Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hat eine große Bewegung ausgelöst. Der Gemeinderat führte eine Generaldebatte.

Stuttgart - Der Gemeinderat hat am Donnerstag auf Antrag der Fraktion SÖS/Linke-plus eine Generaldebatte zum Klimaschutz geführt. Auslöser sind die Demonstrationen von Schülern jeden Freitag. Sie folgen dem Beispiel der Schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg.

 

Die Initiatoren

Yvonne Sauter (32) und Paul Epple (20) aus Stuttgart, die die Schülerdemos in Stuttgart organisieren, beschrieben den Klimawandel als größte Herausforderung der Menschheit. Wenn die Erderwärmung nicht auf 1,5 Grad begrenzt werden könne, drohe eine Katastrophe. Der Gemeinderat müsse Maßnahmen ergreifen. „Eine komplette Verkehrswende muss her“, sagte Epple. Auch die Flächenversiegelung müsse gestoppt werden. Er bemängelte am Ende der Sitzung die Gesprächskultur im Rat. Dieser Umgang würde Schüler abschrecken.

Ohne gesellschaftliche Akzeptanz sei die Wende nicht möglich, so Sauter. Der Ausstieg aus der Kohleverbrennung müsse bis 2030 geschafft, bis 2035 die gesamte Energieversorgung auf erneuerbare Quellen umgestellt sein. „Wandeln sie diese Stadt in eine Vorbildstadt um“, forderte Sauter vom Rat.

Der Oberbürgermeister

Fritz Kuhn urteilte, die Stadt stehe in Sachen Klimaschutz nicht schlecht da. Besonders bei der Senkung des Energieverbrauchs (minus 27 Prozent von 1990 bis 2017) habe sich etwas getan, aber „wir müssen deutlich einen Zahn zulegen“. Bis 2050 solle Stuttgart klimaneutral sein. An Union und die SPD in der Bundesregierung appellierte er, Deutschland vor 2038 aus der Kohlenutzung herauszuführen und den Ausstoß von Kohlendioxid kostspieliger zu machen. Kuhn versprach, dass die Stadt 2019 und 2020 je 40 bis 50 neue eigene Fotovoltaikanlagen schaffen werde, nicht nur elf wie 2018. Bei der Ernährung könne jeder mithelfen: Die Produktion eines Kilos Butter ziehe 23,8 Kilo Kohlendioxid nach sich, ähnlich bei Fleisch. Ein Kilo Gemüse erzeuge 0,2 Kilo Kohlendioxid.

Die CDU

CDU-Fraktionschef Alexander Kotz zeigte sich enttäuscht über die nicht voll besetzte Zuschauertribüne. Er habe mehr junge Menschen erwartet. Sich für seine Überzeugungen einzusetzen sei richtig, der Schulbesuch genauso, Schulstreik dürfe nicht zur Regel werden. Die Kritik der Schüler unterstütze er zum Teil, so müsse die Stadt bei Solaranlagen auf eigenen Dächern mehr tun. Bisher gebe es nur 100 – trotz grünem OB, den Kotz mehrfach angriff. Die CDU sei gegen Verbote, sie setze auf Modernisierung, Förderung und technischen Fortschritt. Vorstellbar sei, dass Autos ohne klimaschädliche Auswirkungen fahren.

Die Grünen

Fraktionssprecherin Anna Deparnay-Grunenberg zeigte sich einig mit den Schülerprotesten. Schon vor 20 Jahren sei sie zur Umweltschützerin geworden, Klimawissenschaftler hätten damals Alarm geschlagen. „In vielen Punkten ist es inzwischen schlimmer geworden“, so Deparnay. Aber es sei nicht zu spät, die Welt zu entkarbonisieren. „Wir haben noch elf Jahre, wir müssen zielgerichtet Handeln“, sagte sie. Nur mit echten Preisen für Kohlendioxid werde sich etwas ändern. Stuttgart selbst bewege sich, der Radverkehr werde verbessert. Die Grünen hätten keine Mehrheit, erinnerte sie. „Die Mehrheit der Klimamuffel in diesem Rat hat unseren Klimaschutzfonds abgelehnt“, so die Sprecherin.

Die SPD

Fraktionschef Martin Körner übte heftige Kritik an der Einschätzung von OB Kuhn: „Stuttgart hat seine Hausaufgaben bis dato nicht gemacht.“ Das zeige sich unter anderem daran, dass die Stadt 2018 nur elf weitere Fotovoltaikanlagen schuf. Die ihm verfügbaren Daten zum Klimaschutz und zum Energiesparen in Stuttgart seien deutlich schlechter als die von Kuhn genannten. In Stuttgart sei immer noch die Wärmewende überfällig, also klimafreundlicheres Heizen. Für den Stadtteil Stöckach, der an einer Fernwärmeleitung liegt, gebe es seit fünf Jahren ein fertiges Wärmekonzept – „und nichts bewegt sich“. Die Investitionen der Stadtwerke Stuttgart in erneuerbare Energien seien förmlich eingebrochen. „Doch Geld ist da.“ Die Stadt müsse 300 von 500 Millionen Euro, die sie angelegt hat, in die Wärmewende investieren.

SÖS/Linke-plus

Christoph Ozasek (Die Linke) rechnete mit der Politik der Gemeinderatsmehrheit und vor allem auch von OB Kuhn und den Grünen ab. Stuttgart sei beim Klimaschutz „Entwicklungsland“. Die Stadt müsse 2035, nicht erst 2050 klimaneutral sein. Nur dann könne man die letzte Chance wahren, eine Katastrophe mit unvorstellbaren Fluchtbewegungen von Menschen und Kriegen um Trinkwasser und Nahrungsmittel verhindern. „Der OB aber steuert im Windschatten der untätigen Bundesregierung in die Klimakrise“, sagte Ozasek. Die Stadt müsse jedes Jahr 100 Dächer mit Fotovoltaik ausrüsten, Heizen mit fossilen Energieträgern sofort verbieten, die Müllverbrennung stoppen. Von sofort an solle im Rathaus nur noch beschlossen werden, was mit dem Klimaschutz harmoniere.

Die Freien Wähler

Sprecherin Rose von Stein hatte eine eigene Umfrage unternommen und zeigte sich überrascht: Fridays for Future sei kaum bekannt. Wenn sie die Forderungen ernst nehme, dann müsse die Konsequenzen eines Verzichts auf Schiffe, Autos und Flugzeuge benennen: kein Schüleraustausch, keine großen Sportereignisse mehr. Massive Eingriffe und Verbote gefährdeten den Lebensstandard. Wer Klimaschutz wolle, könne auf Billigkleidung, Kaffee to go und Fast Food verzichten, riet sie.

Gruppen und Einzelstadträte

Matthias Oechsner von der FDP bescheinigte der Stadt, ihre Hausaufgaben gemacht zu haben. Doch es könne mehr in den Ausbau der Solarenergie und den ÖPNV investiert werden. Gegen große Teile der Bevölkerung, warnte Oechsner, könne man keine Politik machen. Heinrich Fiechtner von BZS 23 sprach von „wahnhaften Vorstellungen“ derer, die den Menschen als Verursacher des Klimawandels sähen. Er spiele „überhaupt keine Rolle“. Fiechtner überzog seine Redezeit bewusst massiv, ihm wurde schließlich das Mikro entzogen. Ralph Schertlen, ehemals Stadtisten, nannte eine Eindämmung des globalen Bevölkerungswachstums wünschenswert und die verstärkte „Ernte von erneuerbaren Energien“. Weniger Fleischkonsum sei auch hilfreich.