Wie soll es weitergehen mit der Mobilität? Die Grünen hatten zur Diskussion nach Stuttgart eingeladen. Bosch-Chef Volkmar Denner sieht bei der Industrie die Bereitschaft zum Wandel, auch wenn der Veränderungsprozess schon weiter sein könnte.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Winfried Kretschmann (Grüne) schaut, wenn es um politische Fragen geht, nicht gerne in den Rückspiegel. Die Debatte über den Diesel ist für den Ministerpräsidenten so eine rückwärtsgewandte Auseinandersetzung. Dabei sei „das Problem für die Zukunft gelöst“, sagte Kretschmann am Samstag im Hospitalhof bei der Veranstaltung „Mobilität für Menschen“ der Landesgrünen. „Es gibt heute saubere Motoren auch beim Diesel“, erklärte der Ministerpräsident.

 

Die weit wichtigere Aufgabe für das 21. Jahrhundert sei der „Kampf gegen die globale Erderwärmung“, betonte Kretschmann. Um hier eine Verbesserung zu erreichen, müsse der Individualverkehr endlich „auch seinen Beitrag leisten“. Während andere Kohlendioxid-Emittenten wie die Landwirtschaft ihren Ausstoß seit den 1990er Jahren reduziert hätten, sei der des Verkehrs um elf Prozent gestiegen. Dabei zeichne sich ein revolutionärer Wandel ab: „Der Automarkt wird durch einen Mobilitätsmarkt abgelöst“, sagte Kretschmann. „Das Auto wird nur noch ein Baustein in einem künftig vernetzten System sein“. Welche Antriebsart sich zuletzt durchsetzen werde, sei noch offen, so Kretschmann. Sicher sei nur: Bis zum Jahr 2050 müsse der Verkehr klimafreundlich und emissionsfrei sein. „Sonst werden wir unsere Zivilisation bald nicht wiedererkennen“, warnte Kretschmann.

Mehr Regulierung nötig?

Beim Ziel waren sich die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion einig. Bei der Frage, wie dies zu erreichen sei, fielen die Gewichtungen unterschiedlich aus. Stephan Rammler, Direktor des Berliner Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung, ist überzeugt, dass es nicht ausreicht, etwa im ÖPNV einfach bessere Angebote zu machen oder E-Autos zu verkaufen. Man brauche für einen Wandel mehr „Regulierung“, etwa durch eine City-Maut oder eine andere Parkraumbewirtschaftung. Im städtischen Raum, den man wieder verdichten müsse, habe man gar nicht mehr den Platz für die vielen Autos, welche die meiste Zeit nur ungenutzt herumstehen. Hier böten sich durch die Digitalisierung vielfältige Sharing-Konzepte an.

Auch Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), der die Angebotsverbesserungen durch die neue ÖPNV-Verkehrsmarke „bwegt“ des Landes vorstellte, ist der Auffassung, dass es eine „gesellschaftliche Debatte über die Bepreisung von Mobilität und ihre Schäden“ geben müsse. Das Auto jedenfalls sei, so Hermann, als Verkehrsmittel „ineffizient und unökonomisch“. Bis 2030 wolle man deshalb im Land die Zahl der Menschen, die den ÖPNV oder das Rad nutzen, verdoppeln, sagte der Verkehrsminister. Hermann beklagte die langen Planungszeiten für Schieneninfrastrukturprojekte oder Radewege. „Da kann jeder Bedenkenträger eingrätschen“. Als Beispiele nannte er die Rheintalstrecke, deren Planung vor 40 Jahren begonnen habe, den noch immer nicht geschlossenen Neckartalradweg oder die Radwegeplanung in Stuttgart, wo um jeden wegfallenden Parkplatz gekämpft werde.

Gefahren für das Autoland

Dass bei der Umstellung auf neue Autoantriebe für das Autoland Baden-Württemberg – mit etwa 450 000 Arbeitsplätzen bei Herstellern und Zuliefern – viel auf dem Spiel stehe, hatte schon der Ministerpräsident zu Bedenken gegeben. Franz Loogen, der Geschäftsführer von E-Mobil BW, der Landesagentur für neue Mobilitätslösungen und Automotiv, warnte davor, die verschiedenen Verkehrsträger gegeneinander auszuspielen. Um die bis 2030 gesteckten Klimaziele zu erreichen, müssten in allen Bereichen deutliche Verbesserungen erreicht werden und auf bundesdeutschen Straßen etliche Millionen Autos mit neuen Antrieben unterwegs sein. Loogen ist überzeugt, dass sich in der Autoindustrie ein Kulturwandel vollziehe, das lasse sich daran erkennen, „wie viele Milliarden Euro in neue Technologien gesteckt werden“.

Volkmar Denner, der Vorsitzende der Geschäftsführung von Bosch, ist zwar mit dem „Veränderungsprozess in der Autoindustrie noch nicht zufrieden“. Dem Chef des weltweit größten Automobilzulieferers gefällt aber auch nicht, dass beim Thema Mobilität nicht mehr wie früher „über Fakten diskutiert wird, sondern mit Emotionen“. Kritik äußerte Denner daran, dass die politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen oft nicht mit der technischen Entwicklung mithalten. So sei das E-Bike auch für Bosch eine Erfolgsgeschichte, aber noch immer fehlten im öffentlichen Raum entsprechende Radwege und sichere Abstellplätze. Und in der zweiten Jahreshälfte werde man ein Auto mit autonomer Steuerung der Stufe vier in Betrieb nehmen, allerdings in den USA, in Deutschland fehle der gesetzliche Rahmen dafür. Denner erklärte, man sei durchaus bereit zum geforderten Wandel in der Mobilität, man brauche als Unternehmen „aber mehr Zeit für den Anpassungsprozess“. Als einen Grund nannte er das Thema Arbeitsplätze. So brauche man für den Bau einer E-Achse „nur ein Zehntel der Menschen wie beim Dieselmotor“, erklärte der Bosch-Chef. Die Klimaziele der EU bis 2030 seien verglichen mit den bisherigen Vorgaben auch nicht mehr ausbalanciert.

Es fehlt eine Zukunftsvision

Günther Schuh, Professor an der RWTH Aachen, der das Elektroauto entwickelt hat, das bei der Deutschen Post im Einsatz ist, sieht als Hauptproblem bei der Umsetzung neuer Mobilitätsstrategien die Haltung vieler Bürger. „Die Käufer gehen nicht mit“, sagte Schuh. Schon bald aber soll das ebenfalls in Aachen entwickelte E-Auto „e.GO“ zu einem günstigen Preis auf den Markt kommen. Schuh fehlt in der ganzen Debatte auch ein „Zielbild“, wie etwa Innenstädte umzubauen und mit Shuttlesystemen auszustatten wären, um durch weniger Individualverkehr mehr Lebensqualität zu erreichen.