DB-Imagekampagne mit Anke Engelke Die Deutsche Bahn witzelt mit verplempertem Geld über gestohlene Zeit

Fröhliche Minen: die Komikerin Anke Engelke und der DB-Vorstand Personenfernverkehr Michael Peterson bei der Vorstellung der DB-Kampagne „Boah, Bahn!“ in Frankfurt Foto: Deutsche Bahn AG

Das Musikvideo der Deutschen Bahn mit Anke Engelke ist ein gutes Beispiel für außerirdisch anmutende Phänomene. Zu anderen Galaxien muss man reisen – wenn man Pech hat mit der Bahn.

Trägt sich das tatsächlich auf dem Planeten Erde zu – oder in einer Parallelwelt? Anke Engelke tanzt durch einen leeren ICE-Waggon und singt dabei: „Sänk you for travelling wiss Deutsche Bahn!“ Das Musikvideo, auf das in keiner aller möglichen Welten gewartet wurde, ist am Mittwoch im Rahmen der DB-Imagekampagne „Boah, Bahn! Wir sitzen alle im selben Zug.“ auf YouTube veröffentlicht worden. Im Auftrag des maroden Staatskonzerns beamt Engelke darin die gängigsten Beschwerden von Bahnreisenden in Sphären der Lächerlichkeit, also beispielsweise Verspätungen, Überfüllungen, defekte Klos und fehlendes Internet. Textprobe: „Dicke Luft, weil grad die Klima nicht geht“ reimt sich zu mächtigen Beats auf „Wir sind trotzdem zu spät.“

 

Das Video im Querformat zu einem Song namens „Der Bahn Song“ stellt den bisherigen Höhepunkt einer Reihe von komödiantisch gemeinten Kurzvideos im Hochformat dar, in denen Anke Engelke seit ein paar Tagen in ihrer Rolle als Zugchefin Tina Bowermann Unbill mit Ironie zu begegnen versucht. Einmal bietet sie geflüsterte Durchsagen als Entspannungshilfe bei Verspätungen an, ein anderes Mal verschüttet sie viele Tassen Kaffee.

Szenenwechsel: Im karibischen Inselstaat Trinidad und Tobago senden die Radiostationen von Anfang Oktober an vor allem Weihnachtslieder. Bei Rewe in Stuttgart stehen seit Ende vergangener Woche palettenweise Schoko-Nikoläuse rum. Beide Phänomene wirken nur so lange ähnlich fremdkörperhaft wie ein Ufo im Garten oder Anke Engelke in einem leeren Zug, bis man sich an ihre Existenz gewöhnt.

Nahe eines Steilhangs namens Wagram in Niederösterreich gibt es übrigens zwei ähnlich exterritorial anmutende Phänomene, die nicht nur saisonal begrenzt erstaunen, sondern dauerhaft installiert wurden. Das erste ist ein weißer Sakralbau in der Marktgemeinde Grafenwörth, der Stupa am Wagram, von seinen Betreibern auch „Friedensstupa“ genannt und seit zwei Jahren in Betrieb: ein buddhistisch umflaggter Meditationsort inmitten katholisch bewirtschafteter Äcker und Weingärten.

Anke Engelke und der Reiz des Exterritorialen

Der andere Ort am Wagram, der aus seiner Umgebung fällt, ist der als Hotel fungierende „Gutshof“ des durch viele Kochbücher vor allem in Österreich bekannten Kochs Toni Mörwald nebst angeschlossener „Genuss Boutique“ im Ortskern des zu Grafenwörth gehörenden Dorfes Feuersbrunn. In diesem Laden, fünf Autominuten vom Stupa entfernt, verkauft der einzige Krawattenträger des Dorfes unter anderem Kochbücher, Wein, Sirup und Espresso, während Weinbauern im noblen Ambiente eine Art informellen Stammtisch etabliert haben. Der Mann mit der Krawatte ist der Angestellte. Der Chef, also Toni Mörwald, schaut zuweilen im offenen Hemd vorbei und grüßt jene, die ihn nicht kennen, so freundlich wie seine Fans.

Der Reiz solcher exterritorialer Orte oder Begebenheiten, auf den offenbar auch die Deutsche Bahn mithilfe der Komikerin Anke Engelke setzt, wird nur noch übertroffen vom Charme jener gegenteilig operierenden Einrichtungen, die genau dort angesiedelt sind, wo sie am besten hinpassen, so wie das Gasthaus zum Goldenen Kreuz, ebenfalls in Feuersbrunn gelegen. Dort braucht niemand eine Krawatte, eine Handwerker-Montur tut’s auch. Das Schnitzel mit Pommes und Salat kostet weniger als 13 Euro, und die Portionen sind ungefähr doppelt so groß wie jene, die in Wien Touristen angeboten werden.

In Österreich funktioniert das Internet sogar im Regionalverkehr. Foto: ÖBB/Harald Eisenberger

Die Radikalität des Reellen wird wie so oft von der Deutschen Bahn durch Signale, fremd wie aus dem Weltraum, gestört. Was die Deutsche Bahn in Österreich zu melden hat? Einiges, wenn man die Fahrkarte zurück nach Deutschland, wiewohl ÖBB-Züge nutzend, in der DB-App kauft, um ein paar Euro zu sparen: Von der niederösterreichischen Pampa nach Deutschland führen die meisten Wege über die niederösterreichische Landeshauptstadt St. Pölten. Es läuft also so: Wenn der Regionalzug nach St. Pölten ein paar Minuten zu spät dran und der Railjet ab St. Pölten womöglich nur ohne Vesperpause erreichbar ist, dann kreischt die DB-App auch auf fremdem Terrain rot auf weiß: „Verbindung nicht mehr fahrbar. Bitte suchen Sie eine Alternative.“

Natürlich ist die österreichische Verbindung trotz gegenteilig exterritorialer Behauptung der Deutschen Bahn problemlos fahrbar, umso einfacher, da auch der Zug von St. Pölten Richtung Salzburg ein paar Minuten Verspätung hat, die unterwegs selbstverständlich aufgeholt werden. Die ÖBB ist nämlich einfach besser als die DB mit Anke Engelke, zum Beispiel weil man zum Bedienen der österreichischen App kein abgeschlossenes Informatikstudium benötigt, weil die Waggons sauber sind, weil auch in österreichischen Bummelzügen funktionierendes W-Lan selbstverständlich ist, wohingegen man angeguckt wird wie ein Marsmännchen, wenn man in einem deutschen EC nach Internet fragt und in deutschen Regionalzügen das meistens eh nicht funktionierende Kínderportiönchen Internet nach einer halben Stunde aufgebraucht ist.

Gestrandet am Bahnhof

In Österreich kommt es auch eher selten vor, dass ein paar Hundert Fahrgäste mehr als drei Stunden lang an einem Provinzbahnhof stranden, weil die Leitzentrale dort den Zugführer anweist, zurück nach Nürnberg zu fahren, wegen einer nicht näher erläuterten Streckensperrung auf dem Weg nach Regensburg die eine Laufschrift erforderlich macht, in der von einer „Behördlichen Maßnahme“ die Rede ist.

Ebendies trug sich neulich im Städtchen Parsberg in der Oberpfalz zu. Schon allein deshalb, weil es abends kalt war und dunkel wurde, schienen viele der Fahrgäste davon auszugehen, dass die Deutsche Bahn schon irgendwas bereitstellen werde, um von dort nach Regensburg zu gelangen, Taxis zum Beispiel oder Tretroller oder Busse. Ein Bus rollte tatsächlich irgendwann unannonciert irgendwo in Bahnhofsnähe an und fuhr jene, die zu engem Körperkontakt mit Fremden bereit waren, irgendwo hin, kam wieder, wurde erneut überladen, und so weiter. Die meisten bekamen von diesem Bus jedoch gar nichts mit und warteten und warteten.

„Man lernt Leute kennen, ist Family und Fahrgast“, heißt es ranschmeißerisch im neuen Musikvideo der Deutschen Bahn. Man lernt in solch vermeintlich aussichtslosen Situationen wie am Bahnhof von Parsberg mitunter tatsächlich Leute kennen: Eine junge Äthiopierin wollte zum Beispiel wissen, wo sich auf dem weitgehend unbeschilderten Bahnhof denn Gleis 1 befinde, denn laut ihrer DB-App führe von dort in wenigen Minuten ein Zug nach Regensburg ab. Es fiel ihr schwer, zu akzeptieren, dass trotz gegenteiliger App-Ansage bis auf weiteres gar nichts fährt. Man befinde sich doch noch in Germany, fragte sie ungläubig. Es dauerte bis so tief in der Nacht, bis man über Regensburg nach Passau an die rettenden Grenze zu Österreich gelangte, dass dort bis zum Morgen kein Zug mehr fuhr, der diese Grenze überwinden hätte können, auch wenn Anke Engelke trällert: „Wir sind weiter für euch da!“

Ein dreister Dreh der Deutschen Bahn

Wer oft mit der Deutschen Bahn unterwegs ist, den beschleicht (überhaupt wird dort ja viel geschlichen) mitunter das Gefühl, das Unternehmen habe aufgegeben. Aber das stimmt offenbar nicht. Denn mit Veröffentlichung des „Bahn Songs“ samt prominent besetztem Musikvideo nimmt die „Boah, Bahn!“ betitelte Werbekampagne Fahrt auf.

Womit wir nochmal bei diesem Video wären, das handwerklich gar nicht schlecht gemacht ist aber trotzdem nervt: Denn anstatt das Budget für die Imagekampagne samt Plakatwerbung für die Online-Beiträge in Infrastruktur zu investieren, versucht die Deutsche Bahn mit einem ziemlich dreisten „Wir sitzen alle im selben Boot (das hier ,Zug‘ heißt“)-Dreh, unten Verständnis für Versagen oben zu wecken. Was Anke Engelke mit Augenakrobatik und choreografierten Armen als Selbstironie verkaufen soll, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein unangenehmer Versuch, unter Bahn-Betroffenen eine Art Mitzieh-Gemeinschaft zu etablieren, während Bahn-Manager jene Millionen verdienen, die nur durch die Addition fiktiver Stundenlöhne für all die per Verspätung gestohlene Zeit in ihren Zügen finanziert werden können.

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