David Gilmour, Gitarrist und viele Jahre lang der Kopf von Pink Floyd, wird am Sonntag siebzig Jahre alt. Als Solokünstler verwaltet er das Erbe der legendären Band, von der er doch nicht loskommt.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Vor einem guten Dutzend Jahren fiel David Gilmour auf, dass er eine Immobilie zu viel in seinem Besitz hatte. Er verkaufte daher sein Haus in London, den Erlös, knapp vier Millionen britische Pfund, schenkte er der nationalen Obdachlosenhilfe. Das zeugt zum einen von einem großen Herz, zeigt aber zum anderen auch, dass er sich derlei leisten kann.

 

Und das kann er ja auch tatsächlich. Seine Band Pink Floyd hat so viele Schallplatten verkauft, dass ihre Summe längst niemand mehr genau beziffern kann; knapp dreihundert Millionen sollen es sein. Der Gelehrtensohn und Vater von sieben Kindern bewohnt ein Anwesen in der Grafschaft Sussex, unterhält auf einem Hausboot in London ein Tonstudio, in dem sich die Prominenz die Klinke in die Hand gibt, verdient natürlich auch mit seinen eigenen Soloalben und -tourneen viel Geld, und er dürfte angesichts des Umstands, dass weltweit noch immer tagtäglich Tausende von Pink-Floyd-Songs in den Radios gespielt werden, allein an Tantiemen monatlich mehr einnehmen als manch ein anderer Musiker in seinem ganzen Leben. „Ich besitze mehr Geld, als ich jemals ausgeben kann“, sagt der Philanthrop. Verdient hat er es, im wörtlichen wie übertragenen Sinne: als Sänger, als Songschreiber und maßgeblicher Komponist etwa der Pink-Floyd-Alben „A momentary Lapse of Reason“ und „The division Bell“ sowie als exzellenter Gitarrist – nachzuhören etwa bei seinen Soli in „Money“, Comfortably Numb“, „Wish you were here“ oder „Shine on you crazy Diamond“. Ein Edelstein, fürwahr.

Damals im Hyde-Park

Seine Band Pink Floyd, die stilprägenden Vertreter des Psychedelic Rock und Schöpfer unzähliger Evergreens, gibt es aber leider nicht mehr. Zwei der Gründungsmitglieder, der Keyboarder Richard Wright und der genialische Gitarrist Syd Barrett, sind sogar schon gestorben. Verblieben sind der Schlagzeuger Nick Mason, der Bassist Roger Waters und eben David Gilmour, der als Letzter aus dieser Riege an diesem Sonntag seinen siebzigsten Geburtstag feiern darf.

Bald elf Jahre ist es her, dass sich die Band – nach zuvor zehn Jahren Pause – zu ihrem letzten gemeinsamen und singulären Konzert zusammenfand, für ein paar Songs nur bei Bob Geldofs Live-8-Konzert im Londoner Hyde Park. Seitdem herrscht Funkstille, von gelegentlichen Gastauftritte bei den jeweiligen Konzerten der anderen und dem Pink-Floyd-Album „The endless River“ abgesehen, in dem nur Gilmour und Mason ein paar Stücke von der Resterampe recycelt haben. Nick Mason hat irgendwann seine beständigen Erklärungen eingestellt, gerne Teil einer Bandwiedervereinigung zu sein – er widmet sich seit vielen Jahren bevorzugt seiner Automobilsammlung.

Bleiben Waters und Gilmour, die beiden Alphatiere, die grob gesagt jeweils die Hälfte des Pink-Floyd-Materials maßgeblich erschaffen haben, auch wenn insbesondere Syd Barretts Wirken nicht kleingeredet werden soll. Aber das ist lange her. Von Gilmour und Waters weiß man bis heute nie so genau, ob sie nun heillos zerstritten sind oder sich insgeheim doch gegenseitig wertschätzen – dennoch folgte daraus stets die mal durch die Blume, mal unverblümt von beiden vorgetragene Erkenntnis, dass es eine Reunion der Band Pink Floyd nicht geben wird.

Das Leben aus dem Repertoire

Beide haben miteinander eine Reihe komplizierter juristischer Agreements abgeschlossen, die nach Waters’ Ausstieg bei Pink Floyd etwa besagten, dass Gilmours Resttruppe live nicht mehr als drei Songs vom legendären Doppelalbum „The Wall“ spielen durfte, abgesehen von den Kompositionen, die im Wesentlichen aus seiner Feder stammen, also „Run like Hell“ und „Comfortably Numb“. Kindische Eifersüchtelei oder Missgunst? Alles in allem war es jedenfalls eine leidlich komplizierte und auch ein wenig unwürdige Geschichte.

Im Gegensatz zu Roger Waters – der seit bald einem Vierteljahrhundert kein Soloalbum veröffentlicht hat – tourt David Gilmour aktuell mit seinem im September erschienenen vierten Soloalbum „Rattle that Look“. Er könnte es also wie viele andere Veteranen halten wie Sting (The Police), Mark Knopfler (Dire Straits) oder Peter Gabriel (Genesis) etwa, die auf ihren Tourneen bisweilen ein paar Klassiker ihrer Exbands einweben, aber ansonsten das aktuelle eigene Werk und ihr weiteres Soloschaffen in den Mittelpunkt rücken.

Aber das will er ebenso wenig wie Waters. Beide Musiker zehren, nur zu gut nachvollziehbar, gerne ausgiebig vom Repertoire ihrer Ex-Band. Waters spielte bei seinem letzten Konzert in Stuttgart, 2004 in der Schleyerhalle, fast ausschließlich Pink-Floyd-Songs und führte vor vier Jahren auf seiner „The Wall“-Tour unter anderem in Mannheim das epochale Werk sogar komplett auf. Gilmour indes, der in Interviews über Pink Floyd Sätze sagt wie „Die Band ist eine schwere Bürde, die ich ohnehin eher unfreiwillig ständig mit mir herumtragen muss“ oder „Ich weiß, Pink Floyd bedeutet einer Menge Menschen sehr viel, aber mir nicht“, hat auf den bisherigen Konzerten seiner aktuellen Tournee jeweils gut zwei Drittel der Shows mit Pink-Floyd-Stücken bestritten.

Ausverkauft in Windeseile

Das mag alles etwas ambivalent klingen, es kommt jedoch an. Bei Gilmours Konzert in Buenos Aires vor zwei Monaten kamen siebzigtausend Menschen, sein Konzert auf dem Stuttgarter Schlossplatz bei den Jazz-Open im kommenden Juli war nach Veranstalterangaben innerhalb von zehn Minuten ausverkauft, bei Eintrittspreisen wohlgemerkt, die bei neunzig Euro beginnen.

Warum? Ein Indiz mögen die unzähligen Pink-Floyd-Coverbands sein, die es weltweit gibt, die von den kleinen lokalen Bühnen bis hin zu kompletten Tourneen in Großraumhallen das Erbe einer der wichtigsten Bands der Rockgeschichte auf die Bühne bringen. Aber es macht halt schon noch einmal einen Unterschied, ob Epigonen oder der Schöpfer selber spielt. Gilmours Soloalben haben sich nicht schlecht verkauft, ganz im Gegenteil kann er auch dort international auf bislang fünf goldene und zwei Platinschallplatten zurückblicken. Aber von ihm wollen die Besucher in erster Linie dann doch das Pink-Floyd-Material hören. Er könnte sich über die Publikumserwartungen hinwegsetzen, aber warum sollte er: denn auch Gilmour scheint nach wie vor großes Interesse am Repertoire jener Band zu haben, die er zwar nicht mitbegründet hat, in die er jedoch kurz danach eintrat; drei Jahre nach deren Gründung im Jahr 1965, Gilmour darf mithin bald auf fünfzig Jahre Pink Floyd zurückblicken nebst einer schöpferischen Hinterlassenschaft, die ihresgleichen sucht.

Gilmour, der Spaßvogel

Und natürlich liegt’s auch an seinem wahrlich unikalen Gitarrensound, an dem sich schon so viele andere erfolglos versucht haben. Diesem so transparenten, runden und vor allem klaren Sound, den so wenige hinbekommen wie er und den er übrigens nicht etwa auf mordsteurem Equipment generiert, sondern auf einem handelsüblichen Verstärker der Marke Hiwatt, im Fachhandel erhältlich für weit unter zweitausend Euro. Nur eine rare Gitarre nennt er sein Eigen: eine Fender Stratocaster, eigentlich (als meistverkauftes Modell aller Zeiten) natürlich auch ein Allerweltsinstrument, aber Gilmour besitzt das erste der zwei überhaupt hergestellten Exemplare mit der Seriennummer 001.

Vielleicht wird er sich und seiner Frau auf dieser Gitarre am Sonntag ein Ständchen spielen. Oder er hält es wie bei seinem fünfzigsten Geburtstag. Zu dem hatte er seinerzeit eine Pink-Floyd-Coverband engagiert. Denn David Gilmour ist nicht nur ein vorzüglicher Musiker, dessen Schaffen in die Pophistorie eingehen wird, er ist nicht nur ein großer Menschenfreund. Er ist auch ein Spaßvogel. Zur Begründung dafür, die Covertruppe engagiert zu haben, sagte er nämlich: „Ich habe Pink Floyd als Zuschauer noch nie live erlebt.“