1976 hat Salamander mit den dortigen Machthabern vereinbart, in der DDR Schuhe zu produzieren. Um die ostdeutschen Schuhe von der West-Produktion unterscheiden zu können, hatten sie ihr eigenes Markenzeichen. Und der Ost-Lurchi hatte im Westen nichts zu suchen.

Stuttgart - Mit dem Anruf aus Ostberlin konnte Franz Josef Dazert zuerst nicht viel anfangen. Hans-Joachim Herzer hieß der Mann, der bei dem Salamander-Chef anfragen ließ, ob er ihn in Kornwestheim besuchen könne. Dazert war gerade erst von der Württembergischen Metallwarenfabrik (WMF) zu Salamander gekommen und eigentlich ausreichend damit beschäftigt, nach einem Ausweg aus der Krise des Schuhherstellers zu suchen. Gerade deshalb hat ihn dann aber Herzers Begründung für den Besuchswunsch elektrisiert: Schuhe wolle er kaufen, sagte der Mann, der sich als Generaldirektor der Berliner Import-Export-Gesellschaft (BIEG) vorstellte, und zwar 200 000 Paar. Ob Salamander die bis Weihnachten liefern könne? Der gewiefte Kaufmann Dazert schlug nicht gleich ein: „Wir hatten die Lager voll bis an die Decke. Aber ich habe natürlich ein ernstes Gesicht gemacht und gesagt: ‚Ob das geht, das weiß ich auch nicht’“, erinnert sich Dazert an den Herbst 1973.

 

Natürlich ging es dann doch, denn gemessen an der Salamander-Jahresproduktion von 13 Millionen Paar Schuhen war das ein Großauftrag. Und es war der Auftakt für ein DDR-Geschäft, mit dem Salamander zum Vorreiter in Deutschland wurde. In den folgenden Jahren wurden dann jeweils 400 000 bis 500 000 Paar Schuhe in den Osten Deutschlands geliefert, wo sie in den teuren Exquisit-Läden an jene DDR-Klientel verkauft wurden, die etwas besser bei Kasse war. In den ersten Jahren unter SED-Chef Erich Honecker, der 1971 an die Macht gekommen war, versuchte das Regime verstärkt, der Bevölkerung mehr und bessere Konsumgüter zu bieten – zum Beispiel Schuhe der renommierten Marke mit dem Feuersalamander Lurchi als Logo.

Lizenzproduktion, das klang nach Kapitalismus

1976 kam dann der zweite Paukenschlag. Salamander vereinbarte mit dem Außenhandelsunternehmen Interpelz eine Lizenzproduktion in der DDR, genannt Gestattungsproduktion. Dazert: „Die DDR wollte den Begriff Lizenz nicht, das klang ihnen zu sehr nach Kapitalismus. Sie schlugen Gestattungsproduktion vor, was für uns auch in Ordnung war.“ In acht DDR-Schuhfabriken durften pro Jahr bis zu fünf Millionen Paar Salamander-Schuhe für den Bedarf in der DDR hergestellt werden. Außerdem sicherte der zweite deutsche Staat den Kauf von 500 000 Paar Salamander-Schuhen pro Jahr aus westlicher Fertigung zu. Das Engagement hat Dazert viel Lob als „Ostpionier“ eingetragen und seinem Unternehmen sehr geholfen. Die Lieferungen in die DDR glichen Einbußen auf den angestammten Märkten aus und die Lizenzeinnahmen, die intern als „beträchtlich“ bezeichnet werden, konnten sogar steuerfrei vereinnahmt werden.

Als den entscheidenden Mann in Ostberlin hinter den Geschäften im sogenannten Interzonenhandel betrachtet der 89-jährige frühere Salamander-Chef Alexander Schalck-Golodkowski, der im Ministerium für Außenhandel verantwortlich für den legendären Sonderwirtschaftsbereich Kommerzielle Koordinierung (Koko) und damit auch für die Gestattungsproduktion war; auch das Handelsunternehmen BIEG gehörte zum Koko-Imperium. Über ihn spricht Dazert mit Hochachtung: „Schalck-Golodkowski war für uns der Mann, der alles entschieden hat und sein Geschäft verstand, absolut. Aber das galt nicht für alle seine Leute, da war sehr viel Bürokratie.“

Mehr als 100 Westfirmen haben in der DDR produziert

Der allergrößte Teil der westdeutschen Wirtschaft hat die DDR erst nach dem Fall der Mauer entdeckt. Gleichwohl ist der Pionier Salamander in den Jahren zuvor nicht alleine auf dem Markt gewesen. Mehr als 100 Westfirmen stellten ihre Markenartikel auch in DDR-Kombinaten her, von Hautpflegecreme (Nivea) und Autoradios (Blaupunkt) über Batterien (Varta) und Miederwaren (Triumph) bis zu Zigaretten (BAT) und Pralinen (Trumpf). Diese Unternehmen nutzten die DDR als verlängerte Werkbank an einem Niedriglohnstandort; teilweise haben dort nach heutigem Kenntnisstand sogar DDR-Häftlinge gearbeitet. Salamander hat hingegen in den DDR-Fabriken ausschließlich für den dortigen Markt gefertigt. „Die Produktionsbedingungen waren absolut in Ordnung, da gab es nichts auszusetzen“, beschreibt Klaus Dobelmann, der damals die Gestattungsproduktion aufgebaut hat, die Zustände. „Die Leute haben sich wohlgefühlt“, erinnert sich der damalige Geschäftsbereichsleiter, „denn sie konnten sich bei ihrer Arbeit höher qualifizieren und das Produkt verbessern. Man hat gemerkt, dass sie das sehr geschätzt haben.“

Von einer maroden DDR-Wirtschaft hat der Produktionsfachmann jedenfalls nichts gemerkt. „Auch die Ausstattung der Betriebe war top. Von der Produktionstechnik her war die DDR auf dem gleichen Niveau wie wir. Aber es sind dann ja die Feinheiten, die den Qualitätsschuh ausmachen“, sagt Dobelmann. Nach der Vereinbarung mit der DDR durften Salamander-Schuhe aus der Ost-Produktion nicht in den Westen gebracht werden. Aber viele Menschen haben es doch getan – zum Beispiel Westdeutsche, die ihr DDR-Geld aus dem Zwangsumtausch in Schuhen „anlegten“. Das Unternehmen selbst hat dafür gesorgt, dass Schuhe aus ost- und aus westdeutscher Fertigung eindeutig unterschieden werden konnten. Schuhe aus dem Osten trugen ein altes Markenzeichen mit dem Lurchi (Abbildung links; rechts das neue Logo), das im Westen nicht mehr verwendet wurde.

„Unsere Besuche waren ziemlich gefürchtet“

Salamander hat die DDR-Produktion penibel überwacht, in jedem Partnerbetrieb war stets ein Salamander-Schuhtechniker präsent, der die Einhaltung der Qualitätsstandards überprüft hat. Pro Saison durften die DDR-Manager aus der Kollektion von Salamander 100 Damen- und Herrenschuhe auswählen. Für die Produktion erhielten sie dann Stücklisten mit den Angaben über die Bestandteile aller Schuhe, Vorgaben für das Material, Mustermaterialien, Modellschablonen und die Darstellung der Abfolge der Arbeitsgänge. Das Material haben sich die Betriebe selbst besorgt; den Einsatz mussten sie sich aber genehmigen lassen. Die Endkontrolle beschreibt Dobelmann so: „Mein Chef, Technikvorstand Klaus Francke, und ich haben vor Ort die Warenabnahme gemacht. Von jedem Modell wurden 100 bis 200 Paar Schuhe genauestens kontrolliert und das Ergebnis protokolliert.“ Bei Schuhen, die nicht dem Qualitätsstandard entsprachen, musste das Salamander-Warenzeichen entfernt werden; sie kamen als zweite Wahl in den Handel. Dobelmann: „Unsere Besuche waren ziemlich gefürchtet.“

Salamander hat bei der Devisenbeschaffung geholfen

Salamander hat nach Dazerts Angaben nie Probleme mit dem Geldeingang gehabt. Der Exchef: „Wir hatten einen Partner, der immer gezahlt hat. Aber natürlich haben wir geholfen zu überlegen, wie man denen das schmackhaft machen kann.“ Salamander schaltete das Handelsunternehmen Klawitter in Konstanz ein, seit 1980 eine Salamander-Tochter, das sich vor allem um den Verkauf von DDR-Textilien an westdeutsche Warenhäuser sowie Groß- und Versandhändler kümmerte. Damit konnte Salamander die wegen des chronischen Devisenmangels der DDR üblichen direkten Kompensationsgeschäfte – Ware gegen Ware – vermeiden. Zudem erklärten sich die Kornwestheimer Ende der siebziger Jahre bereit, innerhalb von sieben Jahren in der DDR Waren im Wert von 60 Millionen D-Mark zu kaufen.

Trotz der intensiven Kenntnis des DDR-Marktes wurde auch Salamander vom Kollaps des Systems überrascht. Gerade mal zwei Monate vor dem Fall der Mauer unterschrieb Dazerts Nachfolger Gerhard Wacker auf der Leipziger Herbstmesse den Vertrag zur Verlängerung der Gestattungsproduktion bis zum Jahr 1995. Dazert, der damals Aufsichtsratschef war, ist im Gespräch kurz angebunden und sagt nur, darüber wolle er nicht reden. Der Grund: Dazert ist dem Nachfolger gram, weil der die noch größere und wichtigere, allerdings defizitäre Produktion in der UdSSR beendete. Darin sieht Dazert einen der Gründe dafür, dass es Salamander heute nicht mehr gibt, sein Lebenswerk ruiniert ist.