Aziza, das neue Weltklassequartett um den Kontrabassisten Dave Holland, war zu Gast beim Festival in Esslingen. Hat man seit dem denkwürdigen Auftritt der Herbie-Hancock-Group bei den Jazz Open 2017 in der Region je besseren Jazz erlebt?

Stuttgart - „Aziza“ bedeutet auf Arabisch die Liebste, die Mächtige, im westafrikanischen Benin dagegen heißt so die Göttin der Eingebung. Gut möglich, dass der im Benin geborene Gitarrist Lionel Loueke von ihr zur Namensgebung der Band inspiriert wurde. Mit Kontrabassist Dave Holland, Holzbläser Chris Potter, Schlagzeuger Eric Harland und Loueke ist dieses neu formierte Quartett eine Supergroup des Jazz. Das Wort „Supergroup“ klingt nach 70-er Jahren, nach Return to Forever, nach Mahavishnu Orchestra und besonders nach der elektrischen Periode von Miles Davis mit Leuchtturmalben wie „In a Silent Way“ und „Bitches Brew“. Bei denen hat Holland damals die Saiten gezupft. Miles Davis hatte ihn 1968 in London in Ronnie Scott’s Jazz Club gehört und eingeladen, schnell nach New York zu kommen. Gesagt, getan. Der britische Bassist ist dort hängen geblieben und lebt nun seit über vierzig Jahren in den USA.

 

Die Mitglieder von Aziza - außer dem 72-jährigen Primus inter pares – sind alle in den 1970er Jahren auf die Welt gekommen. Mit ihrer intensiven Synergie, ihrer unbändigen Spiel- und Experimentierfreude und der demokratischen Struktur (alle steuern gleich viele Kompositionen bei) ist diese Band auch musikalisch ein Kind dieses Jahrzehnts. Ein ziemlich wildes, aber beileibe kein ungezogenes. Ordnung muss sein – selbst im Jazz.

Wer chillen will, ist hier falsch

Eine Botschaft des Konzerts in der Württembergischen Landesbühne Esslingen lautet: Jazz und Weltmusik haben sich vermählt und eine Tochter bekommen. Aziza ist ihr Name. Und: „Leute, wenn ihr chillen wollt, seid ihr hier falsch!“

Was dieses Weltklassequartett für eine Wucht entfaltet, wie fantasievoll es zu Werke geht, von welcher beeindruckenden Virtuosität ihre Solo-Einschübe sind und welch verschworene Einheit da auf der Bühne agiert, ist atemberaubend und eine große Freude für das zahlreich erschienene Publikum. Zudem ist der Sound im Theatersaal vorzüglich. Seit dem denkwürdigen Auftritt der Herbie-Hancock-Group im Alten Schloss bei Jazzopen 2017 hat man in unserer Region besseren Jazz kaum je erlebt.

Lionel Loueke, der damals im Alten Schloss schon bei Hancock geglänzt hatte, spielt auf einer körper- und kopflosen Reisegitarre mit sieben Saiten und bedient mit dem Fuß Pedale, sodass das elektrische Instrument häufig klingt wie ein Keyboard. Er startet funky in seine Komposition „Aziza Dance“, Dave Holland steigt mit dem für ihn typischen tiefen warmen Holzton ein, Eric Harland inszeniert am Schlagzeug einen immer knackiger werdenden Rhythmus, tanzt ihn quasi im Sitzen mit, und Chris Potter zeigt am Tenor- und später am Sopransaxofon, was er kann: nämlich einfach alles. Wer zu dieser Musik tanzen würde, geriete sehr schnell in einen Taumel. Da tut eine Ballade wie „Aquila“ gut. Loueke begleitet behutsam die westafrikanische Melodie und singt dazu mit hoher Stimme. Als die anderen einsteigen, klingt Aziza fast wie Weather Report 1976 bei ihrem Album „Black Market“. Potter fasziniert mit dem hypnotischen „Blue Sufi“, Holland berührt mit „Finding The Light“, bei der die Basstöne aus dem Dunkel ans strahlende Licht zu kommen scheinen, und mit „Friends“ von Harland und Louekes „Sleepless Nights“ klingt ein unvergessliches Konzert aus.