In Bayern schleust die Bundespolizei 20 Stunden am Tag fast schon industriell die Flüchtlinge durch eine Bearbeitungsstraße. Nur so wird sie dem Massenandrang Herr. Innenminister De Maizière hat die Flüchtlingsaufnahmestelle besucht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Deggendorf - Passau, Rindermarkt“, steht auf dem Bus zu lesen. Und der Werbespruch: „Der Weg lohnt sich.“ Der Weg hat sich gelohnt. Dem Bus entsteigen 50 Flüchtlinge, die die Bundespolizei in der Nacht an der Grenze zwischen Bayern und Österreich aufgegriffen hat. Sie tragen alle ein weißes Armband mit einer Nummer. Hier in Deggendorf, 50 Kilometer von der Grenze entfernt, beginnt ihr Leben als Asylbewerber.

 

13 000 Flüchtlinge sind im ersten Halbjahr 2015 in der Grenzstadt Passau angekommen. Vor einem Jahr waren es im gleichen Zeitraum 900. Passau ist eines der wichtigsten Einfallstore für Schleuser und ihre Kundschaft. Weil die Bundespolizei von dem Ansturm völlig überfordert war, hat sie Anfang August auf einem Kasernengelände in Deggendorf eine „Bearbeitungsstraße“ eingerichtet. Sie ist für die Flüchtlinge die Schleuse nach Deutschland.

Antragsbearbeitung wie am Fließband

Zwischen der Bekleidungskammer für die Polizisten und einer Abfallmulde sind auf einem Parkplatz 30 Container aufgeschichtet, jeweils zehn in drei Etagen. In diesen Containern werden die Flüchtlinge registriert, durchsucht und erkennungsdienstlich behandelt. Danach kommen sie ins Erstaufnahmelager Deggendorf, manche auch nach Würzburg oder München. Die Prozedur läuft ab wie an einem Fließband, ein fast industrielles Verfahren. „Logistisch ist das eine brutale Herausforderung“, sagt Bernd Jäckel, Oberkommissar der Bundespolizei. 150 Beamte sind hier im Einsatz. Sie arbeiten in zwei Zehn-Stunden-Schichten. Täglich werden 250 Flüchtlinge durch die Containerburg geschleust. Die Dienstzeiten dauern von sechs Uhr morgens bis zwei Uhr in der Nacht.

„Das ist eine herausfordernde und herausragende Arbeit“, sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Er hat das Kontrollzentrum am Dienstag besucht. 450 000 Flüchtlinge erwartet die Regierung dieses Jahr, mehr als doppelt so viel wie 2014. Aber das sind nur die offiziellen Zahlen. Sie sind überholt und werden demnächst korrigiert. De Maizière sagt, er müsse die deutsche Öffentlichkeit darauf einstimmen, dass die Zahlen erheblich höher sein werden. „Wir sind gefordert, aber nicht überfordert“, fügt der Minister hinzu.

Aufnahmen von 6 Uhr früh bis 2 Uhr nachts

Die Bundespolizei arbeite „seit langer Zeit an der Grenze der Belastbarkeit, eigentlich ist die Grenze schon überschritten“, sagt Thomas Borowik, Pressesprecher der Bundespolizeidirektion München. Mehr Personal wird es vorerst aber wohl nicht geben. Es wurden nur 500 Bundespolizisten aus anderen Regionen nach Bayern versetzt. Die Polizeigewerkschaft fordert 800 bis 1000 neue Stellen. Minister de Maizière dämpft die Erwartungen: „Wenn wir jetzt neue Stellen bewilligt bekämen, hätten wir die Menschen erst in drei Jahren.“

Vorbild für die „Bearbeitungsstraße“ in Deggendorf ist die Schweiz. Dort gibt es Erstaufnahmezentren, in denen das komplette Asylverfahren unter einem Dach abgewickelt – und damit erheblich beschleunigt wird. Das ist auch de Maizières Absicht. Er hält das Prozedere in den Containern für einen „sehr guten Weg“, um die Prozeduren rasch zu erledigen und die Betroffenen dennoch „fair und menschenwürdig“ zu behandeln.

Diese Prozedur läuft ab wie eine große Maschine. Die Neuankömmlinge lernen die Willkommenskultur in Deutschland als ausgetüfteltes bürokratisches Verfahren kennen. Das beginnt mit Magnetbuchstaben, die auf einer Tafel befestigt werden. Sie zeigen die Registrierungsnummer, die auch auf dem weißen Armband steht. Jeder wird mit dieser Tafel unterm Kinn fotografiert. Dann geht es ins Innere des Containers. Dort riecht es wie in der ungelüfteten Umkleidekabine einer Schulturnhalle. Es gilt ein Formular auszufüllen. Das ist aber nicht der Asylantrag. Dafür sind die Bundespolizisten nicht zuständig. Vielmehr handelt es sich um die „Belehrung von zur Identitätsfestellung festgehaltenen Verdächtigen“. Verdächtig ist erst einmal jeder. „Wer nach Deutschland kommt und Schutz verlangt“, sagt de Maizière, „von dem ist nicht zu viel verlangt, dass er sagt, wo er herkommt und wie er heißt.“ Der Minister fügt hinzu, er „möchte nicht, dass Asylbewerber zu einem Sicherheitsrisiko für Deutschland“ würden.

Ganz so seelenlos, wie die „Bearbeitungsstraße“ vermuten lässt, geht es aber nicht zu. Die Neuankömmlinge dürfen sich erst ausruhen. Dazu haben die Deggendorfer Bundespolizisten ihre nagelneue Turnhalle geräumt und 240 Matratzen ausgelegt. Die Flüchtlingskinder bekommen Luftballons. In den Warteräumen gibt es auch Teddybären. Einer hat einen grünen Filzhut auf – willkommen in Bayern! Und Polizisten sammeln in ihrer Freizeit Spielzeug, um Kindern das Gefühl zu geben, ihre Zukunft hier könnte ein Geschenk sein.