Zwei Jahre lang soll ein freier Lobbyist vertrauliche Daten aus dem Gesundheitsministerium illegal an die Apothekerschaft weitergegeben haben. Der Lobbyismus-Kritiker Kim Otto glaubt, dass Ministerien für Interessengruppen leicht auszuspionieren sind.

Stuttgart – Zwei Jahre lang soll ein freier Lobbyist vertrauliche Daten aus dem Bundesgesundheitsministerium illegal an die Apothekerschaft weitergegeben haben. Der FDP-Minister Daniel Bahr fordert rückhaltlose Aufklärung. Der Lobbyismus-Experte Kim Otto ist verwundert über die Ausspähaktion, weil Lobbygruppen in den Ministerien ohnehin bestens vernetzt sind.
Herr Otto, hat es Sie überrascht, mit welcher kriminellen Energie versucht wurde, an vertrauliche Daten aus dem Bundesgesundheitsministerium zu kommen?
Ja, auf jeden Fall. Vor allem den Weg, mit einem IT-Mitarbeiter des Ministeriums zusammenzuarbeiten, um sich Daten zu besorgen, fand ich doch sehr erstaunlich.

Warum?
In der Regel ist es nicht notwendig, dass sich Lobbyisten solch krimineller Methoden bedienen. Sie haben normalerweise einen sehr guten Zugang zu den Ministerien und müssen nicht erst einen IT-Fachmann fragen, um an vertrauliche Informationen zu kommen.

Wie läuft es denn üblicherweise?
Die Lobbyisten treffen sich mit Spitzenbeamten und erfahren dann meist, was sie wissen wollen. Sie kommen ohne größere Probleme an die Gesetzesentwürfe. Und zudem gibt es einen Drehtüreffekt. Das bedeutet, dass Leute, die erst im Ministerium gearbeitet haben, kurz darauf in der Wirtschaft tätig sind und es in den Ministerien mit Ex-Kollegen zu tun haben. Sie haben also beste Kontakte, ihnen reichen ein paar Anrufe, um sich zu informieren. Ein solcher Vorgang wie der jetzige, der strafrechtliche Konsequenzen hat, hat hingegen etwas Mafiöses.

Wie erklären Sie es sich dann?
Ich kann mir vorstellen, dass ein freier Mitarbeiter zum Apothekerverband gegangen ist und gesagt hat: Ich habe einen guten Draht ins Ministerium und kann die ganzen E-Mails und Gesetzesentwürfe besorgen. Was zahlt ihr mir dafür? Solche Informationen sind natürlich auch für den Apothekerverband Gold wert, denn er kann sich ein Bild vom Stand der Diskussion im Ministerium machen. Beispielsweise kann er nachvollziehen, welcher Beamte sich wie zu welchem Gesetzentwurf verhält und wen es zu bearbeiten gilt. Für den Verband hat das hohen Nutzwert. Kein Lobbyist liefert derart vertrauliche Infos, selbst wenn er noch so gut vernetzt ist.

Sie sehen also eine Grenzüberschreitung?
Ja, eindeutig. Daher ermittelt ja auch die Staatsanwaltschaft wegen Verletzung von Datenschutzrechten, aber auch wegen Geheimnisverrats. Aber um Missverständnisse auszuschließen: auch die Weitergabe von streng vertraulichen Papieren durch einen Ministerialbeamten an einen Lobbyisten ist unzulässig, obwohl es gang und gäbe ist. Insofern ist eher erstaunlich, dass in solchen Fällen nie ermittelt wird.

Trägt die Politik eine Teilschuld?
Nicht im aktuellen Fall, aber generell an der großen Nähe zu Lobby-Gruppen. Von 2002 bis 2009 gab es sogar das von Rot-Grün eingeführte Programm „Seitenwechsel“. Da haben die Ministerien rund 300 Lobbyisten eingeladen, für zwei Jahre auf der anderen Seite mitzuarbeiten. Sie hatten Zugang zu vielen Daten, die Informationsweitergabe war also kein Problem. Aber auch für den Wechsel in die umgekehrte Richtung, also von Ministerien in die Wirtschaft, gibt es viele Beispiele. Dort arbeiten die Ex-Ministerialen in jenem Fachbereich, in dem sie vorher tätig waren. In den USA gibt es eine zweijährige Karenzzeit. Davon sind wir weit entfernt.

Im aktuellen Fall ist das Problem aber anders gelagert.
Das ist richtig. In diesem Fall besticht jemand einen IT-Techniker, um an die Daten zu kommen. Das hat nichts mehr mit Lobbyismus zu tun. Das ist kriminell und damit nach meiner Einschätzung eine Ausnahme.

Kann die Politik eine Lehre daraus ziehen?
Nein, ich denke, so etwas kann immer passieren. Wer in den Ministerien arbeitet, wird vorher sorgfältig vom Verfassungsschutz geprüft. Es gibt sehr große Sicherheitsvorkehrungen. Das, was jetzt bekannt wurde, halte ich für einen Einzelfall. Man sollte nicht überreagieren.