertrauen von Amerikas Partnern in aller Welt so erschüttert worden." Mit diesen Worten kündigt "Spiegel Online" Ende November die Veröffentlichung der US-amerikanischen Depeschen an. Tatsächlich reagieren einige Diplomaten gereizt darauf, doch das liegt nicht allein am Inhalt der Dokumente. Was amerikanische Politiker über Regierungsmitglieder anderer Länder denken, ist zwar wenig schmeichelhaft, aber nicht überraschend oder gar schockierend. Die Aufregung um Wikileaks und seine Enthüllungen hat andere Gründe.

Da ist zum einen die Person des Wikileaks-Gründers Julian Assange, der sich als Kämpfer für eine aufgeklärte, bessere Welt inszeniert. Und der auf viele exzentrisch wirkt. Die Anhänger des Mannes mit den schlohweißen Haaren demonstrierten nach seiner Verhaftung in London auf der Straße für ihn und legten aus Protest die Internetseiten großer Unternehmen lahm. Assange ist für sie der Heilsbringer einer neuen Welt, in der das Geheime keinen Platz mehr hat.

"Die Moral von Wikileaks: es gibt keine Geheimnisse"


Zum anderen hat Wikileaks mit seinen Enthüllungen - obwohl es nicht das erste Mal war - in den Augen vieler einen Tabubruch begangen: Geheimnisse wurden verraten, was verborgen bleiben sollte, wurde öffentlich gemacht. "Die Moral von Wikileaks: es gibt keine Geheimnisse", kommentierte der amerikanische Journalist Jeff Jarvis.

Assange sagt, es gehe ihm um größtmögliche Transparenz. Nach welchen Kriterien er den engen Kreis der Medien auswählt, denen er sein Material zur Verfügung stellt, bleibt allerdings im Dunkeln. Der 39-Jährige tritt als Unterhändler begehrter Informationen auf, das verleiht ihm Macht und Selbstbewusstsein. Assange, der sich selbst in der Rolle des investigativen Journalisten sieht, weiß, wie Medien funktionieren, und bedient diejenigen unter ihnen mit Informationen, die in seiner Gunst stehen. Als Person bleibt der Australier rätselhaft.

Die von Wikileaks ins Rollen gebrachte Diskussion über Transparenz dreht sich um mehr als um die Frage, wie Regierungen und Geheimdienste mit vertraulichen Informationen umgehen. Im Kern berührt sie die Frage, welchen Stellenwert Geheimes in unserer Gesellschaft hat. In sozialen Netzwerken wie Facebook kehren viele Menschen schon längst ihr Innerstes nach außen. Allein in Deutschland tummeln sich mehr als zehn Millionen Menschen bei Facebook, rund um den Globus sind es inzwischen 500 Millionen. Persönliche Vorlieben werden von den Nutzern im Internet-Netzwerk ausführlich beschrieben, Interessen oder der Beziehungsstatus werden offengelegt. Fotos und Videos von neugeborenen Babys werden online gestellt, ohne dass die Eltern sich um die Privatsphäre ihres Kindes zu sorgen scheinen.

Es ist auf Facebook nicht unmöglich, die eigene Privatsphäre zu schützen. Aber es macht Mühe. Was früher geheim war, geben Nutzer heute teilweise recht freimütig preis. Über die Reichweite ihrer Daten und Bilder sind sie sich dabei nicht immer im Klaren: Neue Nutzerprofile versieht Facebook seit einiger Zeit automatisch mit einer Voreinstellung, die Einträge für alle anderen Nutzer sichtbar macht. Informationen, die manch ein Nutzer lieber für sich behalten hätte, werden auf diese Weise offengelegt und landen im Zweifel bei Suchmaschinen. Die Grenze zum Privaten wird von den Machern des sozialen Netzwerks absichtlich überschritten.